Die Abgrenzung ist eben nicht so einfach und was ich häufig sehe, sind Kinder mit allerlei Diagnosen, mit denen Lehrer*innen plötzlich nicht mehr wissen, wie sie mit ihnen umgehen sollen, weil sie Diagnosen haben.
Meine Sichtweise ist genau anders herum.
Mit den Kinder umgehen muss ich ohnehin, da ist eine Diagnose nicht generell notwendig, in meinem BL z.B. auch nicht für den Nachteilsausgleich zu LRS/Dyskalkulie zwingend erforderlich. Da gibt es durchaus Unterschiede bei den Bundesländern.
Ob das eine Kind demnächst eine Autismus-Spektrum-Störung diagnostiziert bekommt, ist für die Arbeit mit ihm nicht entscheidend, die machen wir ohnehin, ABER es gibt dann außerschulische Förderung für das Kind UND für die Familie, die es dringend braucht.
Ob das andere Kind, das AVWS diagnostiziert hat, irgendwann die Förderung erhält, die ihm m.E. schon längst zusteht, werden wohl irgendwann die Gerichte entscheiden -nach 2 oder 3 Jahren, die sich das Verfahren hinzieht. Und wenn die Jahre um sind ... hat das Kind diese Jahre und diese Förderung verpasst, man kann sie nicht nachträglich gewähren.
Ohne Diagnose stehen die Familien immer häufiger im Regen, denn nur mit Rezept gibt es Therapien, nur mit Diagnose gibt es eine Anerkennung für dieses oder jenes, egal, wie engagiert sich die Familien bereits gekümmert haben und die Kostenstellen verweisen gerne ans andere Amt.
Da ist das Kind mit Beeinträchtigung auf die Welt gekommen und diese Eltern müssen nicht nur ständig am Ball bleiben und sich um alles kümmern, sie müssen auch immer wieder um jede Möglichkeit der Hilfe bitten und betteln und werden dann vertröstet oder abgewiesen: das Kind ist zu klein zum Überprüfen, man soll erst abwarten, das Kind ist gerade eingeschult, man soll erst abwarten, das Kind kann ja erst mal wiederholen, man soll erst abwarten, 3 Jahre sind dann bald um. Das Kind soll dies, die Eltern sollen das, wir warten noch länger, das Testverfahren ist nicht genehm, es braucht noch ein anderes und noch eines ... am Ende sind alle frustriert, vor allem das Kind, und Hilfe gab es vorallem durch die Initiative der Eltern. Sonst fühlte sich keiner zuständig oder hat nur vertröstet, weil man die Diagnose von Fachärzten nicht anerkennen wollte.
Selbst mich als Lehrkraft nervt das, weil man den Eltern immer wieder erläutern muss, warum das Kind die Hilfe NICHT erhält, warum sich alles verzögert etc.
Niemand käme bei einem blinden Kind auf die Idee, erst abzuwarten.
Niemand würde bei einem kurzsichtigen Kind die Brille wegnehmen und sagen, das würde sich schon geben, das Kind könne ja erst einmal so zur Schule gehen und dann wiederholen oder es sei vielleicht einfach ein bisschen dumm und die Eltern hätten sich nicht richtig gekümmert.
Bei Kindern mit Hörbeeinträchtigung ist das anders, bei manch anderem auch.
Statt Kindern gleich zu Beginn viel Hilfe zu gewähren, damit sie die grundlegenden Fähigkeiten erlernen oder Hilfe haben, das Kompensieren zu lernen, überlässt man sie sich selbst ... und fordert immer von den Eltern, sie sollten sich kümmern und nennt das dann großzügig "Inklusion".
Das nervt mich derzeit gerade wieder einmal zunehmend, gerade weil ich mehrere Kinder täglich vor Augen habe, denen die Hilfen, die möglich wären, versagt werden, obwohl diese im schulischen Bereich ohnehin per Erlass extrem sparsam eingesetzt sind.