Zuerst war die Musik da, dann wurde die Musiktheorie entwickelt. Zwischen den Ursprüngen der Musik und denen der Musiktheorie liegen 40.000 bis 50.000 Jahre, d. h. Musik geht auch ohne Musiktheorie.
Das gilt sogar für virtuoses Musikmachen: Es gibt semi-professionelle und vielleicht auch einige professionelle Musiker, die keine Noten lesen oder aufschreiben und auch nichts mit den Begriffen der Musiktheorie anfangen können. Die musikalischen Phänomene kennen sie natürlich - zum Beispiel als Gefühl, dass man „wieder angekommen ist“, als Entspannung oder Auflösung … sie würden aber nicht sagen, dass man jetzt über die Dominante wieder bei der Tonika angekommen ist. Sie finden auch passende Töne zu einer Akkordfolge oder passende Akkorde zu einer Melodie, ohne die Tonart oder die Akkorde benennen zu können.
Warum sollte es in Musik anders sein als in Sport und Kunst: Dort macht man Kunst und macht Sport, man redet aber nicht soviel darüber, wie das häufig in fachfremdem Musikunterricht ist. In der Oberstufe mag das vielleicht anders sein, aber von Klasse 1 bis 10 macht man Sport in der Halle oder auf dem Platz und nicht im Klassenraum. In Kunst wird gemalt, gezeichnet etc. und man lernt nicht (in erster Linie) Künstlerbiographien oder Kunstgeschichte.
Wir sind jeden Tag von Musik umgeben und es macht schon Sinn, wenn mündige Bürger (m/w/d) diese nicht nur konsumieren, sondern auch den Sachgegenstand hinter dem Konsumgut verstehen und einordnen können.
Dafür wäre allerdings Musiktheorie nicht das richtige. Musiktheorie ist das Gegenstück zum Wissen über Anatomie und Physiologie des menschlichen Körpers, wie es Ärzte und Therapeuten brauchen. Oder zum Wissen über Elektrizitätslehre, wie es der Elektroingenieur braucht. Sie ist Fachwissen, das man zum Musikmachen, -hören, -genießen oder einordnen können nicht braucht. Für wichtiger halte ich Wissen über Musik in politischer Propaganda oder in der Werbung, aber das ist nicht Musiktheorie.