Ich habe gerade sehr interessiert deinen Beitrag gelesen @CDL. Ich habe mir dabei buchstäblich vorgestellt, wie bei euch Inklusion funktioniert - hört sich fast bilderbuchhaft an
Teilweise würde ich mir natürlich (der Kinder wegen) wünschen, dass bei uns auch solche Verhältnisse herrschen würden. Da wir aber im heftigen Brennpunkt liegen (Arbeitslosigkeit unserer Eltern bei 70%), mache ich mir keine Illusionen, dass sich die Bedingungen irgendwann ändern. Und woanders hingehen würde ich nicht, denn dafür bin ich zu gern im Brennpunkt.
Unsere Inklusionsrealität sieht so aus: Da im Brennpunkt gelegen, herrscht bei uns das Klassenlehrerprinzip: D.h. der Klassenlehrer deckt in seiner Klasse weitesgehend alle Fächer ab, die er irgendwie "kann"(Gründe Beziehung zu Schülern aufbauen, Verbindlichkeiten und Struktur schaffen). Jede Klasse hat 23-28 Schüler. In jeder Klasse sind 4-7 Förderschüler (LE und/oder ES). In meiner Klasse z.B. nur ein "biodeutsches" Mädchen - dementsprechend sind wir ohnehin schon eine sehr nette, bunte Mischung Rund ein Viertel der Klassen wäre kognitiv dazu in der Lage, eine Realschule zu besuchen. Das Verhalten lässt es aber nicht zu.
Die Sonderpädagogen teilen sich die Klassen untereinander auf. Es bleiben dann einzelne Förderstunden, die manchmal als Doppelsteckung genutzt werden. Ansprechpartner für alle Schüler (auch die, ohne Status), ist der Sonderpädagoge ohnehin - da alle irgendeinen Bedarf haben.
Ermäßigungsstunden (bei euch scheint es Erlassstunden zu heißen) gibt es bei uns für die Arbeit in inklusiven Klassen nicht! Dann müsste jeder Klassenlehrer Ermäßigungen bekommen - fände ich zwar fair, denn wir haben in NRW an Hauptschulen 28 Wochenstunden, geht aber ja aufgrund der Personalsituation gar nicht.
Nach Unterrichtsschluss führen wir gemeinsam Elterngespräche oder Teilen uns die Gespräche mit dem Jugendamt oder sonstigen Papierkram auf. Wir schreiben gemeinsam die Anträge und Stellungnahmen für AOSF Verfahren, erstellen Verhaltenspläne und evaluieren den Einsatz dieser...
Aber echte Unterrichtsplanung für Teamteaching kommt viel zu kurz. Oft ist es so ähnlich, wie @marie74 beschrieben hat: In den Pausen oder kurz vor Beginn einer Stunde tauscht man sich noch schnell über die Inhalte aus, dann geht´s los.
Wir beschäftigen uns größtenteils mit Dingen, bei denen es eigentlich um die Herstellung eines Rahmen geht, in dem Unterricht überhaupt möglich ist. Welche Dinge das im konkreten sind, kann ich hier jetzt nicht benennen, weil das zu viele Details wären und ich gern auch anonym bleiben möchte, aber wir sind quasi anhaltend damit beschäftigt, Strukturen in den Klassen zu integrieren und aufrecht zu erhalten, müssen Eltern zigmal mit demselben hinterherlaufen - weil sie es einfach nicht schaffen wir sind mehr Sozialarbeiter, Psychologen, Familienbetreuer - Unterricht kommt dann irgendwo dazwischen noch und läuft halt irgendwie. Jeder Klassenlehrer entwickelt seinen Stil - ich weiß, wie meine Klasse funktioniert und auf welchem Weg weitesgehend alle etwas "mitnehmen" können. Es gibt zum Glück auch recht oft tolle Erfolgserlebnisse - aber frag mich bitte nicht, wie oft da schon ein Junge oder ein Mädchen einfach mal eine ganze Stunde gesessen und gewartet hat, weil ich nicht zu ihm/ ihr kommen konnte, um zu helfen. Mit dem Gefühl muss man als Lehrer im Brennpunkt leider lernen zu leben und sich immer wieder vor Augen halten, dass man sein Bestes gibt, im Rahmen dessen, wie man dabei noch lange gesund bleiben kann.
Wenn ich doppelt besetzt bin (2-3 Stunden/Woche), versuche ich die Zeit als intensive Übungsstunden für die Kinder zu nutzen. Mehr ist bei uns aber in Punkto Teamteaching leider nicht drin.