Hallo,
vor 10 Jahren wurde vom "Bundesverband Legasthenie" das Phänomen "Legasthenie" als "besondere Schwierigkeit im Lesen, Schreiben und Rechtschreiben" definiert. Genau so heißt auch die in Hessen auch heute gültige Verordnung vom 22.10.1985.
"Schreiben" wurde extra genannt, weil "feinmotorische Schwierigkeiten" häufig mit den Lese- und Rechtschreibschwierigkeiten einhergehen, was sich in einer "Krikselschrift" zeigt, die weder auf der Grundlinie bleibt noch gleichmäßig gerade geneigt ist und oft verkrampft wirkt und oft langsamer vonstatten geht.
Dann gab es eine Zeit in den End-90-ern, in der "Edel-Legastheniker" - wie ich in meiner Art zu sagen pflegte -, bei denen man genau die 17.315-te Gehirnzelle im hinteren rechten Hirnlappen als defekt festgestellt wollte ("edel" hochwissenschaftlisch neurologisch/psychiatrisch festzustellen), von "nur" lese-rechtschreibschwachen Kindern unterscheiden wollte, denen dieses here Diplom nicht zustand.
In dieser Zeit entstand die bayerische Regelung von 1999 unter starker Beteiligung des Würzburger Psychiatrie/Neurologie-Professors Grimm, der selbst Betroffener ist und in seiner Familie seit Generationen Legasthenie nachweisen kann und deshalb von einer starken genetischen Komponente ausgeht.
Die bayerische Regelung wird von vielen in Bayern selbst umstritten. Dort braucht der "diplomierte Legastheniker" ein außerschulisches psychiatrisches Gutachten plus ein innerschulisches schulpsychologisches Gutachten.
Traut da einer dem anderen nicht ?
Besonders "witzig" finde ich die Formulierung, dass bei "nur" Lese-Rechtschreibschwachen "zurückhaltend" benotet werden soll, während "echte" Legastheniker keine Note für Lesen und Rechtschreiben bis einschließlich Abitur in Bayern bekommen dürfen. Was ist "zurückhaltend" ? Eine Kaugummi-Regelung.
Inzwischen scheint diese Gedankenakrobatik wieder aufgegeben worden zu sein. Der Bundesverband wie auch die hessische Kultusministerin schreiben in den letzten Jahren wieder von "Legasthenie" bei der auffälligen Häufigkeit von Fehlern im Lesen und Schreiben/Rechtschreiben normal begabter Kinder - egal von welcher Ursache ausgehend.
Dies entspricht dem internationalen Begriff "Dislexie".
Dabei kommt es ganz und gar NICHT auf bestimmte Arten von Fehlern an - wie Verdreher b - d -, sondern nur auf die allgemeine "Fehlerhäufigkeit" !!! Ein rein quantitatives Phänomen !!!
Legasthenie = Lese-Rechtschreib-Schwäche=LRS werden zur Zeit für das gleiche Phänomen synonym gebraucht.
Dislexie (=Legasthenie) ist von der WHO (Un-Gesundheitsorganisation) als Krankheit anerkannt und hat eine bestimmte ID-Nummer.
Die Forschung steckt noch mitten im Suchen nach den Ursachen und hat bisher nur Teilergebnisse erbracht.
Wie überall gibt es widerstreitende "Legasthenie-Päpste und -Päpstinnen", die jeweils nur ihre eigenen "Dogmen" gelten lassen wollen. Vorsicht ! Wenn Valtin und Naegele - zwei Freundinnen, die sich immer gegenseitig in ihren Veröffentlichungen aufeinander berufen - Männer wären, könnten sie sich jetzt beim Konklave um den Papst-Titel bewerben. Wer sie schon mal live erlebt hat, weiß wie untolerant sie fast jede andere Ansicht "niedermachen". Wenn ich es richtig sehe, forschen beide überhaupt nicht, sondern kommentieren nur nach ihrem Gusto.
Die KMK (Kultusministerkonferenz) hat am 04.12.2003 festgestellt, dass es keine einheitliche Lehrmeinung gibt.
Die KMK "beschließt" gar nichts im genauen Sinne des Wortes, sondern beschließt nur "Empfehlungen" an die Bundesländer, die die alleinige Hoheit über die Bildungspolitik haben. Die "Empfehlung" von 1978, überhaupt eine Regelung zu treffen, wurde in Bayern erst 1999 und ganz anders in einer Vorschrift erfüllt - in RLP bis heute nicht eigenständig.
Was die Förderung betrifft, gehen namhafte Fachleute davon aus, dass die Problematik bei fast jedem Betroffenen individuell einmalig ist, individuell diagnostiziert werden muss, um individuelle Förderpläne aufzustellen und durchzuführen.
Diese individuelle Diagnostik braucht der normale Lehrer nicht durchzuführen. Er muss nur das Pänomen bemerken und berücksichtigen. Für die Föderarbeit braucht man eine spezielle Fortbildung.
In Hessen habe ALLE Schüler mit "besonderen Schwierigkeiten im Lesen, Schreiben und Rechtschreiben" Anspruch auf Notenschutz und auf Förderung (Verordnung 22.10.1985 + Richlinien 15.12.1995, beide Amtsblatt 1/1996).
Auch wenn mir als Pädagogen der Begriffskrieg wurscht ist : Es gibt das Phänomen "Legastenie" im weiten Sinn unbestritten tatsächlich, das wir Lehrer und Eltern zunächst hinnehmen und in unserer pädagogischen Verantwortung und Haltung als Menschen mit humanem Auftrag berücksichtigen müssen.
Ich zitiere fast wörtlich aus den hessischen Richtlinien, was ich sehr gut finde: RL 5.4 : Es muss von diesen Schülern der unerfüllbare Leistungsdruck einer fehlerarmen Rechtschreibung genommen werden (Notenschutz gegeben werden), damit die häufig verfestigte Entmutigung, zum Teil auf den gesamten schulischen Bereich ausgeweitet, wieder aufgehoben werden kann.
Wer Angst vor vielen Rechtschreibfehlern hat, der schreibt keinen ausführlichen Aufsatz. Auch nicht in den Fremdsprachen, auch nicht in Geschichte ... : Fehlervermeidungsverhalten.
Ich halte den Notenschutz für die zu allererst notwendige Förderung des Schülers im Ganzen. Den Notenschutz kann jeder Lehrer leisten - er braucht nur die Lese- und Schreibfehler nicht mitbewerten.
Von einem Querschnittsgelähmten verlangt man ja auch keine Flanke am Barren. Unsichtbare Handicaps sind genauso zu behandeln wie sichtbare Handicaps. Aber damit tun sich viele schwer.
Denkt an Goethe und Einstein. Beide waren Legastheniker. Christina von Schweden, die Kronprinzessin, bekannt sich im Fersehen als Legasthenikerin.
Wer mag, lese mal meine Abhandlungen im Forum von www.emgs.de zu Legasthenie ("Legasthenie allgemein" und "Legasthenie und Mobbing").
Mich selbst beeindruckt immer noch besonders das Beispiel der Schülerin "Bettina", das ich dort am 10.02.2005 beschreibe.
http://www.foren.de/system/mor…mgs-284087-871759-10.html Seite 2.
Soviel heute dazu.
Viele Grüße, Georg Mohr