Hallo Hawkeye,
es betrifft bei mir zwar das Gym, aber so riesige Unterschiede werden da nicht bestehen: Ja, ich unterrichte an einer Seminarschule und bin darüber sogar sehr glücklich. (Ich war auch schon an einer Nicht-Seminarschule, habe daher also einen Vergleich.)
Was ich als großen Vorteil empfinde, ist natürlich ganz profan zuerst einmal die Entlastung, wenn ein Referendar meinen Unterricht übernimmt. Eine Klasse weniger bedeutet eben etwas mehr Pause zum Durchschnaufen und daran mangelt es mir persönlich am meisten. (mich schlaucht diese permanente Hetze sehr und ich bin froh um jede Pause)
Außerdem reflektiert man automatisch noch mehr seinen eigenen Unterricht, wenn man das Seminar hinten in der Klasse sitzen hat und lernt dadurch mehr dazu. Ich finde es auch immer schön, wenn ich so ein bisschen von meiner eigenen Art, mit Schülern umzugehen, weitergeben kann. Eigentlich freue ich mich fast schon immer, wenn ein Schüler in solchen Stunden mal aus der Reihe tanzt und ich dann zeigen kann, wie ich solche Probleme löse. Aber Erkenntnis folgt auf dem Fuß: Wenn ich Unterricht gescheit plane, stören die Schüler kaum. Kann aber auch am "Beobachtungs-Effekt" liegen, wobei unsere Schüler da eigentlich sehr abgebrüht sind, weil sie's einfach seit Jahren nicht anders gewöhnt sind. Es ist ein sehr sehr witziges Gefühl, wenn du einen Referendar betreust, ihn im Unterricht besuchst und feststellst, dass er auf deine Art mit Schülern umgeht und die Schüler ihn deshalb mögen, weil er sich diese Art zueigen gemacht hat. (Schon klar, es passt nicht zu jedem, es muss schon jeder seine für ihn authentische Art finden.)
Am allerbesten ist jedoch das, was du selbst über dich lernst, wenn du beim Hospitieren die Zeit hast, auch mal die Schüler zu beobachten und wie sie auf einen anderen Lehrer reagieren. Manche kommen mit einem anderen Lehrer besser zurecht, lernen durch seine Art des Unterrichts anscheinend mehr (schau ich mir sofort ab und versuche es zukünftig bei diesem Schüler auch so zu machen), andere Schüler legen plötzlich Eigenschaften an den Tag, die du nie für möglich gehalten hättest (da werden aus netten Schülern plötzlich richtige Ekelbratzen) und du kannst Rückschlüsse ziehen, was du bislang unbewusst "richtig" gemacht hast.
Außerdem gibts manchmal Referendare, die so klasse sind, dass du eben auch viel von ihrem Material profitierst. (Wer nur zwei Klassen vorbereiten muss, hat eben meist mehr Zeit, um passsende ABs zu erstellen usw.)
Natürlich gibt's auch Nachteile. Ein Referendar, der kein Gespür für die Schüler hat, fachlich große Mängel hat usw. ist eine riesige Zusatzbelastung. Wenn du alles Nachkorrigieren musst, in jeder Pause deine abgegebene Klasse bei dir steht und jammert etc., das nervt dann schon. Ich hatte mal einen Fall, der war wirklich völlig beratungsresistent (einer meiner ersten Referendare, die ich betreut habe) und ich war noch extrem mit dem Herzen bei der Sache, wollte unbedingt, dass "mein" Referendar eine gute Lehrprobe hinlegt, aber jede Erkundigung nach Hilfsmöglichkeiten wurde als persönliche Kontrolle ausgelegt. Die Korrekturen waren grauenhaft, fachliche Fortschritte der Klasse kaum erkennbar. Aus einer extrem braven Klassen war binnen kürzester Zeit ein undisziplinierter Haufen geworden, der sich im Unterricht nur gröhlend über die studi-vz-Partybilder des Lehrers austauschte, während derselbe sich vorne bemühte, ein rechtschreibfehlerfreies Tafelbild zu erstellen und von alledem nichts mitbekam. Er fühlte sich von allen nur ganz furchtbar benachteilgt und sah überhaupt nicht, was sein Anteil an seiner doch eher schlechten Beurteilung war. Das war eine sehr lehrreiche Erfahrung für mich.
Klar, an einer Seminarschule herrscht generell mehr Chaos und Unruhe. Viele Lehrerwechsel sind für manche Klassen absolutes Gift, andere stecken das locker weg. Man muss auch mal eine Stunde mehr vertreten, wenn die Seminarlehrer zu den Einsatzreferendaren zur Lehrprobe fahren, aber so häufig ist das dann ja auch wieder nicht.
Bei uns am Gym kommt halt noch der entscheidende Vorteil hinzu, dass wir ja nicht das erste Jahr ausbilden und dann die Reffis in den Einsatz gehen, sondern wir bilden ja ein halbes Jahr aus, dann sind die Reffis ein Jahr weg und kommen anschließend für's letzte Halbjahr wieder.
Da sind dann oft extreme Weiterentwicklungen feststellbar und man profitiert auch davon, wenn einem erzählt wird, wie bestimmte Probleme an anderen Schulen gehandhabt werden und man kann sich dann davon auch einiges abschauen.
So, jetzt habe ich ganz schön viel geplaudert, ich hoffe, dir hilft etwas davon weiter, obwohl ich eine eindeutig positive Meinung vom Seminarschulsystem habe und deshalb nicht so sehr mit negativen Punkten dienen kann. Aber es sind die gewünschten subjektiven Einzelerfahrungen, die dich interessiert haben. Hoffe ich.