Bei mir sind schon einige Generationen mehr vergangen. Meine Großeltern hatten im Alter von 18-20 im Namen einer Regierung in den Krieg zu ziehen, die von meinen Urgroßeltern 1933 gewählt wurde. Weder aus der Generation meiner Ur-Großeltern noch aus der Generation meiner Großeltern ist einer meiner Vorfahren noch am Leben.
Also weil Täter wie Opfer im Regelfall bereits verstorben sind, darf es uns gleichgültig sein, was im Namen unseres Landes Menschen millionenfach angetan wurde? Weil die wenigen, die noch leben ja sowieso sterben werden, dürfen wir uns für nicht-verantwortlich erklären? Wobei Verantwortung im Fall unserer Generation eben gerade nicht mehr Reparationen meint oder große Prozesse um Täter für Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu verurteilen, sondern das bewusste Lernen aus der Geschichte- eine Verantwortung, die eben im demokratischen Sinn niemals endet, denn das ist Teil der Gründungsgeschichte der BRD, die Basis unseres GGs und der Werte, auf die wir uns darin geeinigt haben.
Mitglieder meiner Familie waren teils bei der Wehrmacht als einfache Soldaten, teils im KZ. Meine Großmutter hat nur mit sehr viel Glück überlebt, weil das Lager, in dem sie eingesperrt war rechtzeitig von der Roten Armee (auf der Flucht vor der sie überhaupt erst von den Nazis aufgegriffen und ins KZ gesteckt wurde) befreit wurde. Ihr Termin für die Gasöfen stand da bereits für den Folgetag fest. Als sie endlich in Deutschland ankamen- das Ziel ihrer Flucht, da sie Volksdeutsche waren- waren sie in der Nachkriegszeit bis zu ihrem Tod in ihrem Dorf nur Menschen zweiter Klasse, weil sie ja keine "richtigen" Deutschen waren, "nur" Volksdeutsche und weil sie ihre Blutlinie nicht "rein" gehalten hatten, sondern tatsächlich sozial integriert gewesen waren (mein Urgroßvater war Bürgermeister in seinem Dorf, seine Frau eine Kroatin- perfekte Integration sollte man meinen), weil sie keine Nazis gewesen waren...
(Gerade wenn es um die Integration geht bzw. das Gefühl fremd/dazugehörig spielen bei so manchen Menschen in Deutschland bis heute unterschwellig die Rassegesetze der Nazis eine Rolle. Ich habe es mehr als einmal bei meiner früheren Arbeit erlebt, dass Kinder mir erzählt haben, ihnen sei von Mitschülern in der Klasse auf Nachfrage erklärt worden, sie wären ungeachtet des deutschen Passes erst "richtige Deutsche" wenn bis zu den Urgroßeltern zurück alle Deutsche gewesen wären. Ich wäre damit dann schon mal als "zu unarisch" raus mit einem Nicht-Deutschen Urgroßelternteil.)
Mein Großvater väterlicherseits war in der Wehrmacht nach einer glücklichen Jugend mit HJ-Zeltlagern und Co. Im Laufe des Kriegs (und des Erwachsenwerdens) dämmerte ihm, dass die Dinge anders waren, als die Propaganda sie darstellte; nach der Entnazifizierung studierte er u.a. Geschichte, weil er das tiefe Bedürfnis hatte zu verstehen, wie es so weit hatte kommen können in Deutschland, wie er selbst sich so hatte manipulieren und täuschen lassen können (bis heute besitze ich seine Abschriften der Nürnberger Prozesse, die er sich damals kaufte) und selbst als Lehrer einen Beitrag dazu zu leisten, dass künftige Generationen es besser machen könnten und würden als seine Generation. "Wehret den Anfängen" war immer das Credo meines Großvaters, der ganz nebenbei bemerkt lebenslang ein ziemlich konservativ wählender Mensch war. Geschichtsbewusstsein und Verantwortung für die eigene Geschichte und eine konservative Sichtweise müssen sich nicht ausschließen, wenn die Menschenrechte das Zentrum bleiben.
@Miss Jones: Das klingt doch etwas überdramatisch... Es gibt Nazis, aber ein Großteil der AfD-Wähler sind, wie schon einmal von @plattyplus erläutert, einfach Leute, die eine Partei mit konservativen Werten (wie sie die CDU früher war bzw. die CSU immer noch ist) wählen wollen. Und "konservativ" ist innerhalb des demokratischen Spektrums.
Nicht jede Partei, die sich recht der Mitte befindet ist einfach nur konservativ @Lehramtsstudent , nicht jede Partei die auch sozial oder auch konservativ ist, ist deshalb noch dem demokratischen Spektrum zuzurechnen (und das gilt links wie rechts). Die AfD ist mit Sicherheit nicht einfach als konservative Partei zu bezeichnen. Sie ist vielmehr eine noch rechtspopulistische Partei mit einer Jugendorganisation, die wegen ihrer rechtsextremen Umtriebe bereits vom Verfassungsschutz beobachtet wird ebenso wie der zunehmend an Macht gewinnende nationalistische Flügel der Mutterpartei AfD. Sowohl die Jungen Alternativen, als auch die AfD betreiben deshalb seit geraumer Zeit ein Programm der oberflächlichen Deradikalisierung, um nicht als Gesamtpartei ins Visier des Verfassungsschutzes zu geraten und damit ganz offiziell das Label "rechtsradikal" umgehängt zu bekommen, von dem sich bestimmte Wählergruppen der AfD abschrecken lassen würden, die zwar gerne mit dem rechten Rand liebäugeln aber eben doch nicht offen rechtsradikal wählen würden. Zu diesem Programm gehört es eine Frau Sayn-Wittgenstein medienwirksam aus der Partei auszuschließen in Schleswig-Holstein - anders als einen Herrn Gedeon in BW, der als Antisemit zwar nicht mehr Teil der AfD-Landtagsfraktion in BW sein darf, wohl aber in der Partei verbleibt- während zeitgleich in Brandenburg scheibchenweise die Informationen der Presse bezüglich seiner rechtsextremen Umtriebe in der Vergangenheit von Herrn Kalbitz relativiert werden wo möglich und bestätigt und verharmlost werden, wo sie nicht mehr zu leugnen sind. Zu diesem Programm gehört es, dass die Partei eine innerparteiliche Arbeitsgruppe hat, die basierend auf juristischen Gutachten Hinweise gibt, wie verhindert werden kann als Gesamtpartei als verfassungschutzrechtlicher Verdachtsfall eingestuft zu werden:
(...) Die Partei hat inzwischen eine "Arbeitsgruppe VS" eingesetzt, die vom Juristen Roland Hartwig geleitet wird. Die Arbeitsgruppe soll unter anderem Verhaltensregeln aufstellen, die verhindern sollen, dass die Partei tatsächlich ein Fall für den Inlandsnachrichtendienst wird. Als Grundlage dafür sollte ein Gutachten des emeritierten Freiburger Staatsrechtlers Dietrich Murswiek dienen, der bereits mehrfach auf AfD-Veranstaltungen auftrat. Doch was Murswiek der AfD nun aufgeschrieben hat, ist politischer Sprengstoff. NDR, WDR und "SZ" liegt eine zehnseitige Zusammenfassung des Gutachtens von Kommissionsleiter Hartwig vor. Murswiek nennt in seinem Gutachten demnach zahlreiche "Beispiele für Äußerungen, die von den Verfasssungsschutzbehörden als Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen gewertet wurden". Dazu zählt er "Fremdenfeindlichkeit", "Islamfeindlichkeit" bis zu "rassistischen Diskriminierungen".
Auch die Verwendung von Begriffen wie "Systemparteien", "Umvolkung", "Großer Austausch", "Volkstod" oder die Verunglimpfung von Flüchtlingen als "Invasoren" sehen Verfassungsschützer demnach als Hinweis auf verfassungsfeindliche Bestrebungen. Problematisch sind dem Gutachten zufolge auch jegliche Relativierungen des Nationalsozialismus, Geschichtsrevisionismus und das Schüren von Ängsten vor Folgen von Masseneinwanderung. Letzteres "wird als Ausdruck von Fremdenfeindlichkeit und damit Verfassungsfeindlichkeit" gewertet, heißt es.
(...)
Wer jetzt aufmerksam mitgelesen hat, dem wird klar, dass alle problematischen Begriffe und Aspekte bereits von diversen Vertretern der AfD ausgesprochen und wiederholt verteten wurden. Wer das noch als "Teil des demokratischen Spektrums" sehen mag, darf das offiziell bis die Partei eben tatsächlich zum Verdachtsfalls erklärt wird oder gesteht sich alternativ jetzt schon ein, dass das Deckmäntelchen der Demokratie ganz andere Umtriebe und Ziele beschönigen soll. Die AfD zu verteidigen bedeutet einen menschenverachtenden, geschichtsrevisionistischen Diskurs zu verteidigen. Zumindest beim Geschichtsrevisionismus sind die Vetreter in diesem Thread, die die Wahl der AfD verteidigen, rechtfertigen, beschönigen allesamt auch ganz vorne mit dabei.
Systematisch gesehen hält eine Demokratie das schon aus, problematisch wird es nur, wenn eben dieser geschichtsrevisionistische Diskurs ausgerechnet von den Leuten verteten wird, die kommende Generationen ausbilden und diesen eine demokratische Geisteshaltung im Bewusstsein der und unter Verantwortungsübernahme für die eigene Geschichte vermitteln sollen.