Hallo Schokozwerg,
ich möchte dir eine neue Perspektive eröffnen: Du kannst dich sehr glücklich schätzen. Offenbar hast du was Bildung betrifft jede erdenkliche Chance nutzen können und von deinem Elternhaus her so gute Voraussetzungen gehabt, dass du unbesorgt Abitur machen und studieren konntest. Leider hat nicht jedes Kind bzw. nicht jeder Jugendliche dieselben guten Bedingungen. Auch nicht in Deutschland.
Einige von ihnen werden bereits mit kognitiven Einschränkungen geboren. Weil die Mutter in der Schwangerschaft geraucht, getrunken oder andere Drogen konsumiert hat. Andere Kinder wurden vielleicht in Kriegsgebieten geboren und sind irgendwann mit ihrer Familie nach Deutschland geflüchtet. Manche Kinder stammen aus sehr einfachen Verhältnissen; andere aus zerrütteten Elternhäusern. Und bei manchen Kindern können oder wollen sich die Eltern einfach nicht angemessen kümmern. Kinder und Jugendliche mit dieser oder einer ähnlichen Vita findest du gehäuft im beruflichen Schulwesen.
Vielen von ihnen wird schon ihr ganzes Leben lang erzählt oder das Gefühl gegeben, dass sie nichts taugen, dass sie ihr Leben lang Harz 4 sein werden. Ja, und dann hocken sie halt irgendwann am BK... "Freiwillig", ja... Kommt drauf an, was man unter "freiwillig" versteht...
Wenn du im beruflichen Schulwesen bleiben willst, würde ich dir sehr raten, deine fachlichen Ansprüche drastisch runterzuschrauben. Ja, im Endeffekt bescheinigen wir ihnen die Studierfähigkeit... Aber sorry, heute muss man doch auch fast jeden Sch**** studieren... Früher ging man zur Uni, wenn man Arzt, Anwalt oder Lehrer werden wollte, so grob gesagt. Heute braucht (gefühlt) die Kassiererin bei Rewe ein abgeschlossenes Hochschulstudium... Ich übertreibe...
Ich bin seit 2010 im beruflichen Schulwesen (Ref); seit 2011 mit fester Stelle. Ich würde (im Moment) an keine andere Schulart wollen. Ich schätze die Ehrlichkeit und die Unkompliziertheit der Schüler. Es sind junge Erwachsene, mit denen man durchaus vernünftig reden und auskommen kann, wenn man sich auf sie einlässt und sie respektvoll behandelt.
Dass sie oft fachlich nicht auf der Höhe bzw. sehr schwach sind, hat eine Vielzahl von Gründen in die man in der Regel (bis sie bei uns ankommen) keinen guten Einblick mehr gewinnen kann. Da kommen oft mehrere Dinge zusammen. Und jetzt sind sie halt bei uns und unser Ziel ist es, sie soweit fit zu machen, dass sie ihren Teil zur Gesellschaft beitragen können.
Mein Ziel ist es, die Kids soweit für meine Fächer zu begeistern, dass sie gewillt sind, darin zu investieren. Extrinsische Motivation ist gut, intrinsische Motivation ist besser. Und dann drücke ich ihnen die Daumen und hoffe mit ihnen zusammen, dass es ihnen für den Abschluss reicht. Wenn das der Fall ist, habe ich mein Ziel erreicht.
Bei Schülern die mehr können und leisten, gerne. Die kann ich auch soweit pushen, dass sie in den Prüfungen in den 1er-Bereich kommen. Aber bei allen Anderen freue ich mich, wenn sie am Ende ein Abschlusszeugnis in der Hand halten.
Lg,
Mrs Pace