Meine Perspektive ist einfach eine andere.
Weil ich in Berichtszeugnissen - die in Klasse 1+2 die Eltern lesen, nicht die Kinder - positiv formuliere, dass ein Kind erste Dinge bereits kann, zerbricht daran nicht das Kind, aber es erhebt dieses Kind auch nicht in eine rosa Wolke der Selbstüberschätzung.
Die Kinder wissen schon recht genau, was sie können und was nicht. Die Rückmeldung ist ja nun auch wirklich nicht allein auf ein Zeugnis begrenzt.
Hinzu kommt für mich auch eine andere Vorstellung von Begabung hinzu: Es ist eben nicht so, dass man sehr vielen Kindern von Anfang an bescheinigen müsste, sie seien schlicht zu begrenzt in ihren kognitiven Fähigkeiten. Und ebenso muss man denen, die locker Leistungen erfüllen können, auch nicht unentwegt vermitteln, sie seien ohne ihr Zutun besonders intelligent und deshalb so gut. Beides stimmt in den meisten Fällen nicht und ist für den Lernprozess eher schädlich. Für diejenigen, die einen schwierigeren Start haben, ist es gerade sinnvoll, sie darin zu unterstüzten, das aufzuholen, was ihre Sozialisation bisher nicht vorgesehen hat: Lernen lernen, Strukturiert vorgehen ... Ein Stück weit kann Schule da aufholen. Für die, denen alles zuzufallen scheint, ist es gerade wichtig, dass sie herausgefordert werden, an ihre Grenzen gelangen und erfahren, dass auch sie sich für manches anstrengen müssen, um überhaupt eine Vorstellung von Lernen und Anstrengung zu entwickeln und nicht erst in späteren Jahren auf die Nase zu fallen, weil Anwesenheit allein nicht länger ausreicht. Gerade darum sind die ersten Jahre in der Schule so bedeutend.
Man hat 4 Jahre Zeit, das herauszubekommen, herauszukitzeln, zu erlernen, dazu gehören viele Rückmeldungen, viel Training ... und ja, nach 4 Jahren zeigt sich dann auch, welche Schulform geeigneter erscheint. Aber auch das ist noch nicht die Ansage, dass x das Abi schafft und y nicht, sondern vielleicht eher, dass x es über einen anderen Weg besser erreichen kann als y.
Die Beurteilungen in den Berichtszeugnissen haben sich in den letzten Jahren nicht sonderlich verändert. Warum es Floskeln gibt? Weil es doch irgendwie vergleichbar sein soll und weil auch Lehrkräfte Leistungen vergleichen und dann Ähnliches schreiben ... warum soll ich mir das jedes Mal neu ausdenken? Ich habe eine Baustein-Datei, aus der ich schöpfe und dann individuell abändere. Das ist dennoch sehr viel Aufwand und ich merke, dass viele Eltern nicht verstehen, was gemeint sind. Vielleicht sind dann Ankreuzzeugnisse doch die bessere Wahl, da verständlicher und ggf. mit weniger Aufwand verbunden?
Was mir zu denken gibt: Kritik an den Kindern kommt bei den Kindern UND bei den Eltern nicht an. Ich erlebe es so, dass Eltern früher Leistung weit wichtiger genommen haben, stärker nachgehakt haben, erreichbarer waren, dem Kind viel deutlicher die Grenzen gesetzt haben, wenn es notwendig war. ... die Elternsprechtage nahen, ich bin gespannt, wie es wird.