Warum zeigt einem denn heutzutage fast jeder gedanklich den Vogel, wenn man sagt, man wolle Hauptschullehrer werden?
Ich kann dir nur schreiben, warum ich auf keinen Fall in Deutschland ins Lehramt gegangen wäre: Fürs Vollpensum unterrichte ich im Baselland am Gymnasium 22 Wochenlektionen. Ich habe einen eigenen Schreibtisch an der Schule, der Kanton würde mir ein Dienst-Laptop zur Verfügung stellen, wenn ich das wollte. In jedem Fall stellt er mir aber eine gute bis sehr gute digitale Infrastruktur zur Verfügung die von zwei ausgebildeten Informatikern in Teilzeit gewartet wird. In meinen Klassen sitzen maximal 24 Jugendliche, für die praktische Arbeit im Labor werden die Klassen geteilt, da habe ich maximal 13 Jugendliche. Ich unterrichte Chemie und Physik, ich habe in beiden Fächern eine Assistenz zur Unterstützung, die jeweils Vollzeit arbeitet. Materialbestellungen, etc. ich mache nichts davon selbst, ich sage einfach der Assistenz, was ich brauche. Wenn Teilzeit-KuK mit auf Schulreise gehen, wird ihnen für die Woche das Pensum auf 100 % aufgestockt, die Reise- und Verpflegungskosten werden vom Kanton vergütet. Wenn ich als Expertin bei mündlichen Abschlussprüfungen beisitze oder fremde Maturarbeiten lese und bewerte, wird mir das extra vergütet. Für die Arbeit bei der Gewerkschaft bekomme ich Sitzungsgelder. Ich bin mir sicher, ich habe den hässlichsten Arbeitsplatz im ganzen Land aber selbst bei uns im Schulhaus gibt es in jedem Zimmer ein Waschbecken, wir haben saubere Toiletten, Fenster die man jederzeit öffnen kann und wenn z. B. irgendwo die Jalousien kaputt gehen, sage ich das dem Abwart und während der nächsten Ferien kommt ein Handwerker und bringt das in Ordnung. Ich teile mir mit einem Kollegen den Fachvorstand in der Chemie, wir haben ein Gesamtjahresbudget (Maturabteilung und FMS zusammen) von etwa 15000 CHF. Für die FMS schöpfe ich mein Budget gar nie aus weil wir alles haben, was wir brauchen. Zuletzt haben wir daher ein gebrauchtes IR-Spektrometer für rund 7000 CHF angeschafft. Soll ich weiterschreiben?
Das Problem, warum bei uns keiner ins Lehramt Sek I will, habe ich weiter oben bereits benannt: Die Ausbildung ist scheisse. Die Schulhäuser sind ähnlich gut ausgestattet, die jungen Kolleginnen und Kollegen sind ihren Aufgaben einfach nicht gewachsen. In der Region Basel haben wir schon seit Jahrzehnten einen im Landesvergleich überdurchschnittlichen hohen Migrantenanteil und nein, das sind nicht alles Deutsche und Italiener. Natürlich sind wir bei bestimmten Gruppen mit soziokulturellen Problemen konfrontiert. An den Gymnasien und Berufsschulen haben wir aber gut ausgebildete Lehrpersonen und entsprechende Ressourcen um damit umgehen zu können. "Lustigerweise" haben wir in der Sekundarstufe II nicht mal mehr Anspruch auf z. B. heil- oder sozialpädagogische Unterstützung, wir wurschteln das alles irgendwie alleine hin, allenfalls helfen der Schulpsychologische Dienst und oder die KESB. Offenbar braucht es dafür eine gewisse Resilienz die den Sek-I-ern ebenso offensichtlich fehlt. 23jährige Mädchen und Jungs mit mangelhafter Fachausbildung, ebenso unzureichender pädagogischer Schulung wie mit den typischen Problemen der Sek I umzugehen ist und weitestgehend ohne Lebenserfahrung vor 13-/14-jährige zu stellen scheint nicht so eine gute Idee zu sein. Ich weiss, dass es am ZBA und an der Kaufmännischen Berufsschule zuweilen recht ruppig zugeht. Mit Migranten hat das eher weniger zu tun, vielmehr mit dem Bildungsniveau der Jugendlichen. Etwas platt ausgedrückt: Je dümmer, desto aggressiver. Aber auch das läuft irgendwie, ein Mangel an Lehrpersonen ist mir da nicht bekannt. Bei uns ist das Dauerproblem einfach wirklich die Sek I.
Auch Schule hat Integrationsgrenzen. Je mehr Zeit und Kraft in der Schule für Integration aufgewendet werden muss, desto weniger bleibt an anderer Stelle.
... mehr Ressourcen muss die Politik halt zur Verfügung stellen. Ich korrigiere dir das mal, vielleicht erkennst du dann deinen Denkfehler. Ansonsten klingt es halt doch sehr verdächtig nach "die müssen weg". Daran habe ich nicht so Freude, weisst, ich bin ja selber Migrantin hier.