Hallo,
zum Thema "wie ist das Referendariat wirklich?" könnte ich sicher auch einiges beitragen, aber ich möchte mich beschränken auf die Seiteneinsteiger-"Problematik". (Ich bin Fachleiter für BWL und Wirtschaftsinformatik an einem Seminar BBS. Im letzten Prüfungsdurchlauf (März 2004) waren unsere ersten Seiteneinsteiger beteiligt, so dass ich ganz konkrete Angaben machen kann.)
Die Einstellung (als Seiten- oder Quereinsteiger) erfolgt nach einem Kolloqium, in dem ganz grundsätzlich etwas an Fachwissen und vor allem einige Vorstellungen über Schule an sich besprochen werden. Es kommt unter anderem darauf an, zu verdeutlichen, warum man von einem unter Umständen gut bezahlten Job weggehen und Lehrer werden möchte - die meisten Kandidaten haben auf solche Fragen durchaus überzeugende Antworten. Ganz besonders gut kommt es, wenn man sich schon aktiv in Schulen umgesehen hat (Praktikum oder so). Eine große Hürde ist das Kolloquium aber sicher nicht.
Nach der Einstellung haben Seiteneinsteiger bei uns vom ersten Tag an 18 Stunden eigenen Unterricht, dazu kommen Seminarveranstaltungen in einer begrenzten Anzahl, die die wichtigsten pädagogischen Themen abdecken (aber auch wirklich nur das). Für Leute, die kein pädagogisches Vorwissen mitbringen, muss das schon schwierig sein, aber zeitlich ist mehr kaum drin.
Die meisten Referendare haben mit ihren 7 Stunden Unterricht genug zu tun, 18 Stunden sind dagegen so richtig stressig, zumal auch Hospitationen und Ausbildungsunterricht nur sehr begrenzt möglich sind. "Meine" Seiteneinsteiger wirk(t)en aber nicht mehr belastet als die Referendare, ich erhalte immer wieder die gleiche Aussage: Im Vergleich zur "freien Wirtschaft" ist der Vorbereitungsdienst schon in Ordnung (was auch immer das heißen mag).
Vorteile des Seiteneinstiegs gibt es im Gegenzug natürlich auch: recht gutes Gehalt, die Möglichkeit, Lehrproben usw. hauptsächlich in eigenen Klassen zu halten, verminderte Anforderungen in der Hausarbeit, im Allgemeinen gute Resonanz bei den Schülern (von Anfang an "echter Lehrer").
Kann ich den Seiteneinstieg nun empfehlen?
In Grenzen schon. Wer solides fachliches Wissen mitbringt und Freude am Umgang mit Jugendlichen hat sowie Arbeit nicht scheut (und ich meine damit keineswegs hauptsächlich das Seminar), sollte eigentlich schon klarkommen.
Probleme sehe ich vor allem bei ehemaligen Dozenten, die Schulunterricht mit Lehrgängen verwechseln und selbst in Programmierung fast Vorlesungen halten. Wer sich da nicht umstellen kann, wird sicher Probleme bekommen. Ansonsten habe ich gute Erfahrungen mit Seiteneinsteigern gemacht, ich empfinde diese Lehrer (meistens im Alter zwischen 35 und 45) als Bereicherung für unsere Schulen. Die meisten Kollegien sehen das nach meiner Beobachtung auch so.
Insgesamt gesehen halte ich den Seiteneinstieg für den anspruchsvollsten Weg zum Lehrerberuf; ich verhehle nicht, dass ich diesen Weg nicht hätte gehen wollen.
Das "normale" Referendariat ist ohne Zweifel sehr stressig, der Seiteneinstieg ist noch eine Stufe mehr Arbeit und Stress, aber auch hier gilt: Mut zur (richtigen) Lücke erleichtert die Arbeit ungemein. Die fehlende pädagogische Uni-Ausbildung jedenfalls können die meisten Kandidaten durch Lebenserfahrung gut kompensieren.
Gruß Andreas