Hm, yula, deine Antwort wundert mich doch sehr.
Ich halte dieses bewusste Wegsehen für sehr problematisch. Wo bleibt da die Gerechtigkeit denen gegenüber, die ehrlich sind? Natürlich kann es jeder versuchen, aber wer dabei erwischt wird, erhält eben die Täuschungsversuch-Sechs. Punkte abziehen oder Note um eine Stufe runtersetzen ist doch ebenfalls völlig intransparent. Wer entscheidet denn dann darüber, ob jetzt eine oder zwei Notenstufen abgewertet wird? Nach welchen Kriterien? Sind diese zuvor allen bekannt? So nach dem Motto: Die ersten 10 Minuten ist abschreiben frei, zwischen 20 und 30 Minuten kostet es eine Notenstufe und danach zwei?
Wenn man so anfängt, hat man doch ruck-zuck die Klagen am Hals darüber, dass das eigene Kind nicht genauso behandelt und bewertet wurde wie die anderen. Zurecht!
Und die "Gruppenarbeitsphasen" bei Leistungserhebungen würden dann alle nutzen, was ja auch eigentlich wesentlich gerechter wäre.
Mir geht es einfach darum, dass die Kinder einen Orientierungsrahmen haben, der ganz klare und für alle verbindliche Regeln aufstellt. Das beginnt bei Zeitangaben und endet mit der Notentransparenz. Wie oft habe ich mich als Schülerin darüber aufgeregt, dass ich mich an Zeitvorgaben gehalten habe, auf die Minute fertig wurde, einige Aufgaben nicht sorgfältig gelöst hatte, damit ich rechtzeitig fertig werde, und anschließend diejenigen, die sich nicht daran hielten, mit einer 10minütigen Verlängerung belohnt wurden? Sehr oft!
Wie oft habe ich mich darüber aufgeregt, dass der Mitschüler, der sämtliche Englischtests mit Minilexikon unter der Bank schrieb, immer "übersehen" wurde, von uns aber die gleichen Vokabelkenntnisse verlangt wurden, denn schließlich weiß es der xy ja auch!
Meine Motivation als Schülerin war bei solchen Verfahren im Keller. Wozu mich noch anstrengen, wenn man es durch Lug und Trug weiterbringt? Ich habe mich wirklich sehr "über den Tisch gezogen" gefühlt und gelernt: Wer lernt ist selbst schuld, wer betrügt bringt's weiter! Prima Lektion!
Überlegt doch mal, welche Signale man mit einem derartigen Lehrerverhalten setzt!
Natürlich tut es manchmal weh, insbesondere dann, wenn man Schüler erwischt, die es eigentlich nicht nötig haben, die man besonders mag oder sonstige Gründe hat, um konsequentes Vorgehen zu bedauern. Trotzdem ist es doch die einzige Möglichkeit, ein für alle zumindest halbwegs gerechtes Verfahren zu gewährleisten.
Und noch zur Möglichkeit der nachträglichen Notenänderung:
Theoretisch möglich ist sie. Allerdings lässt sich da kaum ein Schulleiter drauf ein, weil es im Klagefall extrem problematisch mit der Beweisführung ist.
Deshalb gibt es zumindest an meiner Schule folgende Order:
Aufpassen während der Leistungserhebung wie ein Luchs. Alle Täuschungsmöglichkeiten von vornherein abstellen. Klar und deutlich machen, dass es keine "Ermahnungen" gibt, sondern beim ersten Täuschungsversuch das Blatt weg ist und die Sechs sofort draufgeschrieben wird, mit Angabe "Täuschungsversuch". Wenn es Schüler trotzdem schaffen und nicht erwischt werden, dann haben sie diesmal Glück gehabt. Dafür stehen sie ab diesem Zeitpunkt dann unter "besonderer Beobachtung", damit sich sowas nicht wiederholt.
Mal als Frage in den Raum:
Stellt euch vor, es geht um die nächste Beförderungsrunde. Der Schulleiter schreibt die Gutachten für das Kollegium. Die Kollegen, die sich vor der Arbeit drücken und einen lausigen Unterricht mit Hilfe eurer Unterlagen machen, bekommen eine genauso gute oder bessere Beurteilung als ihr, weil der Schulleiter das Fehlverhalten nicht so streng bewerten will. Wäre das auch ok?
Ok, etwas polemische Frage, aber bei dem Thema kommen alte Erinnerungen hoch....
Bin gespannt auf Antworten.