Beiträge von heloise

    craff



    Zitat

    training to the test verzerrt natürlich die Ergebnisse, hat aber auch einen intrinsischen Lerneffekt.



    Das sehe ich eher weniger als intrinsische Motivation an (Findest Du irgendwo bei F.E. Weinert!)



    Bei IGLU 2001 ging es seinerzeit auch noch um die Rechtschreibung. (Prof. Dr. Wilfried Bos et. al. (Hrsg.): IGLU, Münster, New York, München, Berlin 2004)



    Zitat

    Eine Verzerrung durch Üben kann dann ja nur Lesenüben bedeutet haben.



    „Lesenüben“ hat viele Dimensionen. Sieh Dir die Übungsmaterialien, die im Handel sind, an! Die Verfasserin des Briefes spricht in Mathematik dezidiert vom ’Büffeln’ der ’Aufgabentypen’, die sich in VERA finden.



    Die für das ’Lesen’ gehandelten Übungsmaterialien gehen längst mit den unterschiedlichsten Aufgabentypen gezielt auch auf die verschiedenen Dimensionen des 'Lesens' ein. Bei etlichen Kindern lassen sich damit innerhalb weniger Tage durch strategieorientiertes ’Üben’ durchaus gewisse Fortschritte erzielen. Lernen ist allerdings etwas anderes.

    craff



    Zitat

    Zusammengenommen noch mal meine These: Eltern/Nachhilfeinstitute haben Teil am verbesserten IGLU-Durchschnitt.


    Eine notwendige Ergänzug!


    Alle möglichen Tests zu Leistungsuntersuchungen in Schulen werden heute als sog. ’lehreradministrierte Tests’ durchgeführt. Unter der Überschrift „VERA 08 – Ansichten und Einsichten“/„Vom »Mogeln«“ wurden im September 2008 in ’GRUNDSCHULE AKTUELL’, Zeitschrift des Grundschulverbandes, 4 Leserbriefe von SchulleiterInnen/LehrerInnen veröffentlicht. Hier stellvertretend – wörtlich wiedergegeben - eine Version von insgesamt 4 Briefen ähnlichen Inhalts:


    „Man kann diese Testhefte unter Verschluss nehmen, Stillschweigen bewahren und den Drittklässlern erstmals am Tag der beiden Tests vorlegen. Man kann sie sich aber auch vorher ansehen, in Kenntnis der Testaufgaben dann mit den Schülern gezielt dafür üben und die Kinder daraufhin vorbereiten.

    Die Versuchung ist groß. Welche Grundschule will nicht als stark anstatt schwach erscheinen? Welcher Lehrer will nicht als erfolgreich anstatt erfolglos dastehen? Meine Kolleginnen und ich haben uns bei befreundeten Kolleginnen umgehört. Geübt wurde überall, entweder sogar auf »heimliche« Anweisung der Schulleitung oder aus persönlicher Sorge, schlechter als andere abzuschneiden. Teilweise wurde eine richtige »Übungswoche« eingelegt und Aufgabentyp für Aufgabentyp »gebüffelt«. (...)


    Und bitte glauben Sie mir, ich rede hier nicht von Einzelfällen! (Bei einem Kontakt zu 10 verschiedenen Schulen wurde in 10!!! Schulen vorher explizit für VERA geübt.)


    Gitta Sch.“

    piep


    Lehrerinnen, die jahrgangsübergreifend unterrichten müssen, sind nicht zu beneiden. Sie sind geradezu gezwungen, mit Unterrichtschoreographien zu arbeiten, die für viele Kinder nicht effektiv sind, andererseits laufen sie ständig Gefahr, sich selber zu überfordern und schließlich in erheblichem Umfang ihrer Gesundheit zu schaden.
    Jahrgangsübergreifendes Unterrichten, wie es derzeit flächendeckend in zahlreichen Bundesländern eingeführt wird, mit Wochenplanarbeit, Freiarbeit, Werkstattunterricht, .... ist die Erfindung ausgerechnet eines NS-Pädagogen: Peter Petersen (Rassist, Antisemit, Antidemokrat und Eugeniker). In der von ihm in Jena (nach dem Jenaplan) konzipierten 10klassigen 'freien allgemeinen Volksschule' für alle mit jahrgangsübergreifendem Unterrichten plus Wochenplanarbeit, Freiarbeit, Werkstattunterricht, .... waren die Anforderungen so niedrig, dass Jenaplan-LehrerInnen es damals ruhig angehen konnten. So sah Petersen für die 10klassige (!) 'freie allgemeine Volksschule' als Lernpensum vor:


      "Im Rechnen Beschränkung auf das, was tatsächlich im Alltag gebraucht wird. Manches Rechenbuch kann auf ein Drittel oder weniger gekürzt werden.

      In der Rechtschreibung gleiche Beschränkung auf pflegerisches Einüben der wirklich gebrauchten 800-900 Wörter, d. h. der im Briefschreiben wirklich verwandten, vielleicht noch der für ein 'Eingesandt' im Leib- und Magenblatt erforderlichen Wörter,


      in der Satzlehre auf die einfachsten Konstruktionen."


    "Alles weitere darf die Volksschule getrost der eigenen Tätigkeit des Schülers im späteren Leben, besonders seiner Berufsbildung überlassen."


    (aus: Peter Petersen in: Vladimir J. Spasitsch: Die Lehrerfrage in der neuen Schule. Weimar 1927)



    Petersen war in der NS-Zeit bemüht, seine 'freie allgemeine Volksschule', die er aus dem Modell der alten deutschen Bauernschule des 19. Jahrhunderts entwickelt hatte, reichsweit einführen. Die Minimalstandards der Jenaplan-Schule galten übrigens ähnlich auch für die Adolf-Hitler-Schulen. Der Diktatur hätten zu viel an Wissen/Können/Bildung auf Dauer schaden können.



    LehrerInnen, die gezwungen sind, mit den heute ziemlich anderen Kindern nach solchen Modellen in viel zu großen Klassen zu unterrichten, und sich dennoch mit all ihren Kräften dafür einsetzen, ihre Kinder in Lesen, Schreiben und Rechnen voranzubringen, um sie so auf das wirkliche Leben vorzubereiten, sollten damit rechnen, dass sie dabei – eher früher als später – selber auf der Strecke bleiben.


    Deine Überlegungen halte ich für richtig, überlebensnotwendig. Nicht- Lehrer sehen das natürlich ganz anders!

    Orang-Utan-Klaus


    Zitat


    Natürlich möchte er sein Konzept an den Mann /Frau bringen, aber schlimm wird es dann, wenn Kolleginnen die ausgearbeiteten und "vorgegebenen" Elternabende nutzen, um das Konzept zu verewigen und alles andere verdammen!


    An meiner Schule war es ähnlich. Nach einem vorgegebenem Konzept wurden vor der Schulkonferenz zur Einführung der Methode Sommer-Stumpenhorst die Kolleginnen von der Schulleitung „in Stellung“ gebracht. Da hatten Kolleginnen, die dagegen waren oder zweifelnde Eltern keine Chancen mehr. Nach 5 Jahren war der Spuk vorbei, nachdem Eltern sich anderswo kundig gemacht hatten, was bei Unterricht mit dem Konzept Rechtschreibwerkstatt wirklich herauskam. Jetzt unterrichten wir mit einer Fibel.


    „Natürlich möchte Sommer-Stumpenhorst sein Konzept an den Mann /Frau bringen“ (Orang-Utan-Klaus): Wer unter Graf Orthos Rechtschreibwerkstatt GmbH & Co. KG > http://www.rechtschreibwerkstatt.com nachschaut, findet, was sich hinter dem Namen Sommer-Stumpenhorst verbirgt: „Sie befinden sich auf der Website der Graf Orthos Rechtschreibwerkstatt GmbH & Co. KG. Wir vertreiben und verlegen Produkte rund um das Schreiblernkonzept der Rechtschreibwerkstatt nach Sommer-Stumpenhorst.“ Angeschlossen ist der firmeneigene „Collishop“. Geschäftsführer von alledem ist Malte Stumpenhorst (Bruder?, Sohn?). Bei dem schon genannten grundschulservice wird sogar von weiteren Firmen um Sommer-Stumpenhorst berichtet. (In Brief 2 ?) Es handelt sich wohl um ein Familienunternehmen mit dem Aushängeschild "Norbert Sommer-Stumpenhorst, Schulpsychologe".


    Benno schrieb in „Was ist bloß aus der Rechtschreibung geworden?!?“


    Zitat

    Tatsache ist aber, dass die neuen Richtlinien in NRW zum Bereich Rechtschreibung so klingen, als hätte man das Lehrerhandbuch von Sommer-Stumpenhorst zitiert.


    Benno hat Recht. Darüber wundern sich allerdings nicht mehr viele. Ein alter Bekannter, ein alter Duz-Freund gar von Sommer-Stumpenhorst, Rüdiger Urbanek, NRW, vom damaligen Landesinstitut für Schule und Weiterbildung in Soest, Entwickler von Tinto, das auf demselben Konzept des Schriftspracherwerbs basiert, saß als Koordinator in der Lehrplankommission, die zuständig war für das Fach Deutsch/Grundschule.

    craff


    Hallo,


    ich versuche eine Antwort.


    Zitat

    Dass Erstklässler heute so viel schlechter sein sollen als vor dreißig Jahren deckt sich nicht mit meinen eigenen Erfahrungen.

    Sind Verhaltensauffälligkeiten bei Schuleintritt heutzutage häufiger als früher?


    Zu klären wäre natürlich, was „früher“ heißt. Glaubt man Dr. Michael Winterhoff, (Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie sowie für Sozialpsychiatrie), derzeit in den Hit-Listen der Sachliteratur ganz oben zu finden (Michael Winterhoff: Warum unsere Kinder Tyrannen werden. Gütersloh), dann wäre es tatsächlich so: "Gab es vor 15 oder 20 Jahren etwa zwei bis vier auffällige Kinder pro Schulklasse, so hat sich das Verhältnis heute genau umgedreht [...]: Von etwa 25 Kindern in einer Schulklasse sind heute noch zwei bis vier Kinder komplett unauffällig, alle anderen zeigen, in der Mehrzahl miteinander kombinierte, Störungsbilder." (ebd.) An anderer Stelle heißt es: "In der Konsequenz führt das dazu, dass der Entwicklungsstand eines Kindes bei der Beschulung nicht mehr vergleichbar ist mit dem Status quo, der etwa zu Beginn der 90-Jahre vorherrschte." (ebd.) Winterhoff behauptet allerdings nicht, eine Studie vorzulegen, die wissenschaftlichen Anforderungen entspricht. Was er vorlegt, ist wohl eher ein Erfahrungsbericht aus seiner Praxis. Seine Ausführungen sind jedoch nicht unplausibel. Du hast dennoch auch Recht: Gestörte Kinder gab es schon immer.


    · Übermäßiger Konsum jeglicher Art, auch (auch medienbezogen),
    · Vernachlässigung oder falsche ’Erziehung’,
    · Kindheit heute in veränderten sozialen Strukturen


    mögen dazu geführt haben, dass die altbekannten Störungsmuster gravierendere Erscheinungsformen angenommen haben und neue hinzugekommen sind, wir als LehrerInnen könnten zudem eine neue Sensibilität für diese Problematik entwickelt haben. Dümmer geworden sind unsere Kinder aber wohl offenbar tatsächlich nicht. Eine Studie belegt: Die sprachfreie Intelligenz ist seit 1977 von 100 auf 111 IQ-Punkte angewachsen.


    Du fragst: „Wenn sie (Anmerkung: die Störungen) häufiger sind, in welchem Lebensalter stellen sie sich ein?“ Studien dazu gibt es meines Wissens nicht, zum zweiten Teil der Frage finde ich nur die – m. E. plausible – Antwort: schon bald nach der Geburt.


    Zitat

    Meine Annahme ist vielmehr, dass einige der neueren Methoden Ursache der Störungen ist, deren Lösungen zu sein sie vorgeben.

    Allerdings scheinen manche Methoden mit ihrem Mix aus Überforderung und Unterbeschäftigung Verhaltensauffälligkeiten vielleicht eher zu verstärken als früher.


    Dass „neuere Methoden“ die Ursachen für viele der Störungen sind, ist m. E. weniger anzunehmen. Ich bin aber ganz Deiner Ansicht, dass „neuere Methoden“ zur Lösung der Probleme nichts beitragen, vielmehr bin ich davon überzeugt, dass wir das Gegenteil annehmen müssen. Mein Vorwurf gegen viele der neueren Methoden (insbesondere des Schriftspracherwerbs) ist, dass zwar sehr viel von ’Individualisierung’ die Rede ist, sie jedoch geradezu vereiteln, dass etliche der speziellen Störungen/Probleme rechtzeitig wahrgenommen können. Dass sich mit ihrer Hilfe vorhandene Defizite beheben ließen, ist nicht erkennbar. Ich denke an Störungen in den Sprachwahrnehmungsleistungen (bei der phonematisch-akustischen Differenzierungsfähigkeit, der kinästhetisch-artikulatorischen Differenzierungsfähigkeit, der melodisch-intonatorischen Differenzierungsfähigkeit, der rhythmisch-strukturierenden Differenzierungsfähigkeit) wie auch an Störungen in den in den lautsprachlichen Grundfertigkeiten (bei der Artikulationssicherheit, dem Umfang/der Qualität des Wortschatzes, dem Sprachgedächtnis, dem Sprachverstehen, der mündlichen Kommunikationsfähigkeit). Gewisse Verfechter der Methode 'Lesen durch Schreiben' versuchen sich seit Jahren in inzwischen unzähligen Veröffentlichungen gegen diese Problematik zu immunisieren, indem sie ohne jegliche seriöse Begründung, erst recht nicht aufgrund wissenschaftlicher empirischer Untersuchungen, vom ersten Schuljahr an die Kinder in lernstarke, schnell lernende und langsam lernende Kinder einteilen und damit die Frage der Defizite in den Sprachwahrnehmungsleistungen und lautsprachlichen Grundfertigkeiten bei immerhin hierzulande derzeit weit über 100.000 neu eingeschulten Kindern mit Schwierigkeiten/Störungen schlichtweg ignorieren. Mit einfach nur langsamem Abarbeiten von Kärtchen lassen sich die oben genannten Defizite nicht – wie von selbst – beheben. Das alles ist natürlich nicht Individualisierung, zumal Üben mit immer wieder denselben Materialen für alle stattfindet! Diese Art des Fortschreitens, für die einen langsamer, für andere schneller, hätte man – allerdings weniger aufwändig - schon in den vergangenen Jahrzehnten auch mit den schwächsten Fibeln arrangieren können. Ich halte es daher auch für wenig überlegt , wenn man Kolleginnen, die mit einer Fibel arbeiten, ’gleichschrittiges Arbeiten mit allen’ vorhält. Außerdem: moderne Fibeln sind heute in der Regel pfiffiger angelegt und bieten eine Vielzahl von Differenzierungsmöglichkeiten. Kompetente Lehrerinnen werden sich jedoch darüber hinaus in mancher Situation sehen, in der auch das noch nicht ausreicht und sie bei besonderen Schwierigkeiten spezielle Arbeitsmaterial selbst entwickeln müssen.
    Mich erstaunt immer wieder, dass der theoretische Ansatz aller Methoden mit dem Konzept „Lesen durch Schreiben“ so wenig hinterfragt wird. Bei J. Reichen finden wir (http://www.heinevetter-verlag.de/05/leitsaetze.htm:(


    “Der Schriftspracherwerb ist genetisch bedingt.“


    So kann es aber wohl eben nicht sein. Lesen und Schreiben sind Kulturtechniken, die erst erlernt werden können, seitdem es die Schrift gibt, und die gibt es erst seit etwa fünf- bis sechstausend Jahren. Während sich über einen langen Zeitraum hinweg im menschlichen Hirn bestimmte Dispositionen zum Erlernen des Sprechens herausbilden konnten, war dies für das Erlernen des Schreibens und Lesens in der kurzen Zeit von nur wenigen tausend Jahren natürlich nicht möglich. Es gab auch keinen Evolutionsdruck, der auf die Entwicklung der Fähigkeiten zu lesen oder zu schreiben im Hirn hingewirkt hätte. Der den meisten Lehrerinnen bekannte Hirnforscher Prof. Manfred Spitzer (in seinem Buch ’Lernen’): „Unser Gehirn ist für das Lesen nicht gebaut. Es entstand lange vor der Erfindung der Schrift und aufgrund von Lebensbedingungen, die mit den heutigen wenig gemeinsam haben. Eines zeichnete diese Lebensbedingungen ganz gewiss nicht aus: Schrift auf Schritt und Tritt. Wer liest, der missbraucht also zunächst einmal seinen Wahrnehmungsapparat für eine nicht artgerechte Tätigkeit, etwa wie ein Fliesenleger seine Knie missbraucht, um in Bädern herumzukriechen oder wie ein Tennisspieler, der seinem Ellenbogen das Aufnehmen von mehr Kräften zumutet, als dieser verkraften kann. Noch einmal anders ausgedrückt: Das Gehirn verhält sich zum Lesen wie ein Traktor zum Formel -1-Rennen, für dessen Tuning man kurz vor dem Rennen zwei Stunden Zeit bekommt.“ Dass nach tausenden Stunden des Übens Menschen tatsächlich lesen können, ist für Spitzer ein wichtiger Beweis: Das menschliche Hirn "kann Tätigkeiten lernen, die ihm nicht in die Wiege gelegt sind." Und was für das Lesen gilt, gilt natürlich auch für die Kulturtechnik des Schreibens.


    Aus dem falschen Ansatz heraus konnten sich über Jahre hinweg Werbesprüche wie der für die Methode ’Tinto’ des Cornelsen-Verlags halten: „Grundlage der Materialien in der Lehrwerksreihe ist die Idee, dass Kinder sich den Weg in die Schriftsprache weitgehend selbstständig erarbeiten können.“


    Die Münsteraner Professorin Hanke rechtfertigt den Einsatz moderner Methoden (dazu gehört bei ihr auch ‚’Lesen durch Schreiben’) damit, „dass der pädagogisch-didaktische Ansatz der ’Öffnung des Unterrichts’ sich als ein Konstrukt aus theoriegeleiteter Perspektive als plausibel und für die Realisierung des Bildungsauftrags der Grundschule als brauchbar erweist.“ Wir hätten Katastrophen ohne Ende, wenn auch Chirurgen nach solchen Maximen arbeiten dürften.
    Ich komme noch einmal zurück auf die letztgenannten Zitate aus Deinem Beitrag:


    Es ist inzwischen hinreichend erwiesen, dass „neuere Methoden“ in größerem Umfang methodenverursachte LR-Schwierigkeiten auslösen können (und auch so wirken), wie auch bekannt ist, dass schwächere SchülerinInnen damit überfordert sind.


    Schönes Wochenende!


    Heloise
    (die ein arbeitsreiches Wochenende vor sich hat)

    craff


    Hallo,


    Deine Frage:


    Zitat

    Gibts hierüber Studien?


    Auf der ersten Seite dieses Diskussionsstrangs „Was ist bloß aus der Rechtschreibung geworden?!?“ habe ich ausführlicher dazu zitiert.


    Vor kurzem, August (?) 2008 erschien bei Beltz ’Entwicklung von der Kindheit bis zum Erwachsenenalter/Befunde der Münchener Längsschnittstudie LOGIK’ (Herausgeber: Wolfgang Schneider, ISBN 978-3-621-27605-4) Darin ist auf den Seiten 181-186 mehr über die inzwischen dritte Untersuchung zu finden.
    Initiiert hatten damals die Längsschnittstudie ’LOGIK’ Prof. Dr. Franz E. Weinert †, Direktor des Max-Planck-Instituts für psychologische Forschung in München, und Prof. A. Helmke.


    Im Vorwort heißt es: „Sie (Anmerkung: die Studie) wurde von Franz E. Weinert [....] und seinem wissenschaftlichen Team Anfang der achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts sorgfältig vorbereitet und im Jahr 1984 begonnen. Die gleiche Gruppe von etwa 200 (zunächst) 4-jährigen wurde über einen Zeitraum von etwa 20 Jahren begleitet. Im Jahr 2004 wurde die LOGIK-Studie abgeschlossen.“


    Bis 2006 wurden die Studie ausgewertet, jetzt werden die Ergebnisse veröffentlicht.


    Die Professoren Franz E. Weinert †, ehemaliger Direktor des Max-Planck-Instituts für psychologische Forschung in München, und Prof. A. Helmke sind übrigens in keiner Weise verdächtig, diese Untersuchungen interessengeleitet durchgeführt zu haben – sie unterhalten auch keinerlei Kontakte zur Lehr-/Lernmittelindustrie.

    @Iissis, hallo!


    Zu Deiner Frage:
    G. Augst/M. Dehn (in: Rechtschreibung und Rechtschreibunterricht, Stuttgart-Düsseldorf-Leipzig 2002), Seiten 207/208, das Zitat:


    „Das Ergebnis ist sehr markant: Die Klassen, die im Unterricht explizit Möglichkeiten der Schriftorientierung erhalten, schreiben deutlich mehr Wörter pro Text (im Durchschnitt 22 Wörter pro Text – nach einem halben Schuljahr!) gegenüber den Klassen, die auf implizites Lernen mit Hilfe der Buchstabentabelle setzen (im Durchschnitt 10 Wörter pro Text) – mit jeweils einer Ausnahme (Klasse 19, Klasse 6). Die Klassen, die im Unterricht explizit Möglichkeiten der Schriftorientierung* erhalten, sind zugleich die Klassen, die am Ende von Klasse 2 zu den leistungsstarken Klassen im Rechtschreiben gehören. Die, die diese Möglichkeit nicht praktizieren, gehören zu den leistungsschwachen (wiederum jeweils mit einer Ausnahme). Die Rechtschreibleistung der Klassen bleibt auch bis zum Ende von Klasse 3 ziemlich konstant."


    *'Schriftorientierung' bedeutet bei G. Augst/M. Dehn 'Fibelunterricht'


    Testergebnis (lt. G. Augst/M. Dehn): Bei den vier besten Klassen (von insgesamt 20 Klassen) ist einmal ‚Reichen’ vertreten, bei den vier schwächsten Klassen ‚Reichen’ jedoch 3 X. Unter den sieben schwächsten Klassen in der Rechtschreibung ist keine Klasse mit einer ’Eigenfibel’.


    Aus Deinem Zitat: „Aber: der Lehrgang determiniert diesen Prozess nicht. Auch mit 'Lesen durch Schreiben' können alle diese Phänomene beobachtet werden.“ Diese Einlassungen sind natürlich in ihrem Kontext zu betrachten, immerhin heißt es dann weiter: „Es kommt, so kann man vermuten, auf die jeweilige Modifikation im Unterricht an, auf die Schriftorientierung." Und Schriftorientierung heißt bei G. Augst/M. Dehn ’Fibelunterricht’.



    Du führst an, „...., dass es weniger darauf ankommt, nach welcher Methode die Schüler unterrichtet werden.“ Ich denke, dass gute Lehrer mit den besten Methoden hocheffektiv arbeiten können, mit schlechten Methoden können sie es – mit erheblichem Mehraufwand - versuchen.

    Etliche Studien berichten mittlerweile darüber, dass die Methode „Lesen durch Schreiben“ schlechtere Rechtschreiber hervorbringt als ein Fibelunterricht. In einer Untersuchung fanden G. Augst/M. Dehn (in: Rechtschreibung und Rechtschreibunterricht, Stuttgart-Düsseldorf-Leipzig 2oo2) heraus, dass nach „Lesen durch Schreiben“ unterrichtete Kinder nicht nur die bei weitem schlechteren Rechtschreiber waren, sondern auch beim Verfassen von freien Texten nicht mithalten konnten. Nach dem ersten Schulhalbjahr


      schrieben die Fibelkinder pro Text durchschnittlich 22 Wörter,
      die nach „Lesen durch Schreiben“ unterrichteten Kinder schrieben im Durchschnitt 10 Wörter pro Text – mit katastrophaler Rechtschreibung.


    Nachzulesen bei: G. Augst/M. Dehn (in: Rechtschreibung und Rechtschreibunterricht, Stuttgart-Düsseldorf-Leipzig 2oo2

    "craff" und "*mariposa* schließe ich mich unbedingt an:


    "Ich habe meine guten und schlechten Rechtschreiber nach der Lehrmethodik befragt. Am besten schreiben diejenigen, die in der ersten Klasse Buchstabe für Buchstabe gelernt und Wort für Wort geschrieben haben.
    Bei den anderen (Reichen-Methode, "Lesen durch Schreiben", Rechtschreibwerkstatt etc.) schneidet nicht etwa isoliert die Rechtschreibung mangelhaft ab, Ausdruck, Grammatik und Satzbau leiden ebenso, selbst bei Schülern, die recht viel lesen." (craff)


    Im Übrigen passt es an dieser Stelle, noch einmal aus "grundschulservice.de" zu zitieren:


    "Die besondere Bedeutung der Schriftkompetenz schon in alter Zeit beschreibt der Sprach- und Kommunikationswissenschaftler Prof. Dr. Peter Stein (Peter Stein: Schriftkultur. Eine Geschichte des Lesens und Schreibens. Darmstadt 2006) und zeigt, dass es schon immer so war - wie es wohl auch heute noch bzw. schon wieder ist:


    "Schriftkompetenz war eine Spezialfähigkeit, die zur Herrschaftsausübung gehörte und deswegen Eliten vorbehalten war. So betrachtet hat die Fähigkeit zur Schriftnutzung den Effekt gehabt, Herrschaft zu erhalten und zu erhöhen. Der französische Ethnologe C. Lévi-Strauss ging sogar so weit zu behaupten, »daß die Schrift zunächst der Ausbeutung des Menschen diente, bevor sie seinen Geist erleuchtete.« (Zit. nach Kuckenburg (1989), S. 220.) Dieses Interesse ist nicht zu bestreiten, zumal unverkennbar ist, dass im Schreiben immer ein Fest-Schreiben wirkt, das Schrift zur Vorschrift werden lässt und die Texte in ihrer kanonischen Funktion zur Geltung bringen will."


    "Es wird so bleiben: Schriftkompetenz ist auch heute weiterhin ein bedeutendes Instrument der Herrschafts-/Machtausübung - in allen möglichen, auch in halbprivaten und sogar in privaten Lebensbereichen. Schon Anträge, Verträge, Ankündigungen, Aufforderungen etc. wird der eher weniger lesekompetente Leser - zu seinem Schaden - oft nicht verstehen können oder missdeuten. Geht mit einer defizitären Lesekompetenz eine mangelhafte bzw. unzureichende Formulierungs- und Rechtschreibkompetenz einher - was in der Regel der Fall ist - , findet sich der auf diese Weise in seiner Sprachhandlungskompetenz Restringierte schon bald in der - je nach Fall und Situation unterschiedlich ausgeprägten - Verliererrolle. Man weiß, dass Menschen, die in ihrer Sprachhandlungskompetenz Defizite haben, oft genug ihre Rechte nicht wahrzunehmen imstande sind oder aus Scham darüber, jemand könne sich über ihre schriftlichen Einlassungen belustigen, darauf verzichten. Schon zu Zeiten der industriellen Revolution im vorletzten Jahrhundert initiierten über Jahrzehnte hinweg Arbeitervereine und Arbeiterbildungsvereine, aus denen später die SPD hervorging - teilweise in Sonntagsschulen - Bildungsmaßnahmen für die in der Regel nur wenig gebildeten Industriearbeiter: schwerpunktmäßig auch Schulungen zur Erweiterung der Schreib-/Lesekompetenz. Das angestrebte Ziel war eine aufgeklärte mündige Arbeiterschaft, die ihre Situation zu durchschauen imstande war sowie reif und fähig sein sollte, sich auf friedlichem Wege aus ihren Fesseln zu befreien sowie für die Errichtung einer Demokratie zu kämpfen und diese mitzutragen."


    "Dass während der letzten Jahrzehnte ausgerechnet in von der SPD geführten Ländern eine Schulpolitik gemacht wurde, die nicht nur ganz allgemein der Bildung lediglich einen geringen Stellenwert einräumte, sondern auch die Bildungsansprüche hunderttausender Benachteiligter mit den unterschiedlichsten Handikaps sowie unterprivilegierter Kreise ignorierte, ist skandalös. Der Anteil der benachteiligten Kinder wächst derzeit um viele Kinder aus der Mittelschicht weiter an: ..." (Elternbrief achtzehn)


    Schriftkompetenz und damit Sprachhandlungskompetenz zu erlernen, fängt in der Grundschule an. Für die meisten Kinder, die den Einstieg bis zur zweiten Klasse verpassen, ist der Zug abgefahren.

    Benno


    Zitat

    Tut mir leid, aber nur weil jemand einen Doktor- oder gar Professorentitel trägt, ist er nicht unbedingt ein "anerkannter Wissenschaftler". Wenn man genauer hinsieht, dann sind viele der Kritiker vom Schreiberfahrungsansatz, Lesen durch Schreiben oder anderen freieren Erstlese- und Erstschreibkonzepten, Mitherausgeber von Fibeln - und damit eben nicht wirklich objektiv ...


    Richtig! Das gilt leider für etliche Professoren, daran ist allerdings auch der zitierte Professor Brügelmann zu messen, der auf der "anderen" Seite steht. Darüber habe ich auch in dem genannten Elternbrief Nr. 13 bei grundschulservice (ziemlich unten) etwas Entsprechendes gelesen.


    Zitat

    "reaktionär" bedeutet laut Meyers Lexikon "an nicht mehr zeitgemäßen (politischen) Verhältnissen festhaltend, nicht fortschrittlich." Und das trifft auf viele Beiträge auf der zitierten Internetseite zu. - Was im übrigen meine persönliche Meinung ist...


    Auch das ist völlig korrekt, ändert aber nichts an der Tatsache, dass 68er ihre Meinungsgegner als "reaktionär" beschimpften und dabei mit Argumenten geizten.


    Im Übrigen sind "fortschrittlich" und "modern" keine Wertbegriffe. Als "modern" und "fortschrittlich" galten auch bis vor Kurzem noch unsere Finanz- und Wirtschaftssysteme.

    Benno


    Ich bin dem Vorschlag gefolgt und habe noch einmal bei grundschulservice.de herumgestöbert. Dabei habe ich noch einmal den „Elternbrief“ Nr. 13 besonders gründlich gelesen: Die dort zitierte Literatur entstand durchweg in diesem Jahrtausend, von anerkannten Wissenschaftlern, wie man sich überzeugen kann. Vielen Argumenten kann ich gut folgen. „Reaktionär“ ist m. E. ein Schimpfwort der 68er, wenn ihnen die Argumente ausgegangen waren.


    Im Übrigen schließe ich mich der Frage „Schlaubys“ an (ganz zu Anfang): „Ist dieser ganze "moderne" Deutschunterricht eigentlich Blödsinn?“
    Immer häufiger habe ich den Eindruck, dass heute versucht wird, die Kinder den sog. modernen Methoden anzupassen anstatt umgekehrt.


    Frage an Melosine: An welcher Stelle sind meine Beiträge polemisch?


    Darüber hinaus bin ich der Auffassung, dass sich die User eine eigene Meinung bilden dürfen und ihnen nicht vorgeschrieben werden dürfte, was sie zu denken haben. Ich denke, dass auch in diesem Forum die Prinzipien der Meinungsfreiheit nicht außer Kraft gesetzt werden dürften.

    Rottenmeier

    Zitat

    Ich bin vor über 10 Jahren in meiner Examensarbeit im 1. Staatsexamen, in der es um Leserechtschreibschwierigkeiten ging, auf das Konzept der Rechtschreibwerkstatt gestoßen.


    Die Rechtschreibwerkstatt in der heutigen Form gibt es erst seit 8 Jahren.


    sunshine_lady


    In meinem Bekanntenkreis - und wie ich höre auch anderswo - hat man die 'Rechtschreibwerkstatt' längst wieder abgewählt:


      wegen der erheblichen Widerstände vieler Eltern (auch Kollegen),
      wegen der außerordentlich hohen Kosten,
      wegen der vielen fehlerhaften Materialien,
      weil sich so viele weiterführende Schulen und Eltern über schlechte Rechtschreibleistungen nach der Arbeit mit Sommer-Stumpenhorst beklagt haben.

    Rottenmeier

    Zitat

    Ich bin vor über 10 Jahren in meiner Examensarbeit im 1. Staatsexamen, in der es um Leserechtschreibschwierigkeiten ging, auf das Konzept der Rechtschreibwerkstatt gestoßen.


    Die Rechtschreibwerkstatt in der heutigen Form gibt es erst seit 8 Jahren.


    schlauby


    In meinem Bekanntenkreis - und wie ich höre auch anderswo - hat man die 'Rechtschreibwerkstatt' längst wieder abgewählt:


      wegen der erheblichen Widerstände vieler Eltern (auch Kollegen),
      wegen der außerordentlich hohen Kosten,
      wegen der vielen fehlerhaften Materialien,
      weil sich so viele weiterführende Schulen und Eltern über schlechte Rechtschreibleistungen nach der Arbeit mit Sommer-Stumpenhorst beklagt haben.

    Zitat

    Ich denke, zu Beginn von Kl. 3 ist es nicht ungewöhnlich, dass die Kinder insbesondere beim freien Schreibe oder z.B. in Sachkunde, noch sehr viele Fehler machen. Sie konzentrieren sich dann einfach so auf den Inhalt, dass die RS außen vor bleibt.


    Zitate:


    „Lernstrategisch ist die 2. Klasse von besonderer Bedeutung“, das sagte jüngst Professor Peter May von der Universität Hamburg auf einer Fortbildungsveranstaltung. In seinem Elternratgeber warnt Prof. Schulte-Körne (in: Elternratgeber Legasthenie. München 2004) daher auch die Eltern: „Wenn Ihr Kind in der Mitte bis zum Ende des zweiten Schuljahrs Lese- und Rechtschreibschwierigkeiten hat, bleiben diese Probleme häufig bis zum Ende der Schulzeit bestehen.“ Fachwissenschaftler Prof. Klicpera u.a. wiesen schon 1993 in der „Wiener Längsschnittstudie“ nach, dass kaum ein Schüler, der zu Beginn der 2. Klasse Lese- und Rechtschreibschwierigkeiten aufwies, in der 8. Klasse durchschnittliche Leistungen erzielte. Prof. Shaywitz u.a. belegten dann 1999 mit der sogenannten Connecticut Studie, dass diese Schwierigkeiten mindestens auch noch bis zur 12. Klasse anhielten. Und Manfred Spitzer, der wohl bekannteste deutsche Hirnforscher bilanziert dazu: „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr. In neurobiologischer Hinsicht ist diese Volksweisheit längst eingeholt und auf vielfache Weise bestätigt“ (Lernen - Gehirnforschung und die Schule des Lebens. Heidelberg/Berlin 2002). Auch Hochschuldozentin Frau Dr. Dummer-Smoch von der Pädagogischen Hochschule Kiel wird nicht müde, immer wieder darauf hinzuweisen: „Wenn Kinder im ersten halben Schuljahr den Zugang zum Lesenlernen nicht finden, dann ist das in der Regel ein Problem von Anfangsschwierigkeiten.“ Daher muss spätestens während oder nach der 2. Klasse schlüssig geklärt werden, welche Kinder Schwächen aufweisen und wie sie individuell am effektivsten gefördert werden können.

    Zitat

    Mir ist die Rechtschreibung der Schüler sehr wichtig. Habt ihr Tipps, wie man ihnen auf dem Weg dahin gut helfen kann? Wie wurde es "früher" gemacht (ich kann mich leider an den Deutschunterricht in meiner Schulzeit nicht erinnern, habe aber meine alten Diktathefte hier und weiß, dass ich in der vierten Klasse nahezu fehlerfrei geschrieben habe...)?


    Meine Grundschulzeit liegt schon etwas länger zurück. Ich erinnere mich an:

      - konseqente Arbeit mit der Fibel/für die 'besseren' Schülerinnen hatte der Lehrer handgeschriebene passgenaue weiterführende Aufgaben vorbereitet und Materialien dazu bereitgestellt,
      - ständiges Üben/Wiederholen für schwächere und bessere Schülerinnen, ständige Kontrollen der Ü-Aufgaben durch den Lehrer,
      - es gab keinerlei Arbeitsblätter, wohl weil die heutigen Vervielfältigungsmöglichkeiten noch unbekannt waren.


    Das war alles.

    Schon vor gut zehn Jahren überprüften zwei junge Wissenschaftlerinnen der Universität Heidelberg, Claudia Zerahn-Hartung und Ute Pfüller, den Wahrheitsgehalt dieser immer wieder einfach so daher gesagten Behauptung.


    Sie ließen 592 junge Erwachsene (16-30-jährig) aus verschiedenen Berufsgruppen einen Rechtschreibtest absolvieren, wie er unter denselben Bedingungen schon 30 Jahre zuvor mit einer Testgruppe durchgeführt worden war. Ergebnis: Die Probanden schrieben doppelt so viele Wörter falsch wie damals. Während seinerzeit 5 % der Arbeiten mit „ungenügend“ bewertet werden mussten, waren es 30 Jahre später 39,1 %. Zählt man die 9,1 % der mit „mangelhaft“ zu bewertenden Arbeiten hinzu, ergeben sich, an dem damaligen Berechnungsmodus gemessen, 48,2 % nicht ausreichender Rechtschreibleistungen: Nahezu die Hälfte aller Probanden erzielte also nicht einmal ausreichende Ergebnisse.


    In 2001 führte der Schulpsychologe Alexander Geist (in: Ganser/Richter et al.: Was tun bei Legasthenie in der Sekundarstufe? Donauwörth 2005) eine ähnliche Untersuchung durch. Diesmal waren die Probanden ausschließlich Gymnasiasten der 5. Klasse. Sein Befund: Während die Ergebnisse in den 60er Jahren der Normalverteilung (nach Gauß) entsprachen, müssten heute, 40 Jahre später, etwa 40 % der Gymnasiasten aus der 5. Klasse als rechtschreibschwache Schüler oder Legastheniker eingestuft werden. Hinzurechnen müsste man eigentlich noch die Zahl der rechtschreibschwachen Realschüler und Hauptschüler. Darauf müssen wir jedoch verzichten. Grund: Real- und Hauptschullehrer hatten Alexander Geist von einer Untersuchung dieser Schülergruppen abgeraten, um eine Katastrophe zu vermeiden: Schüler dieser Schulformen wären unsagbar überfordert gewesen. Sind unsere Kinder also dümmer geworden? Das Gegenteil ist der Fall! Die oben genannten Forscherinnen betonten in diesem Zusammenhang, dass die sprachfreie Intelligenz seit 1977 von 100 auf 111 IQ-Punkte angewachsen ist.


    Auch das ist erwähnenswert: Unmittelbar nach dem Fall der Mauer wurden vergleichende Studien zur Rechtschreibung in Ost und West (im Stadtstaat Hamburg) durchgeführt (Prof. Peter May, Universität Hamburg). Ergebnis: Die Rechtschreibung im Osten war deutlich besser als im Westen (im Stadtstaat Hamburg).


    Peter May bilanziert:


    "Bezüglich der Rechtschreibsicherheit bei vorgegebenen Wörtern und Sätzen zeigen die ostdeutschen Kinder in allen Klassen deutliche Vorteile, wobei die Unterschiede zu den Hamburger Kindern im Laufe der Grundschulzeit wachsen. Die Unterschiede bleiben auch dann enorm, wenn die - in Hamburg wesentlich häufigeren - Ausländerkinder aus dem Vergleich ausgeklammert werden. Der Anteil von Schülern mit Rechtschreibleistungen, die nach Hamburger Kriterien als überdurchschnittlich einzustufen sind, ist schon gegen Ende der ersten Klasse höher und steigt bis gegen Ende der Grundschulzeit auf etwa 60 Prozent. Gleichzeitig ist die Gruppe der schwachen Rechtschreiber in der DDR zahlenmäßig gering, und extrem schwache Rechtschreiber finden sich dort äußersterst selten." (RS-Lernen in West und Ost , Peter May 92/02)


    "Bezüglich der Rechtschreibung in Aufsätzen zeigen sich die DDR-Kinder am Ende der vierten Klasse den Hamburger Kindern im Mittel deutlich überlegen: 95,4 % aller Wörter der DDR-Kinder enthalten keine Rechtschreibfehler (in Hamburg: 86,3 %). Noch deutlicher werden die Unterschiede, wenn man nur die verschiedenen Wörter (ohne Eigennamen) betrachtet: 92,4 % (DDR) vs. 77,8 % (im Westen) der verschiedenen Wörter enthalten weder Rechtschreib- noch Grammatikfehler." (RS-Lernen in West und Ost , Peter May 92/02)


    Eine Studie 15 Jahre später ergab: Mittlerweile war die Rechtschreibung im Osten genau so schlecht wie im Westen.


    Alexander Geist nennt auch die Hauptursache für diese Entwicklung in die Rechtschreibkatastrophe: die didaktischen und methodischen Fehlentwicklungen, u. a. fehlende Systematik, unreflektierter Einsatz der Spielmethodik, der übermäßige Einsatz von Arbeitsblättern, kurzum: der Unterricht.


    Quelle: http://www.grundschulservice.de


    Die Ergebnisse der o. g. Studie wurden inzwischen durch die Logik-Studie (Weinert, Helmke et al.) bestätigt.

    Hallo,


    inzwischen habe ich mich etwas näher mit dem "Grundschulservice" befasst. Der 13. Elternbrief (http://www.grundschulservice.de/Elternbrief%20Nr.%2013.htm) scheint mir allerdings schon deshalb sehr interessant zu sein, weil hier einmal eine ganz andere Sicht dargestellt wird. Gut finde ich auch, dass sich der Schreiber immer auf profilierte Wissenschaftler bezieht.
    Dass der Verfasser manchmal ein wenig zu arg gegen alternative Konzepte polemisiert, finde ich auch. Einerseits lächerlich und andererseits ziemlich militant ist allerdings die hier vorgetragene Argumentation dagegen. Da schreibt mal jemand gegen alternative Konzepte im Schriftspracherwerb (was meines Erachtens so auch nicht stimmt), und gleich darauf folgt der Ordnungsruf: „Allein deswegen sollte sich niemand für einen Fibellehrgang entscheiden.“ Das ist schon ziemlich daneben.


    Besseres Wetter wünscht
    H.H.

    "Bei uns startet in den Jahrgängen 1 und 2 nach den Ferien der jahrgangsübergreifende Unterricht. Keiner von uns hat das je gemacht. Alles, was wir "wissen" haben wir gelesen oder gehört, nichts ist aber wirklich konkret."


    Das scheint so üblich zu sein. Möglicherweise ist das auch der Grund für die vielen Misserfolge. Wissenschaftlich gesehen gibt es aber tatsächlich keine Studie, die die Erfolge des jahrgangsübergreifenden Unterrichts belegt. Die Idee stammt wohl von Peter Petersen, der einer der ganz großen Nazi-Pädagogen gewesen sein soll. Zum jahrgangsübergreifenden Unterricht (Flex) und zu Petersen gibt es Berichte bei http://www.grundschulservice.de.


    An mir ist dieser Kelch gottseidank vorbeigegangen. Dir wünsche ich dennoch viel Erfolg bei Deiner Arbeit.


    H.H.

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