Achtung: Beitrag enthält viel Stimmbildungstheorie. Hoffentlich schreib ich jetzt nix, was ihr eh schon wisst und nicht braucht...
Hi ihr,
man muss bzgl. des zu tief und zu hoch Singens 2 Sachen unterscheiden:
1. Es besteht auch weiterhin in der musikdidaktischen Literatur die Ansicht, dass Kinder oft zu tief singen. Und das ist meiner Ansicht nach dann richtig, wenn man Kinder so singen lässt, wie sie es wollen (von Eltern, Popstars ... gewöhnt sind): Sie singen in einem Tonbereich (g bis bevorzugt e', maximal g'), in dem mir auf Dauer der Hals weh tut. Und das gibt es zwar bei meiner Ausbildungslehrerin, bei mir aber nicht, eins der wenigen Dinge, die ich kategorisch ablehne.
2. Lieder in Liederbüchern sind oft zu hoch. Auch richtig. Gerade wieder gesehen: Weihnachtslieder bis hoch zum f''. Das kann vielleicht ein Kind, das seit dem 6. Lebensjahr im Kirchenkinderchor sang und Stimmbildungsunterricht hatte und nun 9 ist. Die andern können es nicht. (Ich übrigens auch nur wenn ich wieder richtig mehrfach die Woche Singen üben würde - vielleicht. Bin ein von nem Gesangslehrer verhunzter Mezzosopran.)
Nun Stimmbildungstheorie für Frauen und Kinder; Männer kenn ich mich nicht so aus (aus klassischer Sicht):
Die Stimme besteht aus 3 Teilbereichen:
- Brustregister: tiefster Teil, beim Sprechen genutzt, in tiefer Stimmlage auch beim Singen. Reicht etwa bis zum e' oder f'. Klang: schnell laut, kräftig; Resonanzraum: Oberkörper. Erzeugung: Die gesamten Stimmlippen / Stimmfalten schwingen mit. (d. h. sind gespannt, d.h. werden recht stark beansprucht!)
- Kopfregister: hohe Lage der Stimme, etwa ab h' bis c'', Klang: leise, weich und "dünn"; Resonanzraum: Neben- und Stirnhöhlen; Erzeugung: Stimmlippen sind eher entspannt, nur ihre Ränder schwingen mit. (Geringe Beanspruchung)
- Mittelregister: Dazwischen, beste Singlage. Teile der Stimmfaltenmuskulatur sind gespannt, Resonanzräume: Oberkörper und Hohlräume im Kopf, Klang: hell, metallisch, kann laut oder leise sein.
Problem: Kopfregister ist zwar ok für die Stimme, aber wird als leise empfunden und spätestens, wenn Eltern oder Lehrer sagen "Nun singt doch mal lauter!" ist es weg.
Brustregister klingt laut, wird von den meisten als "normal" und erstrebenswert empfunden. Ist aber sehr anstrengend für die entsprechende Muskulatur. Mal ein Zitat (Andreas Mohr: Handbuch der Kinderstimmbildung) "Auch das Singen tiefer Töne kann zu Schwierigkeiten führen, wenn diese nämlich allzu sorglos mit ungesteuerter Kraft produziert werden. Dann kommt es zu einer starken Verdickung der Stimmfaltenmuskulatur [...], was bei häufigem Gebrauch Verkrampfungserscheinungen nach sich zieht." Konsequenz: es wird deutlich schwieriger, hohe Töne zu singen. A. Mohr hält zwar dann auch am Bereich bis f'' fest, aber sagt im Zitat ja selber, dass Kinder, die viel tief gesungen haben, nicht mehr sehr hoch kommen... Eventuell ist es dir ja auch schonmal so gegangen: Viel gesprochen, dann versucht zu singen, die Stimme "saß" im höheren Bereich nicht mehr richtig, während die tieferen Bereiche leicht und laut zu singen waren... Nun das Problem: Erwachsene haben eine Beschränkung der Bruststimme nach oben beim e' bis f'. Bei Kindern kann diese Schranke durchaus beim h', c'' oder d'' liegen. Kinder sind also in der Lage, mit Kraft, Macht und Gewalt ein Lied hoch und laut (freut Erwachsene meist) zu singen, man mag denken "Prima, keine Bruststimme!" und gleichzeitig leiden ihre Stimmlippen erheblich.
Mittelregister: Früher wurde das Mittelregister als zum Singen anzustrebendes Register angesehen, heute ist das unter Kindern, Eltern, Musiklehrern (!!!) und vor allem Popmusikern nicht mehr selbstverständlich, obwohl es von Stimmbildnern nach wie vor so gesehen wird. Klassischer Gesangsunterricht sollte von der Mittelstimmlage ausgehen (leicht zu singen) und diesen Klang (Möglichkeiten der abwechselungsreichen Dynamik, deutlich hörbar, klar) in höhere und tiefere Register tragen. Im hohen Bereich wird dabei innerlich das Gefühl erzeugt, einen tiefen Ton zu singen (Resonanzräume, v.a. Hals weiten), im tiefen Bereich wird die Vorstellung geweckt einen schönen, weichen, hohen Ton zu singen (leise, so locker wie möglich). Dann "sticht" auch das Brustregister in seiner Lautstärke nicht mehr so gegenüber den mittleren Lagen heraus.
Nun meine Vorgehensweise: Ich überlege mir zu Hause zu jedem Lied eine für mich und meine SchülerInnen passende Tonart mit Variationsmöglichkeiten.
Ich gehe auf die Wünsche der SchülerInnen ein. Letztes Jahr z.B. meckerten meine Viertklässler (nachdem sie vorher nur bei meiner Ausbildungslehrerin tief gesungen hatten), dass ein c' zu hoch für sie sei, h' und b' lehnten sie ebenfalls ab. Also sang ich das Lied mit ihnen tiefer (a' war dann der höchste Ton und ich verlangte von ihnen, dass sie leicht, locker und leise sangen). Als sie Melodie und Text konnten, ging ich einen Halbton hinauf, das merkte keine(r). (Habe daran gelernt: Solange man das Lied noch lernt, sind hohe oder tiefe Tonlagen schwerer!) In der kommenden Stunde fing ich dort wieder an und ging später noch einen Halbton hinauf. Die Kinder sangen das Lied abschließend mit h' als höchstem Ton. In diesem Schuljahr hatten wir ein Lied von CD mit Playback von CD. Höchster Ton d'', zu hoch. (Damals wusste ich noch nicht, wie man das runterkriegt ohne Tempoänderung und Verzerrung.) Also übten wir etwas tiefer (h' bis c''), sie wollten unbedingt mit CD singen und ich hatte die Gelegenheit ihnen ein paar Sätze über Stimmbildung zu sagen und sie dann ein bisschen ausprobieren zu lassen: Wir sangen das Lied auf lauter Silben mit "o" (bester Vokal für Kinderstimmen) leise und weich klingend, probierten es langsam etwas höher und am Ende war der Einsatz auf c'' (günstigerweise mit "Ohhhhh" als Text ) weg die Kinder brauchten nicht vor Angst zu "pressen". Das d'' war eine völlig unbetonte, kurze Note auf letzter Wortsilbe, nach wichtiger, betonter, langer Wortsilbe, so dass wir diese Silbe "ganz leise" sangen. Hat auch geklappt und noch etwas zur besseren Phrasierung gebracht.
In der jetzigen 6 würde ich NIE NIE NIE so vorgehen, weil einige Schüler dort nur schreien und auf ihre Stimme drücken, dass es mir in der Seele weh tut. Sie sind zu keinem anderen Gesangsstil zu bewegen.
In meiner 4 bin ich damit sehr vorsichtig und singe lieber etwas tiefer, weil die Kinder gerne überschreien und viel häufiger an schönes Singen erinnert werden müssen als die 5. Klasse, während die 3 von sich aus leise bis mittellaut und weich singt.
Achtung, jüngere Kinder haben einen geringeren Tonumfang. Erstklässler also im Allgemeinen nicht so hoch und nicht so tief singen lassen.