Mit so einer Resonanz habe ich ehrlich gesagt gar nicht gerechnet, vielen Dank erstmal für alle bisherigen Antworten. Ich versuche mal auf einiges einzugehen:
der letzte Abschnitt hat mich etwas verwundert... das siehst du als "Outing"... ich habe über das Thema "Outing" nicht wirklich nachgedacht. Ich bin einfach ich, und das heißt, ich bin lesbisch, und das schon mein Leben lang.
Ja - ein gesundes Selbstbewusstsein ist da absolut notwendig. Du musst dazu stehen, dass an dir eben nichts "falsch" ist, und dass die, die dummes Zeug reden, eben minderbemittelt sind, und deiner Aufmerksamkeit gar nicht erst wert. Jeder Mensch ist "anders", ich vermutlich sogar in ziemlich vielen Punkten "anders als die Mehrheit" - ich habe das als Stärke definiert, nicht als Schwäche, und damit lebt es sich ganz gut.
Insofern... ich gehe nicht damit hausieren, dass ich lesbisch bin. Aber wenn jemand fragt, gibts eine wahrheitsgemäße Antwort, und wenn Fragen sind - wieso soll ich die nicht beantworten? Ich bin bei uns schließlich auch Vertrauenslehrerin, und wenn da jemand Fragen hat auch zu dem Thema... na wo ist das Problem?
Das sehe ich durchaus als Outing an, ja.
Ich muss sagen, dass ich gern selbstbewusster wäre, um eben auch bei Leuten, die ich neu kennenlerne von Anfang an zu mir stehen zu können, wobei ich, sofern ich konkret gefragt werde, ebenfalls die Wahrheit sage. Alles andere würde sich anfühlen als würde ich mich selbst verleugnen und das habe ich lange genug gemacht. Da besteht eben nur das "Problem", dass sich derartige Nachrichten oft recht schnell verbreiten. Heißt konkret: weiß ein Kollege bescheid, wissen es die anderen nächste Woche auch und gerade im Hinblick auf das Ref scheint man mir hier ja doch eher davon abzuraten, das öffentlich zu machen. Wäre irgendwie leichter, wenn man mir meine Orientierung auf 20 Meter Entfernung ansehen könnte. Dem ist aber leider nicht so.
An meiner jetzigen Schule bin ich auch bei den Schülern geoutet. Das hat sich nach einem halben Jahr dort ergeben. Ganz einfach durch die erste Frage: Sind Sie verheiratet? Ja. Was macht Ihr Mann beruflich? Meine Frau macht dies und das.
Meine 7er waren ziemlich interessiert an dem Thema. Wann ich es gemerkt habe und so weiter... Ich antworte gerne auf solche Fragen, wenn sie nicht zu privat werden sondern allgemeiner Natur sind. Mein eigenes Coming Out war spät und sehr schwierig, ich hätte mir ein Vorbild gewünscht.
Ähnliche Situationen kamen in 3 oder 4 Klassen vor. Die 5er haben teils sehr süß reagiert. Ein Junge konnte sich die ganze restliche Unterrichtszeit nicht mehr konzentrieren... Am Ende kam er zu mir und sagte: Das hab ich mir noch nie vorgestellt, dass eine Frau eine Frau heiratet. Aber ist ja auch voll cool.
Gerade dieser "Vorbildcharakter" ist, bedingt dadurch, dass ich als Schülerin auch gerne eine Lehrerin gehabt hätte, die offen damit umgeht, etwas was sehr stark in meine Überlegungen mit einfließt. Vor allem weiß ich wie gesagt auch noch sehr gut, wie sehr es mir geholfen hat,zu wissen, dass es überhaupt abseits von Film- und Fernsehen noch homosexuelle Menschen gibt und ich eben nicht vollkommen unnormal bin. Die kamen in meiner behüteten Kindheit schlicht und ergreifend nicht vor.
Schade, dass man das Gefühl hat, sich outen zu müssen. So nach dem Motto, Leute bei mir stimmt was nicht, ist was anders. Das wollte ich euch sagen, hoffentlich mögt ihr mich noch. Schade, dass Homosexualität nicht so selbstverständlich ist, dass keiner danach fragt wie bei den Heteros.
In unserer Gesellschaft werden die meisten Menschen (Stereotype jetzt einmal ausgenommen) so lange als hetero wahrgenommen, bis sie etwas anderes sagen. Gerade im ländlichen Raum, zumindest bei uns, kommt alles abseits von Heterosexualität in der Lebenswirklichkeit vieler Menschen einfach nicht vor. Da ist von Selbstverständlichkeit absolut keine Spur, was zur Folge hat, dass ein Coming out früher oder später notwendig wird, wenn man nicht ewig als Hetera gelten möchte.
... oder zerreißen sich hinter meinem Rücken das Maul, mag sein, dann können sie selbst damit ihr Leben füllen.
Ehrlich gesagt ist es mir sogar lieber, wenn die Leute mir direkt sagen, wenn ihnen an mir etwas nicht passt. Dieses "Weißt du was xy letztens gesagt hat?" ist mir eher unangenehm, da kann ich ja nicht zu xy hingehen und ihn direkt damit konfrontieren. Das wäre dann auch wieder merkwürdig.
"Wie würde ein heterosexueller Kollege reagieren?". Der verkündet auch nicht in der ersten Unterrichtsstunde: "Ich bin heterosexuell und das ist auch gut so.",
Gerade in Kennlernstunden erzählen viele heterosexuellen Kollegen auch etwas Privates, aka von Frau und Kindern, was einem Outing gleichkommt, nur dass es bei heterosexuellen nicht als solches gewertet wird.
Empfinde ich mich selbst als normal? Ja. Als akzeptiert? Nein, nicht überall. Du hast wohl recht und ich bin in dieser Hinsicht etwas gebrandmarkt, allerdings vermute ich, dass es 95% der sich in meiner Situation befindenden Kolleg*innen exakt genauso geht.
Ich pflege sehr konkret zu antworten. "Das geht Sie nichts an." reicht als einmalige Ansage.
Ich bin wie gesagt nicht der Typ dafür, SuS bei jeder noch so kleinen Frage zu meinem Privatleben vollkommen abblitzen zu lassen, wobei das, wie ja auch schon jemand angemerkt hat, wer fragt und wie diese Frage gestellt wird. Ich persönlich fand es als Schülerin auch immer schöner, nicht nur den Lehrer als solchen vor mir zu haben, sondern auch einen Menschen mit Charakter und Persönlichkeit zu erkennen.
Das fällt mir für persönlich auch noch nicht unter den Aspekt Distanzlosigkeit.
Es hat mit "ländlich" nichts zu tun, sondern erfahrungsgemäss mit "katholisch". Im reformierten Baselland interessiert es keine Sau wer oder was ich bin. Ich bin mir nicht sicher, ob ich in Luzern (Stadt!) arbeiten wollte.
Katholisch ist die angestrebte Gegend glücklicherweise nicht. Theologie studiere ich auch nicht. Aber trotzdem sind irgendwo gewisse Bedenken da, die man in einer größeren Stadt vielleicht weniger hat.