Hallo zusammen,
@ Nele,
Deiner Zusammenfassung meiner Forschungsabsicht würde ich soweit zustimmen. Ich werde Deine 3 Themenschwerpunkte im Folgenden mal einzeln aufgreifen (Leider ist es länger geworden als beabsichtigt. Sorry, konnte aber auch nix mehr kürzen, ohne den Sinn zu entstellen):
1. Variabilität von Lehrerzielen:
Dass aus der vorliegenden Studie kaum Erkenntnisse zu gewinnen sind, die auf die Umweltabhängigkeit und zeitliche Veränderbarkeit von Zielen hindeuten, stimmt. Die umfassende Betrachtung von zeitlicher Veränderbarkeit und Umweltabhängigkeit von Zielen ist in künftigen Studien vorgesehen. Im Zentrum der aktuellen Studie steht erstmal, herauszufinden, ob das entwickelte Instrument zur Erfassung von beruflichen Lehrerzielen auch geeignet ist und ob es wie erwartet (auf Basis bisheriger Forschungsergebnisse) mit anderen Einstellungsmaßen zusammenhängt, oder ob die Zusammenhänge im Lehrerberuf doch anders sind.
Was Du genau damit meinst, dass „die typische Altersstruktur von Lehrerkollegien aus der Perspektive fällt“, verstehe ich leider nicht ganz. Ich versuche trotzdem mal, zu antworten: Die Trennung zwischen Referendarfragebogen und Lehrerfragebogen geht darauf zurück, dass bei Referendaren aufgrund der Ausbildungssituation ein paar andere Skalen verwendet werden. Dennoch wollen wir nicht (nur) diese zwei Gruppen gegenüberstellen. Zur Berücksichtigung, ob sich Ziele im Beruf ändern, werden auch die Dienstjahre (bzw. das Ausbildungshalbjahr) erfragt. Endgültige Aussagen lassen hier aber erst Studien mit mehreren Messzeitpunkten zu. Sollte Dein Kritikpunkt hiermit nicht geklärt sein, würde ich Dich bitten, das noch mal etwas auszuführen. Lehramtsstudenten haben wir im Übrigen nicht einbezogen, da wir gerade hier befürchten, aufgrund fehlender Praxiserfahrung wirklich nur Ideologien abzufragen. Wenn ich reflektieren soll, welche Ziele ich in meinem Beruf verfolge ohne zu wissen, wie ich mich im Unterrichten so mache, wo meine Stärken, wo Probleme liegen, welchen Beschränkungen ich unterworfen bin und welche Interessen sich verfolgen lassen bzw. welche nicht, dann habe ich gar keine andere Wahl, als meine Idealvorstellung anzugeben. Im Prinzip ist selbst die Erfassung der Ziele von Referendaren schon kritisch, aber die haben zumindest bereits ein wenig Praxiserfahrung.
2. Umgang mit Ideologie:
Hier möchte ich betonen, dass prinzipiell bei jeder Fragebogenuntersuchung das Problem existieren kann, dass die Leute nicht wahrheitsgemäß antworten. Dennoch werden Fragebogenuntersuchungen häufig durchgeführt und funktionieren meist auch. Da uns für das aktuelle Projekt alternative Erhebungsmethoden entweder unökonomischer oder gar ungeeignet erschienen, haben wir dem Fragebogenformat trotz seiner Einschränkungen den Vorrang gegeben. Wenn ich wissen will, was jemand denkt (bzw. wonach er strebt) kann ich ihn halt nur fragen.
Ich gebe Dir aber recht (und das wurde von uns vielleicht unterschätzt), dass es ein Problem ist, wenn die Erfassung der beruflichen Ziele von Lehrern aufgrund eines besonders ausgeprägten Ideologiekonfliktes im Lehrerberuf stärkere Verzerrungen hervorruft, als sonst üblich. Deine Idee, mit Kontrollskalen zu arbeiten, wäre dann sicher gut. Allerdings gibt es meines Wissens zwar Skalen, die erfassen, ob jemand sozial erwünscht antwortet (also z.B. sagt, er wäre IMMER pünktlich), aber nicht, wie stark jemand dazu tendiert, ideologisch gefärbte Antworten zu geben. Sollte es wirklich so sein, wie Du vermutest, dann wäre eine Erfassung von Lehrerzielen mittels Fragebogen nicht möglich und müsste sich auch in den Daten zeigen. Die paar Studien, die sich in ähnlicher Weise bisher mit Lehrerzielen beschäftigt haben, gewinnen aber durchaus brauchbare Erkenntnisse. Ich gebe die Hoffnung also nicht auf. Da ich deine Kritik aber ernst nehme, stellt sich die Frage, gibt es ein besseres Verfahren (oder zumindest bessere Frageformulierungen), mit dem Lehrerziele erforscht werden könnte? Oder ist das aufgrund des stark ideologisch durchsetzten Berufsbildes endgültig unmöglich, Lehrerziele verlässlich zu erfassen?
Zum Problem der undifferenzierten und platten Fragen: Das Problem ist die Abstraktionsebene, auf der wir Lehrerziele betrachten wollen. Ich möchte nicht wissen, welches Ziel Lehrer X in der ersten Stunde am Mittwoch im Chemieunterricht verfolgte, als er Schüler Y aufforderte, sein Kaugummi in den Mülleimer zu werfen. Die beruflichen Ziele, die wir erfassen wollen, sind situationsübergreifender Natur und müssen daher auch entsprechend abstrakt erfasst werden. Das zweite Problem, warum die Fragen so platt klingen, ist, dass sie sich halt auf das beziehen müssen, was ich messen möchte. Wenn ich Äpfel kaufen möchte und nach Birnen frage, bin ich keinen Schritt weiter. Wenn jemand denkt, man kann die Fragen auch weniger ideologiegeprägt formulieren, dem schicke ich die Skalen auch gerne mal für Überarbeitungsvorschläge zu. PN genügt.
Letzter Schwerpunkt: Nutzen der Erkenntnisse
Es mag vielleicht stimmen, dass die Untersuchung von Lehrerzielen keine massiven strukturellen Veränderungen bewirkt (auch wenn sie faktisch benötigt werden). Allerdings verkennst Du hier ein wenig den Fokus und die Handhabe von Psychologen. Es ist nicht der zentrale Fokus psychologischer Studien, das strukturelle Gefüge des Bildungssystems zu untersuchen. Psychologie beschäftigt sich immer mit dem Erleben und Verhalten von Menschen. Unter einer psychologischen Perspektive kann also höchstens betrachtet werden, welche Auswirkungen strukturelle Rahmenbedingungen auf die Wahrnehmung, die Gefühle, die Motivation, das Denken das Handeln oder die Leistung der Menschen in diesem System haben. Die Perspektive liegt dabei aber klar auf den Menschen, nicht auf dem System. Der zweite Punkt ist, dass politische Änderungen in Struktur und Aufbau des Systems Schule/Ausbildung von Psychologen höchstens angeregt werden können, die Entscheidungen über strukturelle Veränderungen fällen aber andere. Ob das als Grund ausreichen sollte, ein an sich sinnvolles Forschungsanliegen nicht weiter zu verfolgen, ist Ansichtssache.
Jetzt wünsche ich allen aber erst einmal sonnige und erholsame Osterfeiertage!
Sebastian Nitsche