Hallo schlauby,
ich bin Lehrer an einer gewerblichen Schule. An unserer Schule selbst ist es bisher noch nie zu wirklich dramatischen Vorfällen gekommen. Allerdings stelle ich fest, dass es denjenigen Schularten mit Hauptschulabschluss als Eingangsvoraussetzung eindeutig "ruppiger" zugeht und den Lehrern mit weniger Respekt begegnet wird.
Die Ursachen dafür sind ja hinlänglich bekannt: Die Schüler sind sich ihrer geringen Chancen auf dem Ausbildungsmarkt bewusst. Wenn der Trend in technischen Bereichen so weitergeht, dann wird es für die Kids in einigen Jahren nur noch zwei Möglichkeiten geben. Entweder sie werden Ingeneur oder Hartz-IV-Empfänger, denn dazwischen wird es in unserem Land nichts mehr geben. In welche der beiden Kategorien der heutige Hauptschüler fallen wird, ist leider zu 80% klar.
Ich war selbst ein Hauptschüler und habe mich danach langwierig über diverse Schularten bis zum Studium "hochgearbeitet". Es war für mich damals (80er Jahre) schon hart, aber wenn ich sehe welche Eingangsvoraussetzungen (bezogen auf gewisse Grundkompetenzen wie Problemlösung, Abstraktionsvermögen etc.) die Hauptschüler heute mitbringen, dann ist das schon erschreckend. Gerade aus diesem Grund wehre ich mich dagegen diese Entwicklung noch zu verstärken, in dem wir ihnen von Jahr zu Jahr weniger Leistung abverlangen. Auf der anderen Seite ist aber auch klar, dass uns einfach die Werkzeuge fehlen den Schülern entsprechende Konsequenzen spüren zu lassen. Hat jemand keinerlei Perspektive, dann ist die Vergabe einer schlechten Note lächerlich. (Dazu sei angemerkt, dass Während meiner eigenen Schulzeit sich niemand mit einer 5 oder 6 als "Held" feiern liess, sondern die Arbeit unter Schamesröte gleich in die Tasche gesteckt hat.) Die geringe Wertschätzung der Noten hat mich auch zu Ende des letzten Halbjahres nachdenklich gestimmt, als ich in der Pause nach Stunde einen Papierflieger aus einem soeben ausgegebenen Zeugnis (mit dem man sich normalerweise bewirbt!) unter dem Heizkörper fand.
Als wichtiges Werkzeug fehlt heute meines Erachtens die Zusammenarbeit mit den Eltern. Damit meine ich insbesondere, dass wir alle "gemeinsam an einem Strang ziehen". Während meiner eigenen Schulzeit hatten die Eltern der Klasse (nicht nur meine eigenen Eltern) sehr engen Kontakt zu den Lehrern. Einige meiner damaligen Klassenkameraden waren, was ich aus heutiger Sicht als "verhaltensauffällig" bezeichnen würde. Ich kann mich erinnern, dass damals die Eltern der entsprechenden Schüler hin und wieder im Unterricht hospitiert haben und so ihren filius bzw. ihre filia mal von einer anderen Seite erlebt haben und/oder sie durch ihre blosse Anwesenheit positiv beeinflusst haben.
Auch der Zusammenhalt der Eltern untereinander war enorm. Konnten sich Eltern nicht um ihr Kind kümmern (z.B. Alkoholabhängige) oder sind ihnen die Probleme "über den Kopf gewachsen", dann haben sich alle anderen Eltern dafür eingesetzt, eine Lösung zu finden. Wenn sich irgendjemand in diesem Gefüge nicht korrekt (d.h. mit negativen Auswirkungen auf die anderen) verhielt, dann wurde das Problem Gremium gelöst. Und zwar unabhängig davon ob es sich um einen Schüler, Lehrer oder ein "durchgeknalltes" Elternpaar handelte.
Erst vor kurzem habe ich bei meinem ehemaligen Lehrer in der Hauptschule hospitiert. Im anschliessenden Gespräch wurde klar, dass nicht zuletzt das mangelnde Engagement der Eltern heute die Situation negativ beeinflusst.
In meinen Klassen habe ich einige minderjährige Schüler sitzen. Dennoch erscheinen am Elternabend vielleicht 1 bis maximal 2 von 30 Elternpaaren. Setze ich mich bei Schwierigkeiten mit den Eltern in Verbindung, so wird die Schuld für die mangelnde Leistung entweder der Schule in die Schuhe geschoben ("Mein sohn sagt, dass alle in der Klasse schlecht waren, also wird halt einfach zu viel verlangt.") oder die Eltern reden sich anderweitig raus ("Ich habe leider keine Zeit mich um die Probleme meines Sohns/Tochter zu kümmern, weil ich die ganze Zeit auf Achse bin").
Von meinem Angebot, einfach mal im Unterricht zu hospitieren, hatte bisher leider nur ein Vater Gebrauch gemacht. Und das war gerade noch der meines "Vorzeigeschülers", obendrein -- wie sich später herausstellte -- von Beruf Fachleiter an einem Seminar.
Mir ist klar, dass heute viele Eltern aufgrund des Ringens um die Existenz im Berufsleben weniger Zeit für ihre Kinder haben. Trotzdem sollten Eltern unter Androhung von Geldstrafe verpflichtet werden (zumindest solange ihre Kids noch minderjährig sind) an Elternabenden teilzunehmen.
Nicht die Lehrer (zumindest von meiner Schule kann ich das sagen), sondern die Eltern haben sich abgekapselt. Jeder in sein Kämmerlein, in dem er über Lehrer, Unterricht, Mitschüler seines Kindes schimpft, ohne diese jemals selbst erlebt zu haben.
Solange sich daran nichts ändert, bleibt es nur eine Frage der Zeit bis es an unserer Schule auch mal kracht.
-- Drew