"Wie ist es mit den Arbeitszeiten? Kann man alle Arbeit im Büro erledigen, sodass man die Nachmittage und Wochenenden – wie ein regulärer Angestellter/Arbeiter in der Privatwirtschaft oder im Öffentlichen Dienst – frei hat?"
Grundsätzlich gilt Präsenzpflicht d.h. 41 Stunden die Woche, also echte Zeitstunden, verbringt der Justizlehrer verpflichtend in der Dienststelle. In der Regel gibt es eine Art Gleitzeitregelung, bei der ein gewisser Anteil (ich glaube 60%) der täglichen Arbeitszeiten gemeinsam festgelegt wird. Außerdem gibt es ein Überstundenkonto. Überstunden können, wenn genügend anfallen, auch als ganze freie Tage abgefeiert werden (maximal 2 pro Monat). Bei 41 Zeitstunden sehe ich jedoch keine freien Nachmittage. Frühester Beginn ist 6:30 Uhr. Damit ergibt sich ein frühestmöglicher Feierabend um ca 15:15 Uhr. Am Wochenende kann man für Bewerbungstests oder Veranstaltungen herangezogen werden. Das ist jedoch selten.
Ja, man nimmt keine Arbeit mit nach Hause, Korrekturen gibt es nicht, da es keine Lehrpläne, keine verbindlichen Klassenarbeiten oder Klausuren gibt. (Anders ist das bei abschlussbezogenen Maßnahmen, die jedoch häufig nicht von Justizlehrern unterrichtet werden, sondern von externen Kollegen aus kooperierenden Berufskollegs.)
Ja, man verfügt über ein eigenes Büro mit allem nötigen Equipment. Eigene Materialien brauchen nicht beschafft werden, außer man mag nicht auf die manchmal etwas längeren Beschaffungen warten.
Ferienzeiten sind egal. Der Unterricht läuft durch, auch im Sommer (Ausnahme hier wieder die BK-Lehrer). Justizlehrer haben keine Ferien, keine beweglichen Feiertag etc. In Hinblick auf Familienplanung sollte man das dringend im Hinterkopf haben. Die zeitliche Flexibilität eines Regelschul-Lehrers (früh heim - abends oder nachts arbeiten) gibt es hier nicht.
"Wie unterscheidet sich die Arbeit an der JVA von der Arbeit an einer Regelschule?"
Lehrer: Keine Lehrpläne, keine Fristen, keine Schuljahre, Alters-heterogene Lerngruppen, Kleingruppen (8-10), keine Aufsichten, niederschwelliges Arbeiten in allen Fächern, fachfremdes Unterrichten ist normal (und bewältigbar), keine unmittelbaren Dienstvorgesetzten (es gibt keine Schulleiter), innerhalb der Lehrer größtmögliche Flachheit der Hierarchie, Einbindung in die extreme Justiz-Hierarchie (vergleichbar mit Bundeswehr), kaum Verständnis innerhalb des Justiz- und Gefängnissystems für pädagogische Belange, Bedenken und Ansichten. Die gefängnisspezifischen Dinge und Traditionen haben grundsätzlich Vorrang. Mitspracherechte der Pädagogen sind kaum ausgeprägt (kann je nach JVA variieren). Stundenpläne bzw. Stundeninhalte kann man nach eigenem Gusto gestalten. Sportunterricht wird durch Kollegen des AVD betreut. Starke Reglementierung, wann man wo was mit wem macht. Alles muss angemeldet und genehmigt werden. Möglichkeit für außerunterrichtliche Angebote (AGs), kein Elternkontakt > keine Elternabende o.ä.
Schüler: "Schlechtestenauswahl" hinsichtlich sozialer und schulischer Kompetenzen, hohes Aggressions- und Gewaltpotential innerhalb der Gruppen, unmittelbare Sanktionsmöglichkeiten durch den Lehrer (Entfernung aus dem Unterricht akut oder für mehrere Tage, Freizeit-Sanktionen durch den Lehrer), geringe Frustrationstoleranzen, ausgeprägter Hang zur unmittelbaren (meist logisch nicht nachvollziehbaren) Bedürfnisbefriedigung, massive Gewalterfahrungen, flächendeckend Drogenerfahrung und -sucht, das ganze Spektrum bildungsfernen Denkens (Verschwörungstheorien, Judentum als Erzfeind, Wissenschaft ist falsch), verquere Ansichten zu Werten und Ethik, völlig dysfunktionale Familienhintergründe, durchkriminalisierte Familien
"Inwieweit muss man fachfremd unterrichten?"
Ja. Die Bereitschaft dazu ist Einstellungsvoraussetzung. Ein Rückzug auf "kann ich nicht, hab ich nicht gelernt, ist nicht meine Facultas" gilt nicht.
"Muss jemand mit Englisch und Geschichte als Fakultas auch Mathe unterrichten?"
Das muss innerhalb des Kollegiums abgesprochen werden. Gibt es genug befähigte oder willige Kollegen, so ist das nicht nötig Andernfalls jedoch...
"Wie sieht die Arbeit in multiprofessionellen Teams aus?"
Was soll das sein? Es gibt natürlich Berührungspunkte mit den Kollegen des AVD, den Sozialarbeitern, mit den Gefängnis-Psychologen, mit den Kollegen vom Werkdienst, ggf. dem Gefängnis-Pfarrer und mit viel Glück hat man einen Förderschullehrer im Kollegium. Die Personalpolitik geht, von den Kleingruppen abgesehen, dahin, dass der Einzelne so viele Gefangene betreut wie möglich. Team-Teaching daher eher nicht.
"Wie sieht die digitale Ausstattung aus? W-Lan, Tablets, Beamer, Smartboards, Apple-TV + iPad etc.?"
Ja, nein, eher nicht. Den Lehrkräften steht ein Dienst-Computer mit Internet-Zugang und Drucker zur Verfügung. Die Beschränkungen der Gefangenen lassen W-Lan oder anderweitige Zugänge zum Internet aus dem Klassenraum heraus nicht zu. Mittlerweile gibt es Computer-Räume, die jedoch begrenzt nutzbar sind. Ansonsten bewegen wir uns ausstattungsmäßig eher in den 1980'er Jahren. Kreidetafeln oder Whiteboards.
"Kann man sich an alle JVAs bewerben? Also wird der Unterricht nur im Jugendarrest erteilt oder auch im geschlossenen Männervollzug."
Bewerbung nicht über Verena oder Leo, sondern direkt beim Justizvollzug. Es gibt keine Verschränkung oder nennenswerte Kooperation zwischen beiden Ministerien. Vorrangig wird der Jugendvollzug mit Lehrkräften bedient. Es gibt, jedoch deutlich seltener, Lehrerstellen im Erwachsenenvollzug. Dort ist man dann meist nur Einzelkämpfer oder zu zweit, zu dritt. Im Jugendarrest wiederum gibt es derzeit meines Wissens nur eine Lehrerstelle und die ist recht neu. Wir reden hier primär vom geschlossenen Jugend-Vollzug. Das ist etwas gänzlich anderes als Arrest.
Jugendliche männliche Gefangene zwischen 14 und 25, die entweder in Untersuchungs- oder Strafhaft sitzen. Reguläre Haftzeit zumeist nicht unter einem Jahr. Da sind dann aber auch Räuber, Mörder, Vergewaltiger, Diebe, Drogen-Dealer, Zuhälter, Einbrecher, Kinderschänder und nicht zuletzt Gewalttäter jeder Couleur dabei. Bitte darauf gefasst sein.
Dringend um eine vorherige Hospitation bitten. Das wird auch ohne Probleme möglich sein und ist bei dann noch bestehendem Interesse ein wichtiger Punkt bei einem Einstellungsgespräch.