Ich, weiblich, U40, befinde mich derzeit mit einem Bein an der Hochschule, mit einem wieder in der Schule. Ziemlich schnell nach dem Ref bin ich 2005 in die Schweiz gezogen und habe an einer Hochschule im Bereich Fachdidaktik Sachunterricht, speziell Politische Bildung, herumgeforscht, publiziert, bin an Tagungen gereist, deren Teilnahme ich z.T. selbst berappen musste. Jeweils jährlich das Zittern, ob der Vertrag verlängert wird. Heute die akademische Freude des Tages: ich bin in einem aktuellen Aufsatz zitiert worden. Yeah, wieder etwas für den jährlichen "Bonus" .
Das Zittern bzgl. Vertragsverlängerung wird verstärkt bei jedem Forschungsantrag: positiver Entscheid? Wenn ja: weitere 3 Jahre Einkommen gesichert. Wenn nein: langes Gesicht. Anfragen, ob der Antrag überarbeitet und nochmals eingereicht werden darf. So schindet man Anstellungsprozente und hat mehrere Teilzeitstellen, bei denen es ist wie bei den meisten Teilzeitstellen: man arbeitet wesentlich mehr als im Vertrag steht. Die Nächte, die ich in den letzten 10 Jahren vor Fertigstellung von Abschlussberichten im Büro verbracht habe, habe ich noch nicht gezählt - und dabei habe/hatte ich in den ersten 8 Jahren einen sehr fürsorglichen, aber eben auch sehr ehrgeizigen Chef.
Meine Dissertation versandet aus verschiedenen Gründen vermutlich.
Seit nunmehr knapp 6 Jahren & verstärkt seit nochmals 3 Jahren,
kann ich mich nicht mehr auf die unspiessige Unsicherheit der Hochschule, scheinbar kompensiert durch das bewundernde "Wow-die-arbeitet-an-der-Uni"-Geraune meines Wohndorfes
verlassen. Die Kinder wollen mehrfach im Jahr neue Schuhe haben, sind für warmes Wasser, Heizung, Dach über dem Kopf und Essen dankbar. Wie schnell die scheinbare Sicherheit von doppelten Gehältern schwindet, haben wir letztes Jahr erlebt, als mein Mann - "Manager" - von einem auf den anderen Tag "freigestellt" wurde. Mit den Bezügen wie bisher, begrenzt bis Ende des Jahres. Das Ende des Jahres rückte schnell näher...
@CB: Hast Du Verpflichtungen, wie z.B. Unterhaltszahlungen/Fürsorge für Kinder? Falls nein, kann ich Deinen "das-soll's-gewesen-sein"-Aktionismus nachvollziehen, gleichzeitig aber frage ich mich: was möchtest Du an der Hochschule? Vielleicht kriegst Du ja einen Lehrauftrag (von dem man nicht leben kann) - aber auch Dozierende schöpfen einen Teil ihrer Lehre aus eigener (empirischer) Forschung. Ich stelle es mir - ohne theoretischen Hintergrund im Bereich Fachdidaktik (wovon Du selbst schreibst) und mangels eigener Forschung - sehr schwer vor, entsprechende Lehrveranstaltungen zu konzipieren/durchzuführen. Irgendwie fehlt die Basis von dem, was "gute Lehre" an einer Hochschule ausmacht.
Die Erfahrungen der letzten 10 Jahre waren überhaupt nicht durchweg negativ; die negativen Erfahrungen beziehen sich durchweg nur auf die Anstellungskultur an Hochschulen. Klar schweissen Nächte im Büro auch zusammen und gerade heute habe ich in dankbare Studenten-Augen geschaut, als ich den Abgabetermin ihrer BA-Arbeit eigenmächtig verlängert habe. Die Gestaltungsfreiheit an Hochschulen ist schon sehr hoch; inhaltlich und von der Ausrichtung der eigenen Arbeit her vielleicht so hoch, wie in keinem anderen Beruf.
Nur, mit Ü50 hat man sich sicherlich auf einem Komfort-Level eingerichtet, das man ungern wieder aufgibt. So zumindest meine Vorstellung von dem, wie ich vermutlich mit Ü50 sein werde.
Mit meinem zweiten Bein (und ab August mit beiden Beinen - ade, Hochschule!) stehe ich jetzt wieder in der Schule. Meine Aufgaben (als Schulleiterin) sind zum grossen Teil anders als die in der Hochschule, trotzdem profitiere ich ungemein von dem, was ich in den letzten 10 Jahren gemacht habe. Spiessig finde ich Schule übrigens überhaupt nicht - zumindest "mein" Team ist (bis auf eine Aufnahme) engagiert, hilfsbereit (v.a. auch untereinander), mitdenkend und verlässlich.
Viel Glück für die Neuorientierung.