Eine solche Unterscheidung zu treffen, wie du es nennst, Ilse, halte ich durchaus für sinnvoll und natürlich kann jeder dafür seine eigenen Termini verwenden. Dennoch halte ich es nicht für Wortklauberei, denn "Dyskalkulie" und "Legasthenie" stehen im Allgemeinen eben für den medizinischen Ansatz, der weitgehend als überholt und wenig sinnvoll gilt, und deutet insofern schon auf ein bestimmtes Verständnis von Lernschwierigkeiten hin. Der Ansatz stigmatisiert und pathologisiert Kinder und eine "Ursache" ist damit leider trotzdem nicht gefunden. Und zuletzt entlastet er auch Lehrer und hält sie davon ab, die didaktisch-methodische Unterrichtspraxis zu überdenken - konkrete Hilfen für die Therapie bietet er im Gegensatz zur pädagogischen Diagnostik auch nicht. Eine schöne, knappe, aber auf den Punkt gebrachte Einführung zur Kritik am medizinischen "Legasthenie"-Ansatz von Valtin findet man unter http://www.rsb-borken.de/fileadmin/Downloads/LRS/Valtin.pdf ; die meisten Punkte lassen sich relativ analog auf das Thema "Dyskalkulie" übertragen.
Silicium, ich habe überhaupt nichts gegen die Psychologie (übrigens auch nicht per se gegen die Medizin) und halte sie für eine sehr wichtige Bezugswissenschaft für die Pädagogik. Bei den hier erörterten Fragen grenzt man meist auch eine pädagogisch-psychologische Perspektive von einer medizinischen ab (vgl. den verlinkten Artikel von oben). Und, wie gesagt, wie sie das schlussendlich nennen, hat nicht unbedingt etwas mit dem dahinterstehenden Konzept zu tun - trotzdem und gerade deshalb plädiere ich aber gegen eine originär medizinische Terminologie in diesen Bereichen, die auch die Psychologie, soweit ich den aktuellen Forschungsstand überblicke, weitgehend abgelegt hat. Die meisten neueren Aufsätze oder Bücher, in deren Titel noch "Dyskalkulie" oder "Legasthenie" vorkommt, sind von Medizinern verfasst.
Neurowissenschaften halte ich für durchaus nicht uninteressant, aber für die konkrete pädagogisch-didaktische Praxis weitgehend irrelevant. Schulisch relevante psychologische Gebiete sind im Allgemeinen die Entwicklungspsychologie, die Lern- und Motivationspsychologie und die Verhaltens- und Sozialpsychologie (in denen natürlich auch verstärkt naturwissenschaftlich-biologische Aspekte eine Rolle spielen). Ich glaube da aber auch nicht an einen Paradigmenwechsel in der pädagogischen Psychologie zugunsten der Biopsychologie und Neurowissenschaften. Aber wir werden sehen, was kommt; wir stehen ja beide erst zu Beginn unserer Berufslaufbahn.
Mein Lieblingswort für Rechenschwierigkeiten ist übrigens "Zahlendyssymbolismus". (Also nicht, dass ich es verwenden würde, aber im Sinne eines amüsanten Wortes - so war es ja wohl auch von dir gemeint.) 