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aber als dann eine realschullehrerin fragte "gibt es für die grundschule überhaupt lehrpläne?" - da war der ofen aus.
Als ich das gelesen habe, hätt ich mich echt wegschmeißen können vor Lachen. Das war ja für euch sicher nicht angenehm, aber ich stelle mir die Situation bildlich vor: Endlich haben sich die zwei einander misstrauisch beäugenden Lager in einem Lehrerzimmer zusammengefunden. Vielleicht liegen Häkeldeckchen auf dem Tisch, ein paar Kerzen brennen, es gibt Kekse. Fast wie Weihnachten. Und dann fällt EIN Satz - und alles im Raum gefriert... Schon komisch, passt irgendwie zum Klischee, dass der soziale Umgang von Lehrern manchmal eben ... schwierig ist.
manu1975:
Ich meine, dass die Extreme, die Du hier aufmachst, in der Realität so nicht existieren. Das Kind, das kein Wort richtig schreiben kann, aber die nächste physikalischen Entdeckung a la Relativitätstheorie macht (Einstein) oder das Kind, das alle grammatischen Fachbegriffe super draufhat, aber leider "Adjecktif" und "Suppstantief" schreibt - das gibt es in der Regel (!) doch eher nicht, und wenn doch, liegt es weniger an mangelnden Rechtschreibkenntnissen als an klinischen Problemen wie LRS. Es wird - und ich finde: mit Recht - am Gymnasium davon ausgegangen, dass ein aufmerksames, intelligentes und fleißiges Kind irgendwann die Dinge, die es ausdrücken will, auch weitgehend richtig schreiben kann. Und hier steht das Gymnasium definitiv im Einklang mit dem "echten" Leben. Denn dort wird genau das auch erwartet. Keine Personalabteilung sucht in den Bewerbungen von Leuten, die statt "Geburtsort" "gebuhrtsorrt" schreiben, nach verborgenen Genies.
Weshalb Kinder, die die Rechtschreibung nicht draufhaben, am Gymnasium oft scheitern? Das ist gar nicht so leicht zu sagen. Es liegt, glaube ich, am starken Lehrgangscharakter des Gymnasiums. Bestimmte Dinge werden ab einem bestimmten Punkt erwartet. Wenn sie nicht da sind, kann darüber nicht hinweggesehen werden. Es verlangt zwar niemand, dass ein Abiturient absolut fehlerfrei schreibt. Aber falls man einen Text aufschlägt, in dem man sofort drei Substantive sieht, die klein geschrieben werden, wird das zum Problem und irgendwann (so ab Klasse 7) auch zum Notenproblem.
Dann kommt hinzu, dass das Gymnasium nicht geeignet ist, jedem Kind jederzeit Nachholmöglichkeiten zu bieten. Wenn ich unsere Schule nehme: Die Kinder starten bei uns in Klasse 5 mit Französisch UND Englisch. Das heißt: Zusätzlich zur deutschen Rechtschreibung müssen sie nun auch noch die englische und französische schultern, und HIER sagt niemand mehr: "Du kannst kein englisches Wort richtig schreiben? Macht nichts, Du bist trotzdem voll der Fremdsprachen-Crack!" Die Kinder kämpfen also plötzlich an drei Schreibfronten, und haben noch nicht einmal das Gefühl, im Deutschen solide dazustehen. Von den andern Fächern ganz zu schweigen.
Was den Unterricht angeht, mache ich auch einiges mit Selbstorganisation, zwar nicht in jeder Stunde, aber doch so oft es geht. Wenn ich eine neue Stationenarbeit gebastelt habe - z. B. zu den Wortarten - und die Kinder arbeiten zwei oder drei Stunden ohne mich vor sich hin, bin ich auch glücklich und denke: So sollte Unterricht sein. Ich bin auch kein Fan des Frontalunterrichts und weiß schon, dass er viele Kinder fertig macht. ABER ich frage mich trotzdem immer wieder, ob ich in den selbstorganisierten Phasen nicht manche Kinder im Stich lasse. Nämlich die schwächeren. Ob nicht bestimmte Dinge besser gelernt und beherrscht würden, wenn instruktiver, frontaler, strenger und normativer unterrichtet würde. Und ich habe auf diese Frage keine Antwort. Wenn das Mittelschichtenkind in meiner Stationenarbeit viel Spaß hat, aber nichts lernt, weil bestimmte Dinge nicht klar gesagt und ins Regelheft geschrieben werden (wenn es ein Regelheft gibt), geht es nach Hause und vor der Klassenarbeit zu Mami, die holt dann das Schulbuch des Kindes raus und sie klären die offenen Fragen. Wenn das Kind aus der unteren sozialen Schicht in der Stationenarbeit nichts lernt (weil ihm das Konzept der selbständigen Erarbeitung vielleicht eher fremd ist) bleibt es orientierungslos. Und dann gibt es bald eine "Realschulempfehlung".
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die kinder beginnen, lautgetreu zu schreiben - ab klasse 2 werden bei uns lernwörter geübt und wo es sich anbietet auch rechtschreibinhalte. ab klasse 3 das ganze dann intensiver in unterrichtseinheiten und übungen zwischendurch.
Vielleicht ist das einfach eine Progression, die den Kindern nicht einleuchtet? Wenn sie am Anfang schreiben können, wie sie wollen, weshalb soll sich das ab Klasse 3 ändern? Und hier sieht man genau dasselbe didaktische Problem: Den Kinder aus gutem Hause wird im Notfall zuhause der Kopf gewaschen. Da wird eben gesagt: Du bist jetzt in Klasse 3, Du musst das können. Die anderen Kinder, vor allem die nicht ganz so wachen, kapieren vielleicht noch nicht einmal, was sich in Klasse 3 ändert. Oder sie kapieren es zu spät. Ich weiß nicht, ob es so ist, aber es wäre denkbar.