Hallo,
Starmi, so wie du dich anhörst, bist du der Meinung, dass es schon immer langsame, faule, schlampige, freche, ängstliche und aggressive Kinder gegeben hat und man es eben einfach so hinnehmen muss oder die "Besonderheiten" mit erzieherischen Maßnahmen manchmal mehr oder weniger in den Griff bekommen kann.
Früher gab es keine Erklärungen dafür und keine Hilfen. Die Welt hat sich weiter gedreht. Heute ist die Wissenschaft , insbesondere auf dem Gebiet der Hirnforschung / neurophysiologischen Entwicklung zum Glück in der Lage, die Ursachen benennen zu können und vor allen Dingen Hilfe anzubieten.
Mein Sohn (10 J., 4. Klasse) ist ein ganz normales Kind. In der 1. Klasse erhileten wir von der Lehrerin zunächst die Meldung, dass alles ok. sei. Zum Ende der 1. Klasse war er plötzlich "sehr verhaltensauffällig". Er war zu langsam (Beim Schreiben und Umziehen zum Sport, machte angeblich eigenwillig falsche Übungen beim Sport, war leicht abzulenken, konnte manchmal sein Wissen nicht zu Papier bringen, redete ständig dazwischen und konnte nicht abwarten, Anweisungen befolgte er erst nach mehreren Ermahnungen, gab freche Antworten, hatte öfter Streit mit Mitschülern oder lachte sie aus. Da er jedoch für sehr intelligent gehalten wurde und für die Lehrer eigentlich ein "normales Kind war", kamen die Lehrer zu dem Ergebnis: "Er kann ja, wenn er will". Er war für die Lehrer auch kein typisches sogenanntes ADS-Kind, dafür brachte er zu gute Ergebnisse.
Ich ließ ihn testen mit dem Ergebnis: stark verlangsamte Wahrnehmung und Wahrnehmungsverarbeitung. Trotz mehrerer Gespräche mit den Lehrern und Weitergabe entsprechender Fachinformationen versuchten diese, die Auffälligkeiten meines Sohnes mit erzieherischen Maßnahmen zu ändern. Das ging natürlich völlig in die Hose, denn organische Probleme (wie gesagt, eigentlich für die meisten Menschen ein ganz normales, sogar intelligentes Kind!) kann man unmöglich mit erzieherischen Maßnahmen ändern!!!
Er wurde von den Lehrern bloßgestellt, vor die Tür geschickt, bekam rote Karten ausgehändigt usw.. Trotz meiner wirklich umfangreichen Informationen waren sie scheinbar immer noch der Meinung: "Er kann ja, wenn er will". Irgendwann waren sich die Lehrer einig, dass mein Sohn ein unmögliches Sozialverhalten hätte. Meine Fachinformationen wurden jedoch nicht an die anderen beteiligten Lehrer weitergegeben. Allmählich übertrugen sich die Abneigungen der Lehrer gegen meinen Sohn auch auf die Mitschüler.
Ich denke, Cecilia kennt sich einige Kinder, denen es ähnlich ergangen ist.
Zum Anfang der 3. Klasse war mein Sohn psychisch am Ende. Mir blieb nichts anderes übrig, als ihn in eine andere Schule umzuschulen. Inzwischen hatten wir dann eine INPP-Therapie begonnen, nachdem ich zig Bücher und im Internet gelesen hatte. Seine verlangsamte Wahrnehmung war mir eigentlich schon früher aufgefallen, jedoch waren die Kinderärzte jeweils der Meinung, dass alles o.k. sei. Auch andere Mütter versuchten immer, mir die Auffälligkeiten meines Sohnes auszureden.
Ich habe inzwischen 11 Seiten Erfahrungsbericht an die Landes- und Bundesregierung, Schulrat und sonstige geschickt, da ich davon überzeugt bin, dass Lehrer nicht die Aus- und Fortbildung haben, die sie benötigen, um richtig mit den Kindern umgehen zu können.
Seit mehr als einem Jahr geht mein Sohn nun in die neue Schule. Anfangs war er auch dort auffällig und die Lehrerin sprach von Ritalin und Verhaltenstherapie.
Jetzt nach Schulwechsel und 15 Monaten INPP-Therapie ist keine Rede mehr davon. Er hat sich sehr zum Positiven geändert, ist aufmerksam, konzentriert, schnell genug, redet nicht mehr (oder fast) dazwischen und von unmöglichem Sozialverhalten spricht keiner mehr. Mein Sohn ist wieder ein glückliches Kind geworden.
Übrigens ist mein Sohn inzwischen froh, dass er eine Mutter hat, die sich um ihn kümmert. Er weiß, dass es immer mehr Kinder gibt, die gleiche Probleme haben, doch leider wenige Kinder von ihren Müttern entsprechend gefördert werden.
Ich kann nur allen Eltern und Lehrern raten, sich zu informieren. Auch "ganz normale Kinder" können organische Störungen haben. Finnland hat es schon längst erkannt, deshalb erhalten die Kinder dort eine entsprechende neurophysiologische Förderung. Im Schulamt in Wetzlar ist man auch scheinbar schon weiter, als im übrigen Deutschland. Dort gibt es die Abteilung Anke, s. http://ankewz.bei.t-online.de. Die Leiterin Frau Dorothea Beigel hat das Buch "Flügel und Wurzeln" geschrieben. Sie hat erkannt, dass allein durch unsere schnelllebige, technisierte Welt Lücken entstanden sind, die gefüllt werden müssen. Das Buch kann ich allen nur empfehlen. Ebenso die Seite http://www.inpp.de.
Schöne Grüße
Erika
P.S. Bitte eventuelle Fehler verzeihen, aber ich muss jetzt ins Bett.