Zitat
Original von alias
Meine Kritik an dieser Messmethode ist (und ich bleibe bei den Methaphern, weil diese den Sachverhalt pränanter darstellen):
Es ist sinnfrei, festzustellen, ob die Säue in Sachsen oder in Bayern schwerer sind - solange nicht gleichzeitig erforscht wird, woran das liegt.
Wie hoch ist der Migrantenanteil? Wie ist die Vorschulische Bildung organisiert? Wie hoch liegt die Scheidungsrate? Wie viele Fernsehgeräte stehen in den Kinderzimmern? Wie viel Geld investieren die einzelnen Gemeinden in ihre Schule? Gibt es am Ort funktionierende Vereine? ...
Diese Ursachenforschung unterbleibt jedoch wohlweislich - weil die unterschiedlichen Leistungen von derart vielen Faktoren abhängen können - die nicht wissenschaftlich exakt festgemacht werden können. Dazu müsste die Testleistung jedes einzelnen Probanden mit seiner Biografie und der bisher durchlaufenen Bildungserfahrung abgeglichen werden.
Bei der "aktuellen" Pisa-Studie wurde die quantitative Studie durch eine qualitative (Interviews mit Schülerinnen und Schülern) ergänzt, die einen Grossteil der von Dir angesprochenen Dinge erhebt.
Das Einbeziehen von den von Dir genannten Faktoren bei statistischen Analysen ist in gewissem Umfang sehr wohl möglich, allerdings sind das Mehrebenenanalysen und andere komplizierte statistische Verfahren, für deren Verständlichkeit die Ergebnisse so aufbereitet werden, dass am Ende eben nur ein Kürzel mit einer Zahl auftaucht (z.B. p>.0001).
Vielleicht resultiert das Misstrauen und die Skepsis gegenüber Vergleichsstudien auch daraus, dass viele Lehrpersonen statistische Zahlen nur in gewissem Rahmen deuten können - wer lernt im Lehramtsstudium (oder später) schon, was Varianzen, Signifikanzniveaus, ein t-Test, Cronbachs Alpha etc. sind bzw. was diese (auch von alias beschriebenen) "marginalen Varianzen" bei einer Stichprobe von mehreren 10.000 Schülern inhaltlich bedeuten? Bei Unsicherheiten kommt ganz schnell der Spruch "Ich glaube nur einer Statistik, die ich selbst gefälscht habe" - der ziemlich sinnfrei ist, da sich das statistische Wissen vieler auf die deskriptive Statistik beschränkt, was aber für Pisa & Co. nicht ausreicht.
PISA et al. denken sich nicht Kultusministerien aus, dafür gibt es universitär angebundene Institute wie das Dipf in Frankfurt (wo die Pisa-2009-Koordinatorin Nina Jude z.B. ihr Büro hat), die Bildungsstandards werden von Berlin her entworfen und koordiniert (aus dem IQB, das Olaf Köller leitet) usw. usf.
Ein Gedanke von mir ist, dass Lehrpersonen neben der fehlenden Ausbildungg oder Anleitung, komplizierte Statistiken wie die Original-Pisa-Statistiken (nicht die aufbereiteten Grafiken!) zu lesen, zu wenig Einblick in Forschung haben (genauso, wie sie Forschenden z.T. zu Recht vorwerfen, die Schulrealität aus dem Auge zu verlieren) und dass die starke Ablehnung von Vergleichsstudien z.T. auch daher rührt.
Malina z.B.: Du differenzierst nicht zwischen Forschungsprojekten von Universitäten und landesweiten Vergleichsarbeiten. Es ist alles etwas nebulös, und von "Klausuren" in der Grundschule zu sprechen... Es ist einfach ein anderes Aufgabenformat als das, was Ihr sonst mit Euren SchülerInnen durchführt. Die Aufgaben richten sich übrigens an den in Lehrplänen angegebenen Kompetenzen aus. Ich würde weiterhin gern über ein konkretes Beispiel sprechen und nicht über die aggregierten Vorwürfe "Unangemessen-Schwachsinn-Zeitverschwendung-Geldvergeudung".
Was ich mich hier im Thread frage: Warum ist denn nur richtig, was Lehrpersonen machen? Das bedeutet nicht gleichzeitig den Umkehrschluss "Lehrer machen alles falsch" - aber gibt es nicht auch andere Personen, die sich Gedanken um Schule machen dürfen, können, sollten? Bei den IQB-Bildungsstandards werden übrigens auch Lehrpersonen einbezogen, aber das wissen auch nur sehr wenige. Und diejenigen, die es wissen, sagen über die Lehrpersonen, die mitwirken, dass die ja abgeordnet wurden, weil sie unterrichtspraktisch untauglich seien.
Alias spricht den Mangel an Konsequenzen an, Malina nerven die Konsequenzen. Die "Wiedereinführung" der 6-jährigen Grundschule (als eine wesentliche Erkenntnis aus Grundschul-Vergleichsstudien) beklagt sie. Warum denn (und über welches Bundesland sprechen wir hier eigentlich- Berlin/Brandenburg haben ja schon lange die 6-jährige Grundschule)?
"Schnelle Änderungen" kann es nicht geben; bevor Migrationsförderkonzepte, frühere Einschulung, mehr Gelder für Unterrichtsfach xy ihre Wirkung zeigen, können gut 10 Jahre vergehen. Aber eben um auch die Wirksamkeit von Massnahmen zu überprüfen, braucht es die im Thread kritisierten Arbeiten wie Pisa, Vera, Markus, Lau & Co., damit eben klar wird, ob die erzielten "Wirkungen" unabhängig von verschiedenen Faktoren sind oder ob die Wirkungen gerade wegen dieser Faktoren eingetroffen sind. Das kann der Einzellehrer sowohl inhaltlich als auch vom Umfang her nicht leisten, aber dafür gibt es ja andere Disziplinen und Institutionen, welche in diesem Feld agieren.
(Und das sage ich nicht, weil mir solche Studien das Geld auf's Konto bringen - ehe man davon wirklich leben kann, also eine unbefristete Stelle hat - zieht auch mehr als eine Schülergeneration und mehr an einem vorbei ).
LG, das_kaddl.