Bei der ganzen Diskussion fehlen mir noch ein paar Aspekte:
- Es gibt da eine Generation, die besonders laut schreit, dass Deutschland vom Untergag bedroht sei, weil "die heutigen Kinder" die Orthographie und das Einmaleins (und das Schönschreiben einer Schreibschrift) nicht in dem gleichen Maße beherrschen wie ihre Generation. Die Leistung dieser Generation bestand darin, Technologien zu entwickeln, die diese Fähigkeiten im Alltag weitgehend verzichtbar machen.
- Das Versäumnis dieser Generation besteht darin, dass sie ihr Leben und Streben quasi ausschließlich dem Wirtschaftswachstums und der Technisierung widmet, anstatt ein Problembewusstsein bezüglich der Tatsache "Wir haben nur eine Welt und sie gehört uns allen" zu entwickeln und die größere Dringlichkeit ethischer und sozialer Aspekte anzuerkennen und zu berücksichtigen.
- Das Resultat ist eine Welt, in der die soziale Ungleichheit immer schneller wächst, in der Macht und Besitz so gut wie gar nicht an Intelligenz, Um- und Weitsicht sowie Bereitschaft zur Übernahme persönlicher Verantwortung gebunden sind, in der der Wert von Menschen nach dem Kriterium ihres ökonomischen Nutzens für eine Handvoll Konzerne bestimmt wird, und in der Bürger resigniert die Totalüberwachung durch einen mit ihrer "Volksvertretung" "befreundeten" Staat hinnehmen.
Jetzt frage ich mich ja doch: Brauchen unsere Kinder nicht andere Fähigkeiten (s.o.) mindestens so dringend wie eine normgerechte Rechtschreibung und ein im Schlaf herzubetendes Einmaleins? Hat die lamentierende Generation wirklich das Recht zu behaupten, dass "früher alles besser war"? Löst eine strengere Benotung, eine stärkere Selektion anhand dieser Kriterien die Probleme unserer Zeit und der Zukunft, könnten diese Maßnahmen für eine menschlichere Welt, für mehr Nachhaltigkeit und mehr persönliche Verantwortung aller für ihr jeweiliges Handeln sorgen? Ich glaube nicht.
Ich glaube auch nicht, dass unsere globalen Probleme in erster Linie durch Unwissenheit fortbestehen. Sondern sie bestehen aufgrund von macht- und wirtschaftspolitischen Interessen, man könnte auch sagen: aufgrund von Gier.
Ich schließe mich daher dem mehrfach vorgebrachten Vorschlag an, mit dem Bashing aufzuhören und stattdessen die Energien für das Wesentliche aufzusparen und mit den involvierten Kollegen vor Ort gemeinsam nach sinnvollen Wegen zu suchen - mit einem gelegentlichen Blick auf´s Ganze.
P.S.: Als Lehrerin, die zunächst viele Jahre einen anderen akademischen Beruf in der freien Wirtschaft ausgeübt hat, kann ich auch was zur Arbeitgeberseite sagen. Noten nützen mir gar nix, wenn ich einen passenden Auszubildenden suche. Und zwar nicht, weil eine 3 in Mathe von Schule A was anderes aussagt als die von Schule B, und weil sowieso alles nicht befriedigend ist, sondern weil ein Auszubildender zusätzlich zu (und oft auch ansstelle von) manchen schulischen Kompetenzen noch ganz andere benötigt. Das gilt sowohl für Schüler ohne Schulabschluss als auch für Abiturienten. Arbeitgeber, die über Noten (vor-)auswählen, machen dies aus reiner Bequemlichkeit. Damit findet man zwar schnell einen Kandidaen, aber den besten Kandidaten für die Stelle kann man so höchstens zufällig erwischen. Das ist auch sowas, was Schüler im Hinblick auf ihre spätere Berufstätigkeit lernen sollten...
(Disclaimer: Ich gehöre keiner Partei, Religion oder Gewerkschaft an, werde von niemandem für meine Meinungsäußerung bezahlt, denke selbstständig und hege keine Ambitionen hinsichtlich schulischer, gewerkschaftlicher, politischer oder sonstiger Posten.)