Wenn Kapitalisten diejenigen sind , die ihr Geld für sich arbeiten lassen und nicht lohnabhängig sind, dann gibt es davon sehr viele.
Ach Quatsch. Machen wir einmal eine kleine Rechnung auf, wieviel Geld man braucht, um wirklich "unabhängig" als Kapitalist leben zu können:
Die Summe der Hartz 4-Leistungen sollte bei ca. 1000€/Monat liegen, darin enthalten sind Regelsatz, Miete+Nebenkosten sowie subventionierte Krankenversicherung. Alleine eine realistische Krankenversicherung lässt diesen Betrag auf ca. 1300€ pro Monat steigen (bei durchschnittlichen Gesundheitsausgaben von ca. 4500€ pro Jahr und Einwohner). Also: Mit 1300€ hast du das Allernötigste, aber kein Auto und keine "angemessene" Wohnung, in der unser "Kapitalist" vielleicht wohnen möchte. Da er natürlich auch ein gewisses kulturelles Angebot nutzen möchte und nicht auf dem Land versauern möchte (was hat er sonst von seinem "Kapitalistendasein"?) bist du schnell bei Kosten von mindesten 2000€ pro Monat, die unser "Kapitalist" jeden Monat netto braucht, also 24000€ pro Jahr. Da unser Kapitalist von Kapitaleinkünften lebt, wird er sein Geld in Bundesanleihen (aktuelle Rendite ca. 0,25% pro Jahr) und Aktien anlegen. Bei DAX-Aktien und vernünftiger Streuung bekommt er aktuell vielleicht 3% im Jahr (+Kursrisiko). Da unser "Kapitalist" morgen nicht mittellos sein will, legt er vielleicht 50% in Bundesanleihen und 50% in DAX-Aktien an, hat also eine mittlere Rendite von 1,625% pro Jahr. Da er 25% Quellensteuer zahlen muss, heißt das, er braucht knapp zwei Millionen Euro "flüssiges Kapital" (also was einen Ertrag abwirft, d.h. nicht in Form einer selbstbewohnten Immobilie: die spart zwar die Miete aber nicht die Nebenkosten und verlangt nach regelmäßigen Rücklagen für Reparaturen: Unternehem rechnen bei Immobilien mit einem jährlichen Wertverlust von ca. 3% vom Kaufpreis). Regelmäßiger Urlaub in schönen Gegenden ist dann immer noch nicht drin...
Klar gibt es Möglichkeiten, zwei Millionen Euro anzuhäufen, aber das wird auch für einen Freiberufler oder Selbstständigen schwer (geht praktisch nur in Berufen, ohne "Insolvenzgefahr" und ohne großartiges "Haftungsrisiko", was letztendlich hauptsächlich auf irgendwelche juristischen oder "Berater"-Tätigkeiten hinausläuft, die man ohne großen Kapitaleinsatz betreiben kann: Ja selbst ein Arzt kann mit seiner Praxis pleitegehen...). Oder man wird gleich Unternehmer und eignet sich den von den Angestellten geschaffenen "Mehrwert" zum großen Teil selber an (wie der alte Marx es wohl formulieren würden...), natürlich nicht als persönlich haftender Unternehmer, sondern man "versteckt" sich hinter einer Kapitalgesellschaft, falls doch einmal die Insolvenz oder das Haftungsrisiko droht: So wälzt man die eventuellen Folgen des eigenen unternehmerischen Handels geschickt auf die Gesellschaft ab...
Und machen wir uns nichts vor: Viele, die sich für "finanziell unabhängig" halten, subventionieren ihr Leben letztendlich doch über die Solidargemeinschaft, indem sie z.B. einen sozialversicherungspflichtigen Teilzeitjob mit minimaler Stundenzahl annehmen, und sich so zumindest die Kranken- und Rentenversicherung zum einem großen Teil von der Allgemeinheit finanzieren lassen. Oder sie sparen gleich gar nichts für das Alter an und schreien dann nach "Grundsicherung" (oder gleich nach "Grundeinkommen", wie es aktuell auch bei Jüngeren in Mode kommt...)
Gruß !
Ergänzung: Natürlich kann man argumentieren, dass unser "Kapitalist" die zwei Millionen Euro ja "vebrauchen" könnte und nicht "erhalten" muss, wie in obiger Rechnung unterstellt. Dazu müsste der "Kapitalist" aber abschätzen können, wie alt er wird, um im Alter nicht ohne Kapital dazustehen. Andererseits berücksichtigt die obige Rechnung nicht die Inflation, die den Wert zumindest des in Bundesanleihen angelegten Geldes schmelzen lässt (und die liegt aktuell eher bei drei als bei zwei Prozent pro Jahr, also deutlich oberhalb der angenommenen Rendite). Insofern sollten sich diese beiden Effekte (möglicher Kapitalverbrauch vs. Inflation) zumindest teilweise aufheben.