Bundesland "B" ist Berlin und nicht Bayern (in Bayern soll die Hauptschul-Welt ja noch in Ordnung sein), oder?
Ich war 4 Jahre an einer Hauptschule in Göttingen, Niedersachsen.
- Jedes Vorurteil, würde ich sagen, stimmt (im großen und ganzen): Gewalt, Lernresistenz, Perspektivlosigkeit. Allerdings finden die HauptschülerInnen ihre Situation normalerweise (was nicht heißt, dass sie sich nicht als stigmatisiert erleben würden oder lieber bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt hätten oder lieber in behüteten Verhältnissen aufgewachsen wären oder oder oder, ... ) nicht schlimm, sondern normal.
- Wenn dein Ansatz eher ein sozialpädagogischer ist, könntest du durchaus glücklich an einer Hauptschule werden. Wenn du von einer Hauptschule eine Art Lernen wie an dem Gymnasium (an dem du evtl. warst), bloß auf niedrigerem Niveau erwartest: vergiss es.
- Die Eltern haben zumeist andere Probleme als sich um die schulischen Belange ihrer Kinder zu kümmern. Ich würde sagen 80% der Hauptschulklientel rekrutiert sich aus: a) Sozialschwache, b) schlecht integrierte Ausländer (warum auch immer: weil sie erst kurz in Deutschland sind oder nie angekommen), c) zerrüttete Familien, d) Familien mit gravierenderen Problem als Schule (Alkohol/Drogen). ZT hast du Familien die ihre Multiproblemlage in die 2. oder 3. Generation vererbt haben.
- in Göttingen machen etwa 70% der Schülerinnenschaft einen höheren Bildungsabschluss, d.h. an der Hauptschule ist normalerweise gar nicht klar, wo wir unsere SchülerInnen hinbringen sollen. Einen Ausbildungsplatz erhält normalerweise keiner, es sei denn, man kennt jemanden, der einen zur Verfügung stellt.
- Unterricht ist oft nicht möglich, weil sich Peter und Ali mal wieder in der Pause die Nase blutig geschlagen haben, oder weil irgendwer die Mutter von irgendwem beleidigt hat.
- Wenn unterrichtet wird, zeigen sich Lern- und Aufmerksamkeitsdefizite.
- Lehrerinnen haben zuweilen Probleme mit der patriachialistischen Mentalität, die an Hauptschulen zuweilen ausgepackt wird (da hilft dann: ein geschlossenes Kollegium).
Wenn dir das alles egal ist, du gerne die Probleme der Gesellschaft an ihren Wurzeln bearbeiten möchtest und bereit bist, in kleinsten Schritten mit SchülerInnen zu arbeiten und ihnen etwas beizubringen, was sie im Allgemeinen gar nicht lernen wollen ... ich kenne durchaus KollegInnen, die sehr zufrieden sind (ich schätze: 50%). Ein Viertel der Lehrerschaft mag ihren Job einfach tun, ein Viertel ist völlig unzufrieden.
(edit: da ich zufällig mit einer Gymnasiallehrerin zusammenlebe: Ich vermute, dass LehrerInnen am Gymnasium deutlich mehr arbeiten müssen als Hauptschulkolleginnen. Dafür bekommt man aber eine Menge zurückgeliefert: 1.) jede Menge "Erfolgsgeschichten" (es ist schon toll, wenn einer deiner Schüler ein 1er-Abi macht). 2.) Ein normalerweise sehr geschlossenes und hilfsbereites Kollegium, 3.) Schule als Lernort: Du kannst ziemlich das machen, wozu du fachlich ausgebildet wurdest. 4.) Klassenfahrten in der Oberstufe haben schon "Urlaubs"-Charakter und man freut sich echt drauf (mit einer Hauptschuleklasse hab ich mich nie weggetraut, allerdings war ich auch nie Klassenlehrer). 5.) Anerkennung von den Eltern (die mögen stressen, aber deine Stellung steht selten in Abrede), 6.) öffentliche Anerkennung (zumindest im Vergleich Hauptschullehrer/Studienrätin). Da für mich immer klar war, dass ich nicht an der Hauptschule bleibe, musste ich mich nie zwischen Hauptschule und Gymnasium entscheiden, wenn ich es müsste: 35 Jahre Gymnasium würden *mir* perspektivvoller erscheinen.
ambrador