Hallo Leute,
ich habe mich mal ein wenig mit dem Fachkräftemangel beschäftigt. Unter Lehrern kann man diesen ja in vielen Fächern wohl annehmen.
Nun schaue mal spekulativ etwas weiter als die KMK und stelle euch ein Szenario vor. Je weiter man schaut, desto größer die Streubreite. Es ist daher nur eines von vielen möglichen Szenarien.
Zur Vereinfachung angenommen, es gibt die Altersgruppen 3 Altersgruppen: <40, 40-50, 50+
Eine gesunde Lehrerdemografie liegt dann bei ca. 30-35% für die Altersgruppe 50+. Dann haben einige Bundesländer eine stabile Situation. Andere stehe jedoch vor dem Kollaps. Beispielsweise deswegen:
- In 6 Bundesländern liegt der Anteil der Ü50-Gruppe heute deutlich über 40%. Diese Länder haben bereits heute ein großes Fachkräfteproblem.
https://de.statista.com/statis…ahre-nach-bundeslaendern/
- Ab 2030 beginnt der Exodus der großen Welle der Babyboomer in Richtung Pension.
- Ab 2035 sind viele dieser Lehrer in Pension, insbesondere wegen Babyboomer-Jahrgängen und
ggf. Frühpensionierung. Diese Gruppen sind bereits heute in
mindestens 6 Bundesländern überproportional vertreten. In 15
Jahren scheiden diese Lehrer altersbedingt aus.
- Ab 2040 sind die Babyboomer "vollständig in Pension". Nie wieder wird es einen so zahlenmäßig starken Jahrgang geben.
- Die Zahl der Personen im Arbeitsfähigen Alter wird in Deutschland bis 2035 um 6 Millionen
abnehmen. Die Zahl der Personen im Alter unter 20 wird wieder
das Niveau von 2020 erreichen (dazwischen mit Wachstum). Das Angebot
an Arbeitskräften wird also zurückgehen, während die Nachfrage
auf das heutige Niveau zurückkehrt. (klick)
- Bereits heute wird über die richtigen Zahlen gestritten, die sind in Medien zur Genüge publik
gemacht worden. Aber überall liegt die magische Grenze bei 2030.
Niemand schaut darüber hinaus. Dabei entstehen Lehrer nicht von
einem zum nächsten Tag. Mit Studium und Ref. dauert es 7 Jahre bis
ein potentieller Lehrer praktisch lehrbefugt wird. Spätestens ab
2023 müsste eine überproportional große Zahl mit dem Studium
beginnen, um die Welle zu kompensieren.
- Es gibt vereinzelt Gespräche prominenter Politiker (Bert Rürup), den Lehrer nicht mehr zu verbeamten und die Attraktivität des
Berufs zu konterkarieren (Bauernfalle, Lehrer können ohnehin
schlecht in die private Wirtschaft wechseln). Auch demografisch
bedingt wird es zukünftig Sparmaßnahmen geben müssen. So viel ist
klar. Aber wenn das auf dem Rücken der Lehrer ausgetragen werden
sollte, dann gute Nach.
- Östliche Bundesländer sind nicht attraktiv (ich habe dort studiert, aber wohnen will ich dort nicht, z.B. Frauenmangel, weniger Kulturangebote, mehr Rassismus, weniger Investitionsmöglichkeiten wegen Bevölkerungsrückgang und einhergehendem Preisverfall). Die Anwerbung ausländischer Lehrer für Ostdeutschland wäre eher Wunschtraum. Auch andere Länder Europas stehen vor ähnlichen Problemen. Die Anwerbung wäre dazu verdammt zu scheitern.
- Da ich selbst nicht Lehrer bin, aber Gespräche mit anderen führe, erhalte die so langsam den Eindruck, dass die Klassenräume der Zukunft zu Hörsälen und/oder unpersönlichen digitalen Medien umgewandelt werden, aber keine Klassenräume mehr sein werden.
- Auch wenn einige TV-Philosophen (mit zweifelhaftem Ruf) behaupten, die Arbeitswelt würde schlanker werden (und somit mehr potentielle Lehrer zur Verfügung stehen): Jede bisherige industrielle Revolution hat jedoch zu einem Mehrbedarf an Arbeitskräften geführt. Sicherlich nicht in der Landwirtschaft oder Textilindustrie, aber eben über die heterogene breite Masse. Es könnten also noch weniger Lehramtsstudenten zur Verfügung stehen als heute ohnehin schon. Sollte diese Philosophen jedoch Recht haben, stünden die östlichen Bundesländer vor einem noch größeren Problem: Die mangelnde Beteiligung Erwachsener am Erwerbsleben. Die Frage ist auch, ob die schlanke Arbeitswelt den demografischen Wandel kompensiert würde.
- Hinweis: Deutschland ist auf spezialisierte flexible Produktionsketten angewiesen (Hochlohn, flexibel und Klein/Mittelserienproduktion, Plattformen). Diese erfordern sehr fähige Fachkräfte. Die chinesische Wirtschaft basiert eher auf Massenproduktion, Modularität und billiger Flexibilität (billige Arbeit, Großserien). Fotos von Maschinenparks und Erkenntnisse aus China sind somit nicht geradewegs auf Deutschland übertragbar. Außerdem plant China im nächsten 5-Jahresplan den Fokus auf High-End Produkte zu setzen und an der europäischen Industrie 4.0 vorbeizuziehen.
- Die Zukunft wird hart. Die Bildungslücke wird teuer (klick)
- ...oder habe ich die neusten Trends und
Innovationen Reformen verschlafen, weil ich nicht genug Zeitung lese? Dann freue ich mich auf konstruktive Kritik.
Was schon grob fahrlässig ist: Die KMK schaut nur bis 2030. Natürlich wurden die Darstellungen schön eingegrünt, weil grün eine hübsche Farbe ist und eine freie Fahrt ermöglicht:
https://www.kmk.org/fileadmin/…_Bericht_LEB_LEA_2019.pdf
Wer
heute Lehrer wird, muss auch über 2030 hinaus schauen. Ich habe die
Sorge, dass der Lehrermangel größere Opfer bringen wird als die
Corona-Krise. Zukünftige Erwachsene werden anfälliger gegenüber
Fake-News werden und die Demokratie könnte großen Schaden erleiden. Vielleicht sollten Lehrer Schülermessen an Schulen veranstalten und ihren Beruf mal positiv vorstellen
... ist länger geworden als geplant.
Disclaimer:
Einige Faktoren habe ich nicht berücksichtigt, z. B. Altersstruktur
in Ostdeutschland, Binnenmigration, Änderung der Arbeitswelt,
Arbeitslosigkeit, Fachkräftemangel in anderen Berufen,
Bruttoinlandsprodukt.
Prognosen sind unglaublich schwierig, besonders wenn man kein
Ministerium unter sich
hat