Hallo philosophus, hallo Acephalopode, hallo nussi und alle,
für einen philosophus wäre es ganz gut, wenn Du die Quelle angibst, wo Du Dein Zitat hergenommen hast.
Zum Deinem Zitat-Text selbst:
In Frankreich ist Papier bekanntlich noch geduldiger als in Deutschland.
Die Realität sieht ganz anders aus. Und die Realität habe ich mir genau angeschaut während eines Lehreraustausch-Jahres in einem französischen Collège und einem weiteren Jahr als Lektor an einer französischen Universität. Und dann habe ich mich heute nochmals bei drei französischen Kollegen per Mail und telefonisch rückversichert.
1. Dein Zitat stimmt zunächst nur auf dem Papier für heutige Berufsanfänger wie die ursprüngliche Fragestellerin nussi – viele heute unterrichtende Lehrer haben aber unter anderen Bedingungen angefangen.
Aber nur scheinbar kann man in Frankreich nur nach erfolgreichem Durchlaufen eines Concours-Wettbewerbs um die eingeschränkt vorgegebene Anzahl der Beamten-Planstellen mit den Voraussetzungen Capes und Aggregation unterrichten – und das gilt dem ersten Anschein nach sogar schon für die Vorschule und die Grundschule. Aber auf diesen ersten Anschein seit Ihr beiden, philosophus und Acephalopade, ganz schön reingefallen.
2. Manche Schätzungen gehen nämlich davon aus, dass nicht einmal die Hälfte der tatsächlichen Lehrerstellen auch solche Beamten-Planstellen sind – vor allem nicht in sozial schwierigen Randgebieten der Großstädte und auf dem flachen Land, weil die Planstellenbeamten diese meiden. Offizielle Zahlen sind dazu kaum zu bekommen, denn diese "billigen" Lehrerstellen gibt es ja nach Deinem Papier, philosophus, gar nicht. Diese billigen – also schlecht bezahlten Lehrerstellen sind immer wieder erneuerte Zeitverträge ("contractuels") und Aushilfsverträge ("vacateurs") bis maximal 200 Stunden (= max. ca. 12 Wochen) bei längeren Krankheiten, Mutterschaftsurlaub etc.
3. Es gibt also in Frankreich mindestens drei (!) "Arten" Lehrer, wie Acephalopode es nennt – ich würde sagen drei sozial gestufte Kategorien: die vielen schlecht bezahlten und von Jahr zu Jahr unsicheren Contractuels im befristeten Angestelltenverhältnis (18 Vollzeitstunden + 3 freiwillig, um leben zu können = 21 Vollzeitstunden, was 28 X 45-Minuten-Kursen bei uns entspricht), die gut bezahlten sicheren Capesiens als Beamte mit 18 Vollzeitstunden (= 24 x 45')und die Agrégés als superbezahlte topsichere Beamte mit nur 15 Vollzeitstunden (= 20 x 45'). Zu diesen Gehältern kommen jeweils Zuschläge etwa eines Monatsgehalts pro Jahr je nach Staus für die Teilnahme an den Konferenzen etc.
Nach Auskunft meiner französischen Kollegen erhält ein Capesien zur Zeit als Anfänger etwa 1.700,00 Euro pro Monat plus etwa 1.000,00 Euro Konferenz-Zuschlag, zusammen etwa 2.700,00 Euro im Monat als Anfänger! Und das bei 6 Wochen mehr Ferien, in denen viele gegen Extra-Geld in Ferienkolonien arbeiten. Außerdem zahlt man in Frankreich wesentlich weniger Einkommensteuer als in Deutschland, dafür höhere indirekte Steuern wie Mehrwertsteuer.
4. Viele Lehrer mit Zeitverträgen versuchen sich gleichzeitig auf den nächsten Capes-Wettbewerb vorzubereiten und rackern sich dabei ganz schön ab. Du kannst eine prima Prüfung ablegen, aber wenn Du der 31. bei nur 30 Stellen bist, hast du genauso völlig verloren wie der 1000. im Ranking. Und Du darfst im nächsten Jahr – wie Acephalopode es beschreibt – wieder bei Null anfangen. Du kennst einen, der sein Capesziel schon fünfmal nicht erreicht hat, ich kenne einen, der es letztes Jahr beim 10. Anlauf gerade so geschafft hat, weil er noch einen Alters- und 3-Kinder-Bonus bekam.
Viele Zeitverträgler geben irgendwann auf und bleiben ihr Leben lang in diesem niedrigen Status.
5. Die Diskussion hier im Forum hat durchlaufend daran gelitten, dass immer wieder mit der falschen Unterstellung geschrieben wurde, man könne mit nur einer Licence alleine nicht in Frankreich unterrichten. Dabei ist fälschlicherweise nur von den Beamtenstellen ausgegangen worden und die vielen Angestelltenverträge wurden unberücksichtigt gelassen. So kann's halt passieren, wenn man sich nur auf einen Text bezieht wie den von philosophus zitierten und die Praxis nicht kennt.
Dabei unterstelle ich, dass die Angestelltenverträge auch irgendwo rechtlich beschrieben und geregelt sind. Kennst Du nicht Vorschriften wie "Heute ist Mittwoch, wenn nicht...."? Und dieses "Wenn" hast Du nicht zitiert.
Alle Zeitverträgler im Angestelltenverhältnis unterrichten mit nur einem universitären Abschluss – die meisten nur mit der Licence, die im Niveau dem deutschen ersten Staatsexamen entsprechend angesehen werden kann, aber oft nur in einem Fach.
Damit der universitäre Abschluss voll dem deutschen ersten Staatsexamen entspricht, muss man in diesem integrierten deutsch-französischen Studienprogramm ja auch zwei Fächer studieren und beide im Examen abschließen.
6. Wenn man will, kann man die französische Variante mit nur Licence und Zeitvertrag sogar als einen Vorteil auf niedrigem Niveau gegenüber Deutschland ansehen, denn in Deutschland bekommt man mit nur dem ersten Staatsexamen fast überhaupt keinen Vertrag. In Frankreich kann man so mit 21 Jahren bei geringem Verdienst Vollzeit unterrichten - hier erst mit 25.
Man muss hier in Deutschland das Referendariat durchlaufen und das zweite Staatsexamen bestehen und kann dann in Mangelfächern sogar mit einer schwachen Note eine Beamtenstelle mit ganz ordentlichem Gehalt bekommen - in überlaufenen Fächerkombinationen aber auch mit 25 ohne Stelle da stehen.
Man hat trotzdem immerhin die zwei Staatsexamina mit Noten und kann sich damit einigermaßen gut anderswo in der freien Wirtschaft bewerben. Ich habe eine Bekannte, die hat gerade in der Fächerkombination Deutsch / Französisch im I. Examen eine "1", im zweiten eine "2", kam dann um 1980 auf Platz 12 der hessenweiten Warteliste und wurde erst nach 10 Jahren abgerufen. Da hatte sie sich schon einen guten Posten in der freien Wirtschaft erarbeitet.
Aber in nächster Zukunft soll es ja eher Lehrermangel geben.
In Frankreich kämpft man direkt mit wenig Aussicht um eine konkrete freie Planstelle. Bekommt man sie nicht, hat man auch kein II. Staatsexamen. Man bekommt noch nicht mal eine Bescheinigung, dass man zwar gut war aber nicht gut genug, um unter die ersten 30 zukommen.
Die Anzahl der Beamtenstellen wird willkürlich klein gehalten, um den anderen Teil Stellen billig mit Angestellten zu besetzen –
und das habt Ihr nicht genannt und damit Wichtiges ausgelassen.
In Deutschland richtet sich die Anzahl der Beamtenstellen im Prinzip nach dem Schüler-Lehrer-Zahlenverhältnis.
6. Die Diskussion hier im Forum hat auch immer wieder daran gelitten, dass etliche "binational" nicht von "bilingual" unterschieden haben.
In diesem Mainz-Dijon-Programm geht es ganz vorrangig um binationale Anerkennung des Studiums und des universitären Examens als erstes (Staats-) Examen in beiden Ländern.
Die angesprochenen späteren bilingualen Unterrichtsmöglichkeiten gibt es nur an sehr wenigen bilingualen Schulen.
Natürlich kann man auch als deutscher Enlischlehrer junge Franzosen in Englisch unterrichten.
Ich habe deutsche Lehrer in Frankreich kennen gelernt, die sich während eines Auslandsjahres dort verliebt hatten und nicht nur wegen des guten Essens dort geblieben sind. Das ist mit diesem neuen "Doppelabschluss" dann gleich hüben wie drüben möglich.
Es gibt aber auch seit langem eine zwischenstaatlich vereinbarte Äquivalenzliste, die die Examina/Zeugnisse auf der einen Seite auch im anderen Land gleichwertig anerkennt. Das muss man nur formell beantragen. Es hat bei mir 15 Minuten gedauert. So haben es in der Vergangenheit alle gemacht. Wer in Frankreich im dortigen Normalstudium allerdings nur ein Fach studiert hat, muss für das deutsche Staatexamen ein zweites nachholen.
7. Was bleibt also für jemand wie nussi an dem neuen Studiengang interessant ?
Du hast zwei gut subventionierte Studienjahre in Frankreich und kannst in Dijon genau so gut Anglistik neben Romanistik studieren wie in Mainz. Du studierst doch in Anglistik hier wie dort in Englisch geschriebene Literatur.
Am besten gehst Du gleich zusammen mit einem festen Freund / einer festen Freundin diesen Weg gemeinsam und ihr entscheidet Euch nach dem Examen für ein Land. Ansonsten läufst Du "Gefahr", Dich in den zwei Jahren dort zu verlieben und bist schon fast an Frankreich gebunden – mit den oben beschriebenen Eigenarten in der Lehrerkarriere. Übrigends: auch viele deutschstämmige Kandidaten scheitern im Fach Deutsch im Capes ! Der muttersprachliche Vorteil scheint nur gering zu sein. Schwierig ist der inhaltliche Teil.
Gruß, gemo