Bildungspolitik richtet(e) sich also nur nach dem Arbeitsmarkt und der Schaffung bester Bedingungen für diesen? Das wäre ja die gezielteste, am besten und über Jahrzehnte stringentesten umgesetzte, alle Bundesländer miteinbeziehende Maßnahme der Bildungspolitik in Deutschland, die es je gegeben hat. Kapitalismus als System hat sicher eine sehr hohe Wirkkraft und prinzipiell kann ich den von dir beschriebenen Faktor Arbeitsmarkt auf Bildungspolitik auch absolut nachvollziehen. Ich bezweifle allerdings, dass der Faktor so groß ist, wie du ihn darstellst und vor allem, dass es der einzige Faktor wäre.
Hallo tibo,
dass es der einzige Faktor wäre, glaube ich auch nicht. Ich schrieb ja:
"Das Bildungswesen dient in erster Linie der Bereitstellung eines möglichst passenden Angebots an den Arbeitsmarkt."
Ich glaube also auch, dass es noch andere Faktoren gibt.
(Darüber wie groß dieser Faktor ist im Vergleich zu anderen, könnte man wohl erst diskutieren, wenn man sich über die anderen Faktoren einig wäre.
Eine Argumentation dazu, z.B. dass das Sortieren der Schüler wichtiger ist als Lerninhalte, könnte z.B. so aussehen, dass es auch mit einem Fünfer in einem Fach im nächsten Jahr darauf aufbauend schwieriger weiter geht - gegen jede Didaktik. Aber das jetzt nur als Erläuterung auf was z.B. ich hinaus will.)
Bildungsgerechtigkeit als moralische Ursache für Bildungspolitik würde ich deswegen nicht ausklammern - vor allem, weil du es so darstellst, als könne das Verhätlnis zwischen Einfluss kapitalistischer Interessen und moralischer Interessen in der Bildungspolitik nicht geändert werden.
Dazu, ob das geändert werden könnte, wollte ich gar nichts gesagt haben.
In meinem Ausgangsposting bezog ich mich ja auf die auch hier im Forum ausgesprochen moralischen Urteile dazu, ob diese oder jene Bildungspolitik denn "gerecht" sei. Dazu wollte ich gesagt haben, dass diese moralischen Argumente m.E. in den bildungspolitischen Entscheidung derer, die tatsächlich entscheiden, also die Legislative bzw. deren Regierungsmehrheit, keine Rolle spielt - sondern nur kapitalistische Interessen. (Letzteren Begriff jetzt mal ohne Anführungszeichen, weil Du ihn ja auch genutzt hast.)
Es gibt m.E. schon eine "Moral" in der Politik, aber nur in der Form, dass jede Politik von einer diese unterstützende Moral begleitet wird.
Neulich erwähnte ich im AfD-Thread hier im Forum, wie mit dem selben Grundgesetz Homosexuelle früher verfolgt und heute geschützt werden. Auch diese beiden Varianten haben ihre jeweilige Moral, die sie rechtfertigte.
Zur "Bildungsgerechtigkeit":
Ich erläutere meinen Hinweis darauf mal noch ein wenig, damit klarer wird was ich meine und Du ggfs. auch besser kritisieren kannst.
Ich könnte mich der Formulierung, dass es "moralische Ursachen für Bildungspolitik" gibt, schon anschließen im Sinne des Wählerwillens.
Die Grundschulempfehlung oder G9 sind ja Themen, die einer gewissen Wählerklientel sehr am Herzen liegt - sicher auch aus moralischen Gründen; z.B. dass das zu früh oder zu viel Konkurrenzdruck sei, oder eine zu starke Belastung für die Jugendlichen sei, die zu wenig Freizeit hätten.
Die Parteien greifen diese (moralischen) Interessen auf und entwickeln entsprechende Angebote, die tatsächlich ggfs. auch moralisch begründet werden. Ich glaube allerdings, dass diese Moral nur ein Mittel zum Zweck ist Wählerstimmen zu erhalten - man denke nur an den Begriff "Wahlversprechen".
(Ob die jeweiligen Politiker ihre Aussagen selbst glauben oder nicht, oder ob sie später an sog. "Sachzwängen" scheitern, die manchmal auch "alternativlos" sind, spielt hierbei insofern keine Rolle. Eine Moral, wenn es sie mal gegeben hat, muss sich spätestens in der ersten Koalition der Staatsräson beugen.)
Nochmal kurz zu diesem Begriff "Bildungsgerechtigkeit" und meiner Kritik daran:
Wirtschaftsliberale wollen m.E. durch Minderheitenförderung etc. dafür sorgen, dass bisher ungenutzte Potentiale an menschlichen Resourcen nicht weiter verloren gehen. Wenn eine Frau, ein Homosexueller, ein Dunkelhäutiger, ein Behinderter, usw. einem Arbeitgeber Gewinn erarbeiten könnten, und gar mehr Gewinn als andere Arbeiter, aber dies Diskriminierung verhindert wird, ist das ein Problem bzw. entgangener Profit.
Auch arme Schlucker, die niemals die Studiengebühren einer guten oder gar Elite-Uni bezahlen könnten, wollen gefördert werden - selbstverständlich nur, wenn sie stets ihre guten Leistungen nachweisen (im Gegensatz zu Reichen). Es gibt also bestimmte Gründe oder Bedingungen für diese Art der Bildungsgerechtigkeit.
Viele Linke, sonst eher das Gegenteil der Wirtschaftsliberalen, gehen mit diesen Forderungen d'accor. Ihr Interesse ist dabei nicht der maximale Profit, sondern ein Ideal der Gleichheit. Diesem Ideal würde auch ich mich anschließen, aber ich kritisiere, dass es hier nur um eine Chancengleichheit in der Konkurrenz (!) geht. Der krasse Unterschied zwischen sehr wenigen, die fast alles besitzen, und sehr vielen, denen fast nichts gehört, wird dadurch überhaupt nicht aufgelöst.
Im besten Fall würde eine materiell homogene(re) Masse an Lohnabhängigen entstehen, während der Unterschied zwischen einer riesigen Mehrheit an Armen und einem winzigen Teil Reicher nicht nur erhalten bliebe, sondern durch den profitableren Einsatz sogar noch größer wird. Die Schere klafft also noch weiter auf.
Die Gleichheit in der Konkurrenz der Lohnabhängigen erschließt dem Markt neue Potentiale und verstärkt die Konkurrenz zu noch höheren Profiten.
Für die ehemals oder noch diskriminierten ist es natürlich ohne Zweifel ein Vorteil, nun können auch sie an der Konkurrenz teilnehmen, von der sie bisher ausgeschlossen oder in dieser benachteiligt wurden. Trotzdem erscheint es mir, gerade von Linker Seite, geradezu zynisch, diese Ausweitung des Kapitalismus für eine insgesamt gute Sache zu halten.
Ich versuch es nochmal auf den Punkt zu bringen:
Die Ungleichheit, die beseitigt werden soll, bezieht sich nicht auf alle Menschen, universell, sondern nur auf bestimmte, nämlich Lohnabhängige.
Die Lohnabhängigen sollen noch fairer miteinander konkurrieren für noch mehr Wachstum.
Ich fürchte die Formulierungen waren teilweise etwas polemisch; frag bitte ggfs. nach, falls ich mich zu vage ausgedrückt habe (ist ja ein großes Fass, das jetzt nicht allein das Thread-Thema oder nur Bildungspolitik berührt).