Wer entscheidet dann deiner Meinung nach, welchen Ausdruck wir für die Leute in den Hörsälen wählen?
Ich verstehe nicht, wieso du dich damit so schwer tust. Du hast doch Französisch studiert, also im weitesten Sinne auch LIngustik. Dann sollten dir doch Faktoren des Sprachwandels geläufig und bekannt sein, dass es nicht "die" Institution gibt, welche entscheidet und unerschütterliche Vorgaben macht, sondern Sprache eine Mischung aus arbiträren Festlegungen von Signifikanten für bestimmte Signifikate ist. Diese bedürfen einer gesellschaftlichen Konvention, die wie die Gesellschaft selbst stets im Wandel ist. Sog. Sprachpurismus beruht demnach auf einem fundamentalen Missverstehen von Sprache und deren Entstehung und Wandel.
Ich zitiere etwas ausführlicher aus meinem LIeblingsaufsatz von Peter von Polenz (Geschichte der deutschen Sprache. Berlin/New York: W. de
Gruyter, 1978 (9., überarb. Aufl.). (= Sammlung Göschen 2206.) S. 5, Hervorhebungen von mir.) zu diesem Thema:
Der Sprachwandel wird vom normalen Sprachteilhaber gewöhnlich nicht bemerkt, denn Sprache funktioniert immer nur als unbedingt gültiges synchrones Kommunikationssystem einer gegenwärtigen Sprachgemeinschaft, muss also als grundsätzlich unveränderlich erscheinen. Nur demjenigen, der ein außergewöhnliches Erinnerungsvermögen hat oder mit Sprachdokumenten aus der Vergangenheit zu tun hat, ist die diachronische Blickrichtung möglich, die den Sprachwandel erkennen lässt. Wer selten dazu Gelegenheit hat und nur zufällige Einzelheiten des Sprachwandels beobachtet, ist meist darüber verwundert und neigt zu der Ansicht, früher habe man noch ‚falsch‘ gesprochen, oder aber (in sentimentaler oder historischer Ehrfurcht vor der Vergangenheit): Die Sprache der Vorfahren sei noch nicht vom modernen Zeitgeist ‚verderbt‘ gewesen. Schon seit uralten Zeiten sind die Menschen über den Sprachwandel und die damit zusammenhängende Sprachverschiedenheit beunruhigt gewesen. Sie haben das unfassliche Phänomen der Wandelbarkeit und Zersplitterung der doch unbedingte Gültigkeit beanspruchenden Sprache mythologisch gedeutet als eine Strafe für Sünden, die den Menschen vom göttlichen Ursprung der einen und wahren Sprache entfernt habe (Babylonische Sprachverwirrung). Die Vorstellung von der göttlichen ‚Ursprache‘ und der Heillosigkeit der Menschensprachen und ihrer Geschichte wirkt teilweise noch bis in die Zeit der Romantik nach; und die Klage über den ständigen ‚Sprachverfall‘ ist noch heute ein beliebter Topos in der kulturpessimistischen Sprachkritik, nicht zuletzt weil man gewohnt ist, die lebende Sprache der Gegenwart am Vorbild des ‚Klassischen‘ oder des ‚Urtümlichen‘ zu messen. Seit der Aufklärung werden Sprachwandel und Sprachverschiedenheit mehr und mehr als selbstverständliche Erscheinungen der menschlichen Sozialgeschichte anerkannt.