Ich hab zwei schwer lungenkranke Menschen in der nächsten Familie und hätte guten Grund zur Panik, freue mich derzeit aber (noch) über deren relative Gelassenheit. Hoffentlich kann das so bleiben, weil sich alle anderen besonnen verhalten.
Ich glaube, dass das für kranke, krankheitsängstliche oder anderweitig ängstliche Menschen aber eine echte, echte Herausforderung ist. Eine Kollegin mit gerade "ausgestandener" Depression/Angststörung ist am Verzweifeln, alle Symptome kommen zurück, sie ist gerade kurz nach der beruflichen Wiedereingliederung und befürchtet, sich in ein paar Wochen in der Klinik wiederzufinden (WENN die dann überhaupt noch Leute nehmen!). Eine andere Kollegin hat gerade die dringend notwendige Kur gestrichen bekommen. Wieder ein anderer Kollege bekommt seine Blutdruckmedikamente nicht mehr. Er ist umgestellt worden, es geht ihm sehr schlecht. Eine Freundin sollte operiert werden - Absage - der Knoten wächst. Ein bekannter Physiotherapeut berichtet, dass die Leute den Dauerbeitrag für die Kurse stornieren und er das auf Dauer nicht packen wird. Das kleine Off-Kino in der Nähe bangt um die Existenz.
Ich glaube, dass es schwer ist, einzuschätzen, warum individuelle Personen jetzt sehr, sehr ängstlich und im Panikmodus sind. Ich möchte es niemandem absprechen. Wir können nicht in die Leute reinschauen, für manche ist es jetzt wirklich ein Bedrohungsszenario.
Bei allem Verständnis dafür, dass Besonnenheit der einzige Weg durch die Krise ist, aber es gibt verflucht gute Gründe für individuelle Panik und mit diesen Menschen ist Solidarität angesagt. Das Gegenteil davon macht sich auf unseren Straßen/Geschäften usw. breit. Ich würde mir auch wünschen, dass statt Meldungen über Hamsterkäufen und Menschen im Panikmodus die Zeitungen voll wären von Meldungen darüber, wie man das System stützen kann.
Warum man zB nicht kleinlich seinen Mitgliedsbeitrag beim kleinen Fitnesstudio oder Physiotherapeuten oder xyz stornieren sollte, sondern lieber aus Solidarität noch 5 Euro drauflegt, auch wenn man jetz halt mal 4,6,8 Wochen nicht hinkann. Damit es nämlich danach noch da ist! Wie man die Tafeln unterstützen kann, die aus den leergefegten Supermärkten nichts mehr bekommen, so dass es wieder die Ärmsten trifft. Wie man in den Nachbarschaften netzwerkt, um die sich isoliert fühlenden, älteren, weniger mobilen oder erkrankten Menschen zu unterstützen und auch zwischenmenschlich versorgen kann. Wie man die Kneipe an der Ecke stützt, indem man hingeht und halt draußen vor der Tür ein Heißgetränk vertilgt und hohes Tringeld gibt. Wie man -... füll die Lücke mit 'ner Idee.
Stattdessen wird mit Ausrufungszeichen und im "death sells" Modus geschrieben, verkauft und publiziert und leider auch gehandelt, als gäbe es kein Morgen. Das kotzt mich an.
Nerven tun mich eher die "alles Hysteriker - ich kenne die Zahlen und weiß alles besser - wir haben es im Griff"-Apologeten auf der einen - und die Verschwörungstheoretiker auf der anderen Seite, die genauso wenig wie wir die Kristallkugel haben. Im Moment hat gerade keiner eine Ahnung ob morgen noch irgendwas im Griff ist. Man genieße also den heutigen Tag, wenn man kann, und unterstütze die, die es nicht mehr können - handelnd und mitdenkend und solidarisch.
Ich hab heute den ganzen Tag im virtuellen Büro mit Krisenbewältigung und Unterstützung verzeifelnder Kollegen, Klarstellungen ud Forderungen an die diversen Ämter und Ministerien verbracht, und mein Eindruck ist, dass doch immer noch viele auf sich und nur auf sich gucken. So funktioniert das aber nicht, auf Dauer.