Beiträge von elCaputo

    Das ist sehr interessant elCaputo ! Es wirkt, als hättest du da eigene Erfahrungen und schon mal in einer JVA unterrichtet?

    Dahingehend decken sich deine Äußerungen aber nicht mit dem, was lebenslaenglich oben schrieb (Zitat: "fachfremder unterricht muss nur in den nebenfächern gegeben werden. in den hauptfächern (deutsch, mathe, englisch) ist das unverantwortlich.")

    Ist das evtl. von BL zu BL unterschiedlich?

    Du fragtest explizit nach NRW. Zu anderen Bundesländern kann ich nichts sagen. Ich könnte mir vorstellen, dass es eher Unterschiede zwischen E- und Jugendvollzug gibt. Die meisten Kurse in einer JVA des JV sind Förderkurse bzw. Kurse, die die Gefangenen nach langer Schul-Abstinenz wieder an Unterricht heranführen sollen. Das inhaltliche Niveau ist extrem niedrig. Die meisten jugendlichen Gefangenen sind auf dem Stand von Grundschülern, nicht selten vollkommen ohne jegliche Schulerfahrungen oder -wissen.


    Die allermeisten haben eine gescheiterte Förderschulkarriere hinter sich, weshalb ich persönlich auch im Pool der Förderschullehrer die kompetentesten Kollegen für den Justizdienst sehe. Nur die bekommt man nicht - nicht zu den Bedingungen. A13 ist eben auch an der Regel-Schule Standard, nur eben mit Ferien und teils frei planbaren Arbeitsphasen.


    Wer Bammel vor fachfremdem Unterricht hat, der sollte dringend seinen Wunsch, in einer JVA zu arbeiten, überdenken. Womit man dort täglich konfrontiert wird, ist eine ganz andere Hausnummer. Beim ersten Alpha im Klassenraum sehe ich da schon schwarz.

    "Wie ist es mit den Arbeitszeiten? Kann man alle Arbeit im Büro erledigen, sodass man die Nachmittage und Wochenenden – wie ein regulärer Angestellter/Arbeiter in der Privatwirtschaft oder im Öffentlichen Dienst – frei hat?"


    Grundsätzlich gilt Präsenzpflicht d.h. 41 Stunden die Woche, also echte Zeitstunden, verbringt der Justizlehrer verpflichtend in der Dienststelle. In der Regel gibt es eine Art Gleitzeitregelung, bei der ein gewisser Anteil (ich glaube 60%) der täglichen Arbeitszeiten gemeinsam festgelegt wird. Außerdem gibt es ein Überstundenkonto. Überstunden können, wenn genügend anfallen, auch als ganze freie Tage abgefeiert werden (maximal 2 pro Monat). Bei 41 Zeitstunden sehe ich jedoch keine freien Nachmittage. Frühester Beginn ist 6:30 Uhr. Damit ergibt sich ein frühestmöglicher Feierabend um ca 15:15 Uhr. Am Wochenende kann man für Bewerbungstests oder Veranstaltungen herangezogen werden. Das ist jedoch selten.

    Ja, man nimmt keine Arbeit mit nach Hause, Korrekturen gibt es nicht, da es keine Lehrpläne, keine verbindlichen Klassenarbeiten oder Klausuren gibt. (Anders ist das bei abschlussbezogenen Maßnahmen, die jedoch häufig nicht von Justizlehrern unterrichtet werden, sondern von externen Kollegen aus kooperierenden Berufskollegs.)

    Ja, man verfügt über ein eigenes Büro mit allem nötigen Equipment. Eigene Materialien brauchen nicht beschafft werden, außer man mag nicht auf die manchmal etwas längeren Beschaffungen warten.

    Ferienzeiten sind egal. Der Unterricht läuft durch, auch im Sommer (Ausnahme hier wieder die BK-Lehrer). Justizlehrer haben keine Ferien, keine beweglichen Feiertag etc. In Hinblick auf Familienplanung sollte man das dringend im Hinterkopf haben. Die zeitliche Flexibilität eines Regelschul-Lehrers (früh heim - abends oder nachts arbeiten) gibt es hier nicht.


    "Wie unterscheidet sich die Arbeit an der JVA von der Arbeit an einer Regelschule?"


    Lehrer: Keine Lehrpläne, keine Fristen, keine Schuljahre, Alters-heterogene Lerngruppen, Kleingruppen (8-10), keine Aufsichten, niederschwelliges Arbeiten in allen Fächern, fachfremdes Unterrichten ist normal (und bewältigbar), keine unmittelbaren Dienstvorgesetzten (es gibt keine Schulleiter), innerhalb der Lehrer größtmögliche Flachheit der Hierarchie, Einbindung in die extreme Justiz-Hierarchie (vergleichbar mit Bundeswehr), kaum Verständnis innerhalb des Justiz- und Gefängnissystems für pädagogische Belange, Bedenken und Ansichten. Die gefängnisspezifischen Dinge und Traditionen haben grundsätzlich Vorrang. Mitspracherechte der Pädagogen sind kaum ausgeprägt (kann je nach JVA variieren). Stundenpläne bzw. Stundeninhalte kann man nach eigenem Gusto gestalten. Sportunterricht wird durch Kollegen des AVD betreut. Starke Reglementierung, wann man wo was mit wem macht. Alles muss angemeldet und genehmigt werden. Möglichkeit für außerunterrichtliche Angebote (AGs), kein Elternkontakt > keine Elternabende o.ä.


    Schüler: "Schlechtestenauswahl" hinsichtlich sozialer und schulischer Kompetenzen, hohes Aggressions- und Gewaltpotential innerhalb der Gruppen, unmittelbare Sanktionsmöglichkeiten durch den Lehrer (Entfernung aus dem Unterricht akut oder für mehrere Tage, Freizeit-Sanktionen durch den Lehrer), geringe Frustrationstoleranzen, ausgeprägter Hang zur unmittelbaren (meist logisch nicht nachvollziehbaren) Bedürfnisbefriedigung, massive Gewalterfahrungen, flächendeckend Drogenerfahrung und -sucht, das ganze Spektrum bildungsfernen Denkens (Verschwörungstheorien, Judentum als Erzfeind, Wissenschaft ist falsch), verquere Ansichten zu Werten und Ethik, völlig dysfunktionale Familienhintergründe, durchkriminalisierte Familien


    "Inwieweit muss man fachfremd unterrichten?"

    Ja. Die Bereitschaft dazu ist Einstellungsvoraussetzung. Ein Rückzug auf "kann ich nicht, hab ich nicht gelernt, ist nicht meine Facultas" gilt nicht.


    "Muss jemand mit Englisch und Geschichte als Fakultas auch Mathe unterrichten?"

    Das muss innerhalb des Kollegiums abgesprochen werden. Gibt es genug befähigte oder willige Kollegen, so ist das nicht nötig Andernfalls jedoch...


    "Wie sieht die Arbeit in multiprofessionellen Teams aus?"

    Was soll das sein? Es gibt natürlich Berührungspunkte mit den Kollegen des AVD, den Sozialarbeitern, mit den Gefängnis-Psychologen, mit den Kollegen vom Werkdienst, ggf. dem Gefängnis-Pfarrer und mit viel Glück hat man einen Förderschullehrer im Kollegium. Die Personalpolitik geht, von den Kleingruppen abgesehen, dahin, dass der Einzelne so viele Gefangene betreut wie möglich. Team-Teaching daher eher nicht.


    "Wie sieht die digitale Ausstattung aus? W-Lan, Tablets, Beamer, Smartboards, Apple-TV + iPad etc.?"

    Ja, nein, eher nicht. Den Lehrkräften steht ein Dienst-Computer mit Internet-Zugang und Drucker zur Verfügung. Die Beschränkungen der Gefangenen lassen W-Lan oder anderweitige Zugänge zum Internet aus dem Klassenraum heraus nicht zu. Mittlerweile gibt es Computer-Räume, die jedoch begrenzt nutzbar sind. Ansonsten bewegen wir uns ausstattungsmäßig eher in den 1980'er Jahren. Kreidetafeln oder Whiteboards.


    "Kann man sich an alle JVAs bewerben? Also wird der Unterricht nur im Jugendarrest erteilt oder auch im geschlossenen Männervollzug."

    Bewerbung nicht über Verena oder Leo, sondern direkt beim Justizvollzug. Es gibt keine Verschränkung oder nennenswerte Kooperation zwischen beiden Ministerien. Vorrangig wird der Jugendvollzug mit Lehrkräften bedient. Es gibt, jedoch deutlich seltener, Lehrerstellen im Erwachsenenvollzug. Dort ist man dann meist nur Einzelkämpfer oder zu zweit, zu dritt. Im Jugendarrest wiederum gibt es derzeit meines Wissens nur eine Lehrerstelle und die ist recht neu. Wir reden hier primär vom geschlossenen Jugend-Vollzug. Das ist etwas gänzlich anderes als Arrest.

    Jugendliche männliche Gefangene zwischen 14 und 25, die entweder in Untersuchungs- oder Strafhaft sitzen. Reguläre Haftzeit zumeist nicht unter einem Jahr. Da sind dann aber auch Räuber, Mörder, Vergewaltiger, Diebe, Drogen-Dealer, Zuhälter, Einbrecher, Kinderschänder und nicht zuletzt Gewalttäter jeder Couleur dabei. Bitte darauf gefasst sein.


    Dringend um eine vorherige Hospitation bitten. Das wird auch ohne Probleme möglich sein und ist bei dann noch bestehendem Interesse ein wichtiger Punkt bei einem Einstellungsgespräch.

    Videokonferenz nur noch morgens um 8:00 Uhr zur Anwesendheitskontrolle und der Mitteilung bzw. Abfrage wichtiger Informationen.


    Phasenweise stehe ich als Ansprechpartner für Fragen und Probleme zur Verfügung, "sitze" also in einem Konferenzraum und kann von SuS aufgesucht werden. Wird kaum genutzt.


    Im Fachunterricht bin ich dazu übergegangen, Arbeitsaufträge zu verschriftlichen, online bereit zu stellen, ebenso wie Lösungen (mit Zeitversatz). Erarbeitete Leistungen werden von den SuS abgeheftet und nach Schulöffnung auf Vollständigkeit überprüft.


    Keine Lust mehr auf Solo-Bespaßungsprogramm vor schwarzen Rechtecken, aus denen heraus keine aktive Beteiligung erfolgt. Selbst auf Ansprache kommt oft lange nichts oder meist nur ein verschlafenes "häh?" oder ein dünnlippiges "ja" oder "nein".


    Ich glaube, Videokonferenzen sind am ehesten das, was Eltern unter Distanzlernen verstehen und sehen wollen. Wäre unter den richtigen Bedingungen evtl. wirklich tauglich, ist es aber hier und heute nicht. Frustriert mich nur. Man gibt deutlich mehr als man bekommt.

    Erst ab 12 Jahren dürfen wir Kinder alleine lassen.

    Das ist heftig. Gab's denn in der Vergangenheit diesbzgl. größere Probleme, dass das nötig wurde?


    In den letzten Jahren drangen eigentlich nur Infos aus der Alpenrepublik zu mir, bei denen eher das Problem war, dass Erwachsene eine ungesunde Nähe zu Kindern pflegten.

    War nicht in Sachsen, sondern genau am entgegengesetzten Ende der Republik. Der Laden leer, 4 Männekens, keine abgezählten Einkaufswagen, keine Oma, der was runtergefallen wäre, an den Masken gab's nix auszusetzen.


    Bitte keine Szenarien entwerfen, die nicht zutreffen. Darum ging es ja. Augenmaß in der jeweiligen Situation. Eine situationsangemessene Reaktion.

    Da hocken wir bis vor wenigen Wochen über Monate mit 30 Schülern in Klassenräumen von maximal der Größe der Pfandabteilung zusammen, kein Einkaufswagen weit und breit, null Abstand, Masken unterschiedlichster Güte jenseits der dafür vorgesehenen Gesichtsbereiche, und hier bekommen einige Beklemmungen und Schnappatmung wegen einkaufender Rentnerehepaare oder Eltern mit Kind.


    Da sind doch ein paar Wertemaßstäbe kräftig verrutscht.

    Das ist pöse und toooootal egoistisch von denen. Diese unvernünftigen alten Menschen gefährden mit mit Ihrem hochriskanten, von Vergnügungssucht getriebenen, Shopping-Ausflug noch viel ältere Menschen, die aus ihren Häusern und Pflegeheimen nicht rauskommen und auf Kühllaster vor den Fenstern starren. Zu zweit im Laden! Diese Irren! Gemeingefährlich.

    Anna Lisa


    Hattest Du die Rahmenbedingungen im Blick?


    Ich muss mich immer wieder in jüngster Zeit wundern, wie sehr es doch (immer noch?) ein Kulturgut unseres schönen Landes zu sein scheint, andere reglementieren, zurechtweisen, anzeigen, denunzieren, sich entrüsten und über andere moralisch erheben zu müssen.


    Ein wenig mehr Augenmaß, etwas weniger Prinzipienreiterei. Aber vielleicht ist ausgerechnet ein Lehrerforum auch der falsche Ort, derartiges zu erwarten.

    Es gibt keine Verpflichtung zu VK, zumindest nicht in NRW und bei uns auch nicht von Seiten der Schulleitung. Distanzlernen ist da sehr weit gefasst.


    Nichtsdestotrotz empfinde ich die VK als diejenige Form des DL, die dem Präsenzunterricht am ehesten ähnelt. Sie lässt einen unmittelbaren Austausch zu und ermöglicht es mir, Schüler direkt anzusprechen, die ansonsten einfach im Nebel der Distanz verschwinden (Stichwort Holschuld).


    Ich führe inzwischen per VK in das Unterrichtsthema ein, erkläre die Arbeitsschritte und gehe dann in eine Art Stillarbeitsphase ohne Bild und Ton über. Dort bin ich jederzeit ansprechbar für Schülerfragen. Meistens wird die Stunde in den letzten 5 bis 10 Minuten gesichert, indem Lösungen vorgestellt werden. Wieder per VK. Das klappt mehr schlecht als recht, weil die SuS noch stärker als im Unterricht auf Tauchstation gehen.


    Diese Methode sehe ich nicht mit Kind (drei Jahre) im Hintergrund. Für die Kleine bin ich da und damit jederzeit Ansprech- und Spielpartner. Und den halben Tag Paw Patrol gucken lassen kann's ja auch nicht sein.


    Mein Plan ist nun, das o.g. Konzept weitestgehend umzustellen, auf zugesandte Arbeitsaufträge (weitestgehend vorentlastet) und nur noch per Anfrage (messenger) zu bestimmten Zeiten für die SuS zur Verfügung zu stehen.


    Sicherung per online gestellte Lösungen (Selbstkontrolle) und nachträgliche Kontrolle der Hefte/Mappen nach Schulöffnung.


    So oder so ähnlich haben es ja einige hier auch geschildert. Danke für die Rückmeldungen übrigens.

    Gerade im Supermarkt. Die Verkäuferin fragt eine Mutter und deren ca. 12jährige Tochter recht schroff, wo denn ihr zweiter Einkaufswagen sei. Beide reagierten etwas perplex und waren kurz drauf wieder raus aus dem Laden. Kein böses Wort.


    Und ich hatte beide gemeinsam im Auto kommen sehen. Beide hocken wahrscheinlich den ganzen Tag aufeinander in der Bude und hatten just - zwar mit MNS - aber dennoch ein bisschen das Gefühl von Normalität, von mal raus kommen.


    Kann es sein, dass derzeit auch so mancher innerer Freizeit-Diktator sich Bahn bricht? Mal was zu sagen haben, mal jemanden zurechtstutzen...

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