Wahrscheinlich wurde im Grammtaiklehrgang dann auch Stoff weggekürzt; Futur II, NcI, PFA, erst recht Supinum enthalten neuere Lehrwerke schon nicht mehr.
In Bayern macht man diese Phänomene – bis auf das Supin, aber das ist wirklich verzichtbar – schon noch, sogar das Futur II Passiv, dem ich selbst im Studium wahrscheinlich nur eine Handvoll Mal begegnet bin, müssen die bayerischen Schüler*innen noch lernen.
Ansonsten: Bei Latein als erster Fremdsprache hat man in Bayern vier Jahre Spracherwerb mit insgesamt 15 Wochenstunden, bei Latein als zweiter Fremdsprache drei Jahre Spracherwerb mit insgesamt 12 Wochenstunden. Ab der 9. Jahrgangsstufe (Lektürephase) gibt es keine Trennung mehr. Da sich beide Varianten fast ausschließlich in der zu vermittelnden Wortschatzmenge unterscheiden, ist die Taktzahl im Spracherwerbsunterricht bei der zweiten Fremdsprache schon enorm hoch, wenn man mit allem durchkommen will. Das Problem ist, dass man den Lateinunterricht bei einer gleich bleibenden Stundenzahl (im alten G9 hatte man bei Latein als zweiter Fremdsprache meines Wissens nach auch insgesamt 12 Wochenstunden über drei Jahre verteilt) in Hinblick auf die zu beherrschenden Grammatikphänomene nur sehr marginal ausgedünnt hat, aber gleichzeitig neben den allseits bekannten Herausforderungen – insbesondere einer zu geringen Lesekompetenz – die Kompetenzbereiche Text und Kultur gegenüber Sprache auch in der Spracherwerbsphase aufgewertet hat. Die Schülerinnen und Schüler müssen sich nun also auch mit den Texten auseinandersetzen, diese interpretieren und zu den Inhalten Stellung nehmen, was ehrenwert und im Unterricht auch schön ist, aber natürlich auch Zeit kostet. Die früher wohl eher unübliche Vokabel-Semantisierung, die man eigentlich mindestens jede zweite Stunde machen muss, ist ebenfalls auf Dauer ein Zeitfresser: In meiner Schulzeit waren die Vokabeln halt einfach als Hausaufgabe auf. Ein Sachfeld haben wir in der Schule nie angelegt oder aus einem Text herausgearbeitet, heute macht man das aber – sinnvollerweise – auch. Vielleicht ist der Anspruch also gar nicht unbedingt gesunken, sondern die Anforderungen haben sich einfach geändert? Wenn ich heute die – im Gegensatz zu früher unberechenbareren und zum Teil durchaus anspruchsvollen – Aufgabenteile der Schulaufgaben korrigiere, ist es nicht mehr so, dass die Schüler*innen hier viele gute Noten sammeln und sich im Verhältnis zur Übersetzung verbessern würden, ja manche verschlechtern sich sogar!
Dennoch würde ich mir wünschen, dass man die Spracherwerbsphase gerade bei L2 entschlackt, mehr Phänomene als Teil des Wortschatzes behandelt oder in die Lektürephase verlagert (z. B. den NcI oder das Futur II) oder gar nicht mehr explizit behandelt, da sie sich meist aus dem Kontext erschließen, wenn man den Wortschatz nur könnte (z. B. Akkusativ der zeitlichen Ausdehnung).