Vor hundert Jahren gab´s in den Schulen Frontalunterricht für alle und kompliziert gebrochene Beine wurden amputiert. War für die damaligen Ansprüche beides in Ordnung: Beide Maßnahmen wurden meist überlebt.
Wenn ein Chirurg in einem entwickelten Land heute sagen würde "Ich find das stundenlange Gefrickel an so ´nem komplizierten Bruch total ineffektiv: In der Zeit kann ich locker 5 Beine amputieren. Das mach ich seit Jahrzehnten, das war schon immer gut, und ihr anderen Döskoppe wollt ja immer nur frickeln, weil ihr einfach unfähig seid, ´ne schöne, saubere Amputation hinzulegen.", dann ist der seinen Job los und kann zusehen, wo er nochmal einen kriegt.
Tatsache ist: Immer noch gibt es Situationen, in denen ein verletztes Bein amputiert werden muss. Aber Fachleute, die sich ständig weiterbilden, können Diagnostik, kennen eine Vielzahl chirurgischer Methoden, wissen um deren Vorteile, Risiken, Kontraindikationen und können all die vielen Parameter gegeneinander abwägen und dann die geeignete Methode anwenden.
Unser Dienstherr ist das jeweilige Bundesland. Und das gibt per Gesetz unseren Arbeitsauftrag vor. Inzwischen dürfte in jedem Schulgesetz drinstehen, dass die Aufgabe eines jeden Lehrers, unabhängig von der Schulform, darin besteht, die ihm anvertrauten Schülerinnen und Schüler individuell so zu fördern, dass sie ihr Potential entfalten und ausschöpfen können. Welche Schüler einem konkret anvertraut werden, entscheidet der Dienstherr. Das kann einem nun passen oder nicht: Tatsache ist, dass dies die Aufgabe jedes Lehrers ist. Dazu gehört selbstverständlich auch, lebenslang an seinen pädagogischen, didaktischen, emotional-sozialen und fachlichen Fähigkeiten zu arbeiten, um tatsächlich der Fachmann für das Lernen zu sein (was ja der Anspruch an einen Lehrer ist). Der Beruf des Lehrers ist ja nicht dafür da, Leute, die zu unflexibel und bequem für alle nicht-verbeamteten Berufe sind, aufzufangen, damit sie sich da unbehelligt an ihre persönliche Vorliebe klammern können.
Und da liegt auch schon wieder eines der Probleme unseres Bildungssystems. Um nochmal zum Bild des Chirurgen zurückzukehren: Wäre unser Gesundheitssystem so wie unser Bildungssystem, müssten wir uns von dem Chirurgen operieren lassen, dem wir zugeteilt werden. Pech halt, dass in dem System leider auch Leute arbeiten, die sich für Dreiviertelgötter in Weiß und Diagnostik für unter ihrem Niveau halten, da schließlich jeder Beinbruch per Amputation effktiv und nachhaltig beseitigt werden kann. Da diese Leute dummerweise nicht kündbar sind, muss das System die leider mitschleppen und weiterhin eine Menge Einbeinige erzeugen.
Für junge Erwachsene, die befähigt werden sollen, ein eigenständiges, sich selbst und der Gesellschaft verantwortliches Leben zu führen, reicht es nicht, Fakten reproduzieren zu können. Unsere Gesellschaft braucht Menschen, die Probleme erkennen, analysieren und Lösungsstrategien entwickeln können, die dabei das Ganze immer im Blick behalten, die aufgrund der zunehmende hohen Komplexität der heutigen und künftigen Anforderungen zur Kooperation fähig sind und über ein sehr großes Maß an Selbstregulation verfügen, um mit den globalisierungsbedingt extrem vielfältigen kulturellen Herausforderungen sehr besonnen und feinfühlig umgehen zu können. Da muss Bildung viel mehr leisten als gute Lehrervorträge. Einbeinig wird sich die Gesellschaft sonst vermutlich ganz schön ins verbliebene Knie schießen...