zu Beginn war ich ein großer Fan der "Cancelculture", weil es einfach unfassbar viele Menschen gibt, die unter dem Deckmantel der "wird man ja wohl noch sagen dürfen"-Meinungsfreiheit, die Freiheit von anderen beschneiden. Ich finde es gut, dass offensichtlich menschenfeindliche Sprechakte bestraft werden, doch artet das Ganze irgendwie aus.
Daher bin ich dabei, meine Position dazu zu verändern; "Epiphanie" dafür war - wie schon irgendwo mal erwähnt - die Tatsache, dass Transrechte häufig mit Frauenrechten kollidieren. Augenscheinlich erkennbar an den "16 Jahre als Mann existierende Transfrau nimmt an sportlichen Wettbewerben im Frauenbereich teil"-Beispielen, bei denen lustigerweise Martina Navratilowa - selbst jahrzehnte schon Vorkämpferin von LGBT ins Kreuzfeuer ihrer KritikerInnen. Es gibt aber auch noch viele andere Beispiele, bei denen es nicht nur um Sport geht, sondern echt jemand verletzt wird: Anscheinend ist es in einigen Staaten der USA mittlerweile üblich, minderjährigen pubertierenden Mädchen, die fühlen, Transjungs zu sein, ohne Wissen/Erlaubnis der Eltern, Hormone zu verabreichen, die ihre Entscheidung unumkehrbar machen. Ärzte dürfen das Ansinnen garnicht hinterfragen, weil ja das Anzweifeln an sich schon verletztend ist.
Tatsächlich gibt es eben Menschen, deren Hauptaufgabe im Leben es scheint, sich im Internet aufzuregen und irgendwelche spontan dahin gesagten oder nur anähernd vom liberal-kapitalistischen Meinungsbild abweichenden Äußerungen aufzuspüren - lustigerweise sind das häufig in erster Linie weise CIS, die vermutlich ihre Privilegien irgendwie ausgleichen wollen, in dem sie sich voll reinhängen. Identity Politics ist ein schönes Betätigungsfeld für Personen, die sonst an an den Ungerechtigkeiten der kapitalstischen Weltordnung nichts verändern wollen. Dass diese liberale Position mehrheitsfähig ist, ist mE überdies ein Irrtum - Menschen denken sehr unterschiedlich und äußern sich eben auch nicht immer zu jedem Pups.
Darüber hinaus ist diese apodiktische Festschreibung von was man darf und was nicht, aus erkenntnistheoretischer/ ethischer Sicht geradezu eine Bankrotterklärung. Selbst Habermas - der ist ja wohl ideologisch unverdächtig (obwohl, wenn schon Thierse es nicht mehr ist, muss Jürgen sich vermutlich warm anziehen..) - würde sogar extreme Meinungen in seiner Diskurstheorie zulassen. Unsere Demokratie beruht nicht nur auf dem Gedanken, dass jedeR sagen darf, was er/sie will, sondern auf dem Gedanken, dass Lösungen zu Problemen besser werden, wenn möglichst viele Perspektiven einfließen. ich behaupte, man hat die Gesellschaft nichts davon, wenn offiziell die Position von Gender- und Identitypolitics-Studierenden und Profis gilt, es darunter aber brodelt. Das politische Versagen um Vielfalt in der Meinung bei der Flüchtlingskrise, hat uns nicht nur eine starke rechte Partei im Bundestag beschert, sondern darüber hinaus Sprengstoff für Jahrzehnte.
Ich würde mir mehr Foren (also jetzt nicht nur Internet) wünschen, in denen freier und gesitteter Meinungsaustausch möglich ist. Gleichzeitig versuche ich an mir selbst zu arbeiten, und lese Positionen, die nicht meine eigenen sind, um aus meiner Blase herauszukommen. Mein Tipp bei unsäglichen Kommentaren der Konservativen (die ja leider nie ohne Seitenhiebe auskommen): Seitenhiebe ignorieren und die Diagnose vom Heilmittel trennen. Es ist nämlich durchaus möglich, dass eine Beobachtung von Jordan Peterson oder Tychis Einblicke richtig ist; deswegen muss man ja nicht die vorgeschlagene politische Aktion teilen. Eeine Diskreditierung der Position an sich, halt ich nicht für zielführend. Ich denke, wir müssen alle mal wieder ein bisschen mehr Kontroversität aushalten lernen.