Zitat
Original von Anja82
Ich empfinde es nicht so und finde es ehrlich gesagt langsam auch ermüdend, wenn mir Gymnasialkollegen erzählen wollen, wie Grundschule zu funktionieren hat.
Ich kann genauso gut behaupten:
Ich empfinde es als ermüdend, wenn mir Grundschulkolleginnen erzählen möchten, dass sich ihr Unterrichtsmodell problemlos auf Unterricht auf die Sekundarstufe I und I und speziell im Gymnasium übertragen lässt.
Ich nenne nur einmal ein paar Stichworte:
Klassengrößen von über 30 Schülern, Fachlehrerprinzip (viele Schüler sieht man nur 2 Stunden pro Woche), Vergleichsarbeiten, verbindliche Bildungsstandards und Zentralabitur. Und ich behaupte einmal, die letzten drei Punkte sorgen dafür, dass Stofffülle ("inhaltliche Kompetenzen" auf neusprech) und Zeitdruck gerade auf dem Gymnasium besonders hoch sind (die Schüler haben schließlich ein Recht darauf, dass bestimmte Inhalte behandelt werde und könnten dies ggf. sogar gerichtlich durchsetzen, wenn z.B. im Zentralabitur abgefragte Inhalte im Unterricht nicht behandelt wurden, trotz Stundenausfall (auch wegen mangelnder Lehrerzuweisung!) und achtjährigem Gymnasium). Arbeitszeiterhöhungen und Kürzung von Anrechnungsstunden speziell in Niedersachsen sind auch nicht gerade förderliche Rahmenbedinungen.
Auf Schülerseite kommt noch die pubertäre Phase der Schüler hinzu, die irgendwann in Klasse 6 beginnt und in Klasse 9 endet und auch einen (individuell unterschiedlich starken) Einfluss auf die Lernmotivation hat. Davon bekommen Grundschullehrerinnen und -lehrer natürlich nichts mit (auch in Klasse 5 sind die Schüler und Schülerinnen in der Regel noch alle relativ lieb und nett).
Generell ist zudem die Erfahrung in unserem Kollegium, dass die Qualität der Arbeit in den Grundschulen durchaus von Jahr zu Jahr schwankt: Es hängt wohl immer sehr stark von den Grundschul-Kolleginnen (evt. auch -Kollegen) ab, die die entsprechenden Schüler unterrichtet haben. Welche Unterrichtsmodelle besonders erfolgreich sind, kann ich aber mangels Einblick nicht sagen.
Dies ist aber kein spezieller Vorwurf an die Grundschulkollegen und -kolleginnen: In der Oberstufe erlebe ich es oft genug, dass bestimmte Inhalte von einigen Kollegen und Kolleginnen in der Sekundarstufe I einfach nicht gemacht wurden, trotz Vorgabe durch die Kerncurricula und Fachkonferenzabsprachen. So etwas macht die Arbeit in der Oberstufe auch nicht gerade leichter und erhöht den Druck zusätzlich.
Und noch was zur "Selektion": Wir nehmen jedes Schuljahr zwischen 40% und 50% eines Jahrgangs bei uns am Gymnasium auf (die Eltern haben in Niedersachsen das Wahlrecht). Da wir als Gymnasium eines ganz klaren Auftrag haben (Ziel ist die allgemeine Studierfähigkeit, steht sogar so (oder ähnlich) im Schulgesetz) können wir nichts daran ändern, WAS wir machen. Selbst das WIE wir es machen, ist nur in Grenzen variierbar (einige Grenzen habe ich oben aufgeführt, andere kommen noch dadurch dazu, dass z.B. unser Gymnasium rein baulich gar nicht auf die Schülermassen ausgerichtet ist, die wir momentan erleben (u.a. auch durch das achtjährige Gymnasium): Ich habe schon Kurse unterrichtet, in denen es nicht einmal für jeden Schüler Tisch und Stuhl gab. Räumliche Differenzierung ist unter solchen Bedingungen schon einmal überhaupt nicht möglich).
Noch was zum achtjährigem Gymnasium und Zentralabitur:
Was würdet ihr Grundschulkollegen dazu sagen, wenn man die Grundschulzeit einfach um ein halbes Jahr kürzt und am Ende der 3,5 Jahre alle Schüler und Schülerinnen in den wichtigsten Fächern (D, M, Englisch, Sachkunde) einer bundeslandesweit gleichen Prüfung unterzieht. Und nur solche Schüler, die diese bestehen, dürfen auf eine weiterführende Schule wechseln? Würde bestimmt die Erwartungshaltung an eure Arbeit "leicht" ändern, oder? So ähnlich ist das mit dem Gymnasium und dem Abitur ("Hochschulzugangsberechtigung").
Gruß !