Hi ihr,
ich kann mich den meisten von euch nur anschließen, obwohl ich in einem Bundesland bin, wo die Situation nicht zu verschärft ist in punkto Seminarleiter.
Mich nervt am meisten, dass ich haufenweise Stunden sehe, wie ich sie selber in meiner Schulzeit erlebt habe und wie sie vermutlich schon meine Mutter erlebt hat, bei meinem Vater gabs noch nen Rohrstock und Mädchen- und Jungenschule getrennt...
Jedesmal wenn ich versucht habe, daran im Rahmen meiner Einflussmöglichkeiten etwas zu variieren (kein selbstständiger Unterricht bei uns), Differenzierung einzubauen, wurde mir in den Rücken gefallen. (Kinder, die zu langsam schreiben, müssen bei meiner Ausbildungslehrerin z.B. in der Hofpause drin bleiben und ihre Arbeit beenden, dabei sind das größtenteils ADHS-Kinder, die die Bewegung dringend bräuchten. ) Wenn ich z.B. als einfache, auch im Alltag bei voller Stelle umsetzbare Differenzierungsmöglichkeit die langsamen Kinder nur eine halbe Zeile von jedem Buchstaben habe schreiben lassen und denen mit großen feinmotorischen Problemen größere Schreibzeilen kopierte, gabs Meinungsverschiedenheiten mit der Ausbildungslehrerin. Von differenzierten Arbeitsblättern schweigen wir mal: "Alle Kinder müssen das gleiche Blatt haben!" (Und differenzierte Hausaufgaben werden von unserem Hort abgelehnt.)
Alle Dinge, die wir im Seminar lernen, werden von der Schulleitung als neumodischer Kram oder Zeichen von pädagogischer Schwäche abgetan (Verträge mit "schwierigen" Schülern, Streitschlichtung, Stationslernen, Differenzierung etc.) und gleichzeitig wurde ich aufgefordert, mehr von den Sachen aus dem Seminar einzubringen... Ja, äh... Hallo?
Und dann klappen zu den Vorführstunden natürlich auch die Sachen, die die Seminarleiter sehen wollen nicht, wie sollen sie, wenn ich kaum eine Chance habe, sie mit den Kindern zu erproben?
Ich habe so manches Mal gedacht: "Wenn ich die Stunde, die meine Ausbildungslehrerin mir für den Unterrichtsbesuch vorschlägt, zeige, bekomme ich mit Glück eine 4." Ich habe es nie gesagt.
Sie sagen, sie wollen Stunden aus dem Schulalltag sehen. Wie der Schulalltag hier aussieht, wie meine Kolleginnen unterrichten, das weiß keiner von ihnen.
Ich habe bei einem meiner Fachleiter das Praktikum "andere Schulform" gemacht. Er wies mich dann mehrfach darauf hin, dass der Termin so ungünstig gewählt wäre, noch vor wenigen Wochen hätten die Schüler in Gruppen gearbeitet, aber jetzt sei so eine Phase, da müsse man mal wieder frontal arbeiten.
Ich glaube, ich habe gelernt, mit wenig Vorbereitungszeit oder sogar ohne und teilweise vor weitgehend unbekannten Klassen, Stunden zu halten, die den Kindern nen gewissen Lernzuwachs bringen und die auch motivierende Elemente enthalten. Und das ist später für die Arbeit wichtig, denn wie Heike so treffend sagt - das ist unser Job.
Und ich habe das trotz des Schweigens meiner Ausbildungslehrerin zu meinen Stunden (manchmal hätte ich mir gewünscht, dass sie eine pro Woche davon zerfetzt, statt nur zu sagen "Weiß nicht, warum die Schüler unruhig waren...", "War doch ne gute Stunde.") und obwohl mein Fachleiter an einer anderen Schulform unterrichtet als ich und dementsprechend teilweise Ideen und Vorstellungen von Unterricht hat, die in meinen Klassenstufen nicht realisierbar sind. (Auf der anderen Seite hat er auch viele hilfreiche Ideen gehabt und immer viel Postivies gesagt, weil er meine Ausbildungssituation kannte.)
eulenspiegel
Und selbst wenn man den Lernzuwachs erreicht hat... wichtig ist noch dass er mit Namenskärtchen, Redekärtchen, dreifach differenziertem, partnerarbeitlichen Stationslernen, Videovorführungen mit Beamer, KlippterMeyerPeterßen-Brummbrumm und allem möglicheetc.n erreicht wird. Oft steht dann in der Vorbereitung solcher Stunden die Methoden- und Sozialformenjongliererei im Vordergrund, statt an den Lernzuwachs und die Kinder zu denken. Ging mir jedenfalls im 2. Ausbildungsjahr so.
@carla-emilla
Zitat
Ich glaube, an dem ganzen System müsste etwas grundlegend geändert werden. Es kann nicht sein, dass einige wenige (und total unrealistische) Schaustunden über das berufliche Schicksal eines Menschen entscheiden.
Ja, genau!
Und noch schlimmer: Bei uns zählen die Vornoten der Fachleiter gar nicht in die Gesamtabschlussnote rein! (Nur in die Noten der Fächer, die man extra nochmal auf dem Zeugnis bekommt.) Aber in die Gesamtabschlussnote zählt das Gutachten von HSL, das sich nicht wirklich auf die Gutachten der FSL beruft (doppelt), Hausarbeit, mündlicher Prüfung, 1. Lehrprobe, 2. Lehrprobe.
D.h. diese 2 Prüfungsvorführstunden bringen einem 1/3 der Gesamtnote, mit der man sich nachher bewirbt... Und naja, wer sich gut verkaufen konnte im Seminar, ist jetzt auch besser dran...
Mir schwirrt da der Satz eines namhaften deutschen Erziehungswissenschaftlers, bei dem ich studierte und der dann Direktor einer Schule wurde und über Einstellungen entschied, im Kopf herum: "Stelln Sie sich mal vor, da bewerben sich welche, die ihr 2. Staatsexamen mit 3 oder sogar mit 4 gemacht haben. Das können doch gar keine guten Lehrer sein!"
kopfschüttelnd,
Conni
PS: Ja, es tut wirklich gut, den Frust mal so richtig rauszulassen