ad 1: Hier wird ein Trend zur religiösen Ghettoisierung zunächst als Faktum in den Raum gestellt, ohne dass dafür Beweise vorliegen. Meiner Wahrnehmung nach zeichnet sich so eine Entwicklung nicht ab.
Bisschen Wahrnehmungspingpong, gerne: An meiner Schule und X Schulen, die ich kenne, gibt es neuerdings (gemeint sind die letzten 5-8 Jahre, soweit man das zurückverfolgen kann) eine wachsende Tendenz, dass religiöse und ethnische Gruppen sich auch in der Schule voneinader abgrenzen: da sitzen z.B. die konservativ religiösen in der Cafeteria mit ihresgleichen zusammen und die weniger konservativen weit entfernt - gerne werden die Mädels aber mal abgefangen und auf nicht vorhandenes Kopftuch angesprochen. Wir haben eine kleine Gruppe streng christlicher afrikanischer Schülerinnen, die im Unterricht erläutern, dass sie den Kontakt zu "weißen Mädchen" meiden müssen, da sie sie "verderben". Uvm. ähnlicher Richtung. Ähnliche Beispiele bekomme ich von vielen Schulen immer wieder auf den Fortbildungen, die ich gebe... Keine emprirische Datenlage, ich weiß, aber wenn man es immer und immer wieder hört, liest, beobachtet, erlebt - macht man sich ein Bild, das sich von gegenteiligen Behauptungen auch nicht so leicht ins Wanken bringen lässt. Religion ist unter Jugendlichen mittlerweile eine Abgrenzungsmethode. Gegen die anderen, gegen die Weichei-Eltern, gegen den Pluralismus, gegen was auch immer. Und "gegen" hat auch immer das feindliche Gegenüber im Konzept. Ich halte das für zunehmend schädlich.
"Die problematische Neigung zum konventionellen Denken" - was soll das sein? Hier sehe ich ohne Erläuterung wiederum nur ein subjektives Postulat, hinter dem ich nur eine bestimmte politische Haltung vermuten kann, die alles konservative, bewahrende per se als schlecht verurteilt. Darüber kann man natürlich streiten, aber das hat nicht viel mit dem Religionsunterricht zu tun...
Ich bin nicht der Autor dieses Satzes, aber ich erlebe das auch oft so. Nicht in jeder Religionsrichtung gleich, aber doch immer öfter und vehementer und gerade die Pluralitätsverneinung und das rückwärtsgewandte Rollenverständnis wird zunehmend schick, unter besorgten Eltern und in deren Folge dann unter Jugendlichen - das ist eine Art Konservativismus, den ich nicht schätze, den ich als bedrohlich empfinde, den ich in der Schule so wenig wie möglich wünsche. Ich erlebe nicht überwiegend, dass das dort im konfessionellen Religionsunterricht im ausreichenden Maße kritisiert wird. Der einzelne Kollege mag das anders handhaben, diesen schätze ich dann sehr, aber ich höre von den Schülern zunehmend Zitate aus dem Religionsunterricht, auch der Zuliefererschulen, die ich nicht als hilfreich einordne. Auch keine abschließende Datenlage - aber mein Alltag und der vieler Kollegen. Und der prägt eben auch, nicht nur, aber auch, mein Weltbild. Wie auch sonst.
ad 4: Darum nimmt der RU natürlich in der Auseinandersetzung mit ethischen Themen sowohl gesamtgesellschaftlich verbindliche Werte (z.B. des GG) wie auch religiös fundierte Werte (z.B. der christlich-protestantischen Tradition) in den Blick. M. E. hat es nur Vorteile, wenn wir SchülerInnen lehren, bei der Urteilsbildung verschiedenste Vorgehensweisen und Quellen für Werte/Normen zu berücksichtigen, damit sie zu einem möglichst ausgewogenen Urteil kommen können. Sich allein auf die Werte zu berufen, die eine Staatsmacht gerade gesetzt hat, hat sich in der Geschichte nicht durchgehend als lebensdienlich erwiesen...
Dazu braucht es keinen konfessionellen Religionsuntericht. Ich halte ihn für diesen Zweck für kontraproduktiv. Ich weiß nicht, ob es ein konfessioneller RU qua Definitionem leisten kann, die verschiedenen Werte so in den Blick zu nehmen, dass die Perspektive nicht sehr... konfessionell ist. Und es ist und bleibt, wie ich weiter oben schon schrieb, ein "Reden über" und nicht ein "Reden mit", wie in allen anderen Fächern. Das schätze ich überhaupt nicht. Und Pfarrer im Unterricht finde ich die Vollkatastrophe.