Zitat
Original von mcblubb
In meinem Bereich arbeiten Jungingenieure mit einem 40 Stundenvertrag. Die wchentliche Belastung sind idR 50 Stunden. Es sind belastbare Leistungsnachweise zu erbringen. Monat fr Monat. Es fallen internationale Gesch¦ftsreisen an. Die Leute verdienen meist weniger als ein Lhrer mit A13. Um in die Gehaltsregion zu kommen muss einige Jahre richtig "geblockert" werden, bis es weitergeht. Wer natrlich den Lehrerjob mit einer Schreibkraft vergleicht mag recht haben. Wir reden aber, so denke ich, ber Arbeitsverh¦ltnisse von Akademikern.
MC
Ich denke, dass dieser Vergleich mit der Arbeitszeit in der Industrie nicht ohne weiteres gezogen werden kann. Natuerlich ist die Zeit eine objektiv messbare Groesse. Allerdings wird die Hoehe deiner Arbeitszeit als Lehrer weder durch eine gewisse Maximalzeit an Wochenstunden noch durch irgendwelche Arbeitsschutzgesetze begrenzt. Klar kann jetzt argumentiert werden, dass Arbeitsschutzgesetze in der Industrie oft auch nicht eingehalten werden, aber bei uns fehlt diese Art der Kontrolle gaenzlich. Ich habe vor meinem Direkteinstieg einige Jahre unter moralisch fragwuerdigen Bedingungen in einem Industriebetrieb gearbeitet, aber selbst da war irgendwann mal bei 80 Stunden pro Woche oder nach 14 Stunden an Feiertagen mal Schluss. Immerhin gefaehrdet der Betrieb und der Arbeiter ja dadurch seinen Versicherungsschutz, wenn Unfaelle passieren. Als Lehrer hast Du das nicht. Du koenntest Dir (theoretisch) ohne Weiteres 18 Stunden an 7 Tagen pro Woche antun. An zwei Tagen pro Woche waeren bei mir allein schon aufgrund des aktuellen Stundenplans nicht mal die gesetzlichen Ruhezeiten eingehalten, die ich brauechte um Maschinen und Laboraufbauten zu bedienen.
Erschwerend kommt noch dazu, dass vor allem bei der Unterrichtsvorbereitung das subjektive Gefuehl des "fertig werdens" fehlt. Auch das kann in vielen anderen Berufen fehlen, was aber oft dann durch positives Feedback deines Vorgesetzten ausgeglichen wird. In der Schule wird sich dein Chef nicht in jede Stunde reinsetzen und sagen "Jou, Herr Schulze, das war wieder mal supertoll vorbereitet." Im Gegenteil ... wenn du Feedback vom Vorgesetzen bekommst, dann meist nur fuer ausserunterrichtliche Aktivitaeten. (Meiner Meinung nach ein Manko in unserem System ... wenn du als Lehrer Karriere machen willst, darfst du auf keinen Fall zu viel Zeit fuer guten Unterricht verschwenden ... aber das ist eine andere Baustelle.)
Durch Schuelerfeedback laesst sich das Gefuehl "genug gearbeitet" auch nicht wirklich erreichen. Der Trend geht dahin, die Schueler als "Kunden" zu verstehen, und somit koennte man auf die Idee kommen, Parallelen zum Kundenfeedback aus der Industrie zu ziehen. Ist das Kundenfeedback gut, war auch meine Arbeit in Ordnung. Da ich ein "Feedback-Fanatiker" bin und ich das Prinzip schon in meiner Industriezeit sehr hilfreich erlebt hatte, setze ich wie ein Irrer Frageboegen, Feedback Gespraeche, etc. ein. Meine persoenliche Erfahrung ist aber, dass ein Schueler (im Gegensatz zum Kunden in der Industrie keine direkte Aussage zur Qualitaet des Produkts "Unterricht" machen kann. Das liegt m.E. daran, dass bei uns zum Produkt mehr gehoert. Der Schueler ist sozusagen ein Kunde, der nur eine diffuse Vorstellung von dem hat, was er als Produkt in Auftrag gegeben hat. Ein Feedback nach Ende der Schulzeit waere aussagekraeftiger, ist aber eben nicht zeitnah und hilft nicht, um die aktuelle Unterrichtsqualitaet einzuschaetzen. Wenn ein Schueler, den man nach zwei bis drei Jahren wieder trifft immer noch vom damaligen Unterricht, der Lehrerperson, und der Sinnhaftigkeit des Stoffs begeistert ist, dann geht das doch runter wie Oel, oder? Mir zumindest ... und ich denke, die oben beschriebenen Zusammenhaenge sind der Grund dafuer.
Der Lehrer muss also jedenfalls die Qualitaet des Unterrichts mithilfe des Schuelerfeedback selbst beurteilen. Da der Schueler die Qualitaet des Unterrichts nicht stundenweise bewerten kann, besteht (meist) auch eine erstaunlich hohe Toleranz schlechter Qualitaet. Vielleicht koennte das bei fachlichen Unzulaenglichkeiten anders aussehen, aber ein didaktischer Fauxpas wird vom Schueler meist nicht erkannt werden -- oder sogar positives Feedback bringen, weil der Schueler es trotzdem Spass gemacht hat und der Schueler das Gefuehl hat, "viel dabei gelernt" zu haben.
Daher denke ich auch, dass wir die Lehrerarbeitszeit ueberhaupt nicht mit der Arbeitszeit in der Industrie ins Verhaeltnis setzen duerfen, und wenn, dann nur auf eine ganz bestimmte Lehrerperson. Fuer mich persoenlich trifft schon zu, dass ich objektiv messbar wesentlich mehr als 60 Stunden pro Woche fuer die Arbeit aufbringe. Sobald Du Klassenlehrer in mehreren Klassen bist, in div. Pruefungsausschuesse geraetst und Opfer der "Qualitaetsoffensive" wirst, geht die meiste Zeit waehrend der Schulzeit fuer administrative Arbeiten drauf. In der Industrie gibt es genau fuer diese Aufgaben Sekretaerinnen. Es gibt viele weitere Jobs, die wir uns als Lehrer eigentlich von der Arbeitsbelastung gar nicht leisten duerften, aber uebernehmen muessen. Alleine meine Taetigkeit als IT Netzwerkadministrator und Laborbetreuer stellte in meiner alten Firma eine volle Stelle (allerdings fuer einen Nicht-Akademiker) dar.
Ich bin ueberzeugt davon, dass wenn mit heutiger Wirkung alle Ferien (mit Ausnahme von 25 Tagen Pflichturlaub) abgeschafft und eine 55 Stunden-Woche mit Anwesenheitspflicht an den Schulen eingefuehrt wuerde, die Qualitaet von Schulausstattung und vor allem die des Unterrichts massiv darunter leiden wuerden.
In unserem aktuellen System leidet die Unterrichtsqualitaet "im Stillen". Wenn wir uns zum Ziel setzen, das zu erfuellen was von uns erwartet wird, dann *sind* wir chronisch ueberlastet und muessen uns das auch eingestehen. Gerade damit tun wir uns als Lehrer immens schwer, was meiner Meinung nach auch die Ursache fuer die Resignation bei erschreckend vielen erfahrenen Kollegen ist.
1. Ein Idealist wird Lehrer und versucht den unrealistischen Erwartungen des Arbeitgebers zu entsprechen
2. Er merkt, dass er sich eine unmoeglich loesbare Aufgabe gestellt hat
3. Weder seinen Kollegen noch der Gesellschaft gegenueber gesteht er sich diese vermeintliche "Schwaeche" ein. Gruende dafuer gibt es viele:
- Argumente (von denen, die den Lehrerberuf nicht kennen), dass eben wohl nicht effizient genug gearbeitet wird
- Zweifel, dem Lehrerberuf vielleicht nicht gewachsen zu sein
- Falscher Stolz (es gibt keine unloesbaren Aufgaben ... schliesslich soll man ja gerade das den Schuelern vermitteln)
- Angst vor Verlust des Status im Kollegium
4. Der Lehrer macht Abstriche ... dort, wo man's am wenigsten merkt und wo die hoechste Toleranz dafuer herrscht ... an der Unterrichtsqualitaet
5. Sinkt die Unterrichtsqualitaet, so ist der Lehrer der Erste im Klassenzimmer, dem's keinen Spass mehr macht
6. Der Lehrer rappelt sich auf ... investiert mehr ... *oder* RESIGNIERT dann irgendwann
7. Der Lehrer schiebt den Schuelern den schwarzen Peter zu ("die werden ja eh' immer duemmer";) und legt sich ein dickes Fell zu *oder* er wird krank, weil er sich jeden Tag selbst in den Unterricht pruegeln muss
Als Lehrer bekommst du keine Zulagen fuer Sonntags- und Nachtarbeit, d.h. dein Arbeitgeber kann dir alle moeglichen Arbeiten aufdruecken, ohne dass es sich auf den Finanzhaushalt des Landes auswirkt.
Persoenlich bin ich der Meinung, dass dich die Qualitaet des Unterrichts hier in Deutschland ausschliesslich aus der tatsaechlich verfuegbaren Lehrerarbeitszeit in Relation zu den Erwartungen (Verwaltungskram, Netzwerkbetreuung, Labortechnik, ...) ergibt. Ich wuerde sicher auch damit klar kommen, wenn ich ab morgen 40 Stunden pro Woche vor der Klasse stehen muesste und gleichzeitig nachmittags noch Telefondienst beim Sekretariat haette. Der Unterricht waere halt dann ein anderer ...
Genau das ist eben unser Problem. Da wir Lehrer ja so tolle Superfrauen (und -maenner) sind und wirklich "alles" hinbekommen, muessen wir einfach abwarten bis es noch eindeutiger wird, woran unser System krankt. Solange noch die Gesellschaft, das Fernsehen, die schlimmen Eltern, etc. fuer unser schlechtes "Produkt" verantwortlich gemacht werden kann, wird sich daran nichts aendern.
Die Zukunft des Lehrerberufs ist meiner Meinung nach einzig davon abhaengig, in wie fern unser Arbeitgeber seiner Fuersorgepflicht nachkommt, wobei er das nur kann, wenn er *weiss* wo der Schuh drueckt.
-- Drew
P.S. Ich verwende momentan mal keine Umlaute bei lehrerforen.de, da ich wohl ein Problem mit meinem Browser habe ...