Es gibt natürlich einzelne Sprachstörungen (Richtung Mutismus), aber wenn es sich zuhause und mit einem "fremden" Kind ab und zu in der Muttersprache unterhält, dann ist es das vermutlich nicht.
Äh, doch, genau ist ein zentrales Merkmal von selektivem Mutismus, dass die Kinder in bestimmten Situation - in der Regel im institutionellen Bildungssetting - schweigen, während sie zu Hause ganz normal sprechen, hier oft sogar sehr sprechfreudig sind. Auch dass sie nach einiger Zeit mit anderen Kindern in der Kita/Schule zu sprechen beginnen, kommt häufiger vor (gerade wenn es eine andere Sprache ist) - das kann in der Einrichtung auch sinnvoll genutzt werden, die Methode nennt sich 'Sprachrohr'. Die eingeschränkte Mimik spräche auch für mutistische Züge.
Das heißt nicht, dass ich in dem geschilderten Fall Mutismus vermute. Das müsste man differenzialdiagnostisch genauer anschauen, teilweise ist es auch ein Übergangsbereich zwischen Sprechangst und selektivem Mutismus.
So wie ich es verstehe, lernt der Junge aber seit nicht einmal ganz einem Jahr erst Deutsch? Wie schätzt du, FrauZipp , das Sprachverständnis ein (ohne Orientierung an Ritualen, Gestik und anderen Kindern)? Wie ist er in die Klasse integriert? Zeigt er auch körperlich manchmal Hemmungen, 'Erstarren' o. ä.?
Und wie alt ist er denn?
Generell denke ich, dass ihr auf einem guten Weg seid, wenn er gerne kommt und auch bereits zwei- bis dreimal pro Vormittag etwas vor der Gruppe sagt (sofern keine weiteren Probleme neben dem Schweigen vorliegen). Wenn er auf das Tokensystem anspricht, macht das weiter. Aber setzt ihn nicht unter Druck, zu sprechen. Bietet immer wieder Sprechanlässe, entwickelt eine Haltung, die ihm signalisiert, dass ihr davon ausgeht, dass er sprechen wird, aber dass es kein Drama ist, wenn er es nicht tut. Dafür bietet auch nonverbale Kommunikationsmöglichkeiten an.
Falls er in seiner Sprechbereitschaft stagniert oder ihr oder die Eltern euch ernsthafte Sorgen macht, wäre eine sprachtherapeutische oder psychologische Diagnostik sinnvoll. Ich weiß nicht, wie bei euch in der Schweiz das System ist - gibt es Sprachtherapeuten/Sprachheilpädagogen/Logopäden an der Schule? Gibt es schulische Unterstützungssysteme? Oder müssten die Eltern das außerschulisch angehen? Bei uns gibt es da relativ niedrigschwellige Angebote für eine erste Einschätzung und Beratung (sonderpädagogischer Dienst).