Zu den Abschlussprüfungen:
Ich hätte zuerst nach dem rechtlichen Rahmen gefragt, aber der scheint deiner Aussage nach z.Z. fix zu sein. Wie sieht es mit dem Nachteilsausgleich (NTA) aus? Was ist dort erlaubt bzw. was könnt ihr einfach mal festsetzen? In Hessen muss der NTA bei den Abschlussprüfungen an die Schulämter geschickt werden, die darauf reagieren müssten.
Wie sieht die Hörverstehensprüfung aus? Hier in Hessen kommt man um den Teil auch nicht herum (auch meine Klasse muss es machen!), aber hier greift der NTA: Textvorlage, ich darf in meiner üblichen Betonung und Geschwindigkeit vorlesen statt die Datei abzuspielen, Zeitverlängerung (zum Orientieren in den Aufgaben und Nachlesen). So wird zwar nicht das Hörverstehen abgeprüft, aber das ist ja nicht mein Problem. Vom Niveau her sind die Hörverstehensaufgaben einfacher als die Leseaufgaben.
Zum Unterricht:
Ich selbst unterrichte Englisch auch nur fachfremd und habe da im Moment das große Glück, dass meine Klasse (R9) recht leistungshomogen ist. Auch mein hochgradig schwerhöriger Schüler kommt vom Hörverstehen her ziemlich gut mit, so dass ich viel Englisch rede. Sehe ich, dass es nicht angekommen ist (ich seh's ihnen halt an den Nasenspitzen an ), wiederhole ich es auf Deutsch bzw. würde hier dann an deiner Stelle gebärden. Da es mein erster Durchgang bis zur Prüfung ist, wurschtel ich mich auch so durch und tausche mich viel mit meiner Fachleitung in Englisch aus.
Gehörlose und rein gebärdensprachliche Jugendliche im HS- oder RS-Zweig haben wir seit Jahren nicht mehr. Die rein gebärdensprachlichen sind diejenigen, die extrem schwach sind. In einer Klasse FS Lernen habe ich dieses Jahr zwei Stunden Englisch, wo die beiden Gehörlosen ihre Kärtchen für den Deutschunterricht ausschneiden und zusammenkleben: Gebärdenbild auf der einen Seite - Wort mit Beispielsatz auf der anderen. Mit den vier anderen Nasen mache ich meinen Englischunterricht. Eine der beiden Gehörlosen ist ein syrischer Flüchtling und hat auch schon einen recht kleinen Gebärdenwortschatz. Etwas anderes würde es einfach nicht bringen. Letztes Jahr hatte ich ihren kleineren Bruder: ein goldiges Kerlchen, aber man merkt einfach, dass von der (Gebärden-)Sprachentwicklung her der Zug abgefahren ist. Alles muss man sich mühsam erarbeiten. Das ist echt schon traurig.
Zum Fremdsprachenuntrricht in der Inklusion:
Von einer Kollegin aus einer Schwesterschule habe ich gehört, wie es dort am Gymnasium funktionierte (ist schon zwei Jahre her). Das Englische wurde in deutsche Gebärdensprache übersetzt, aber mit englischem Mundbild. In Französisch ging man genau so vor, wobei da die Dolmetscher schon zu verstehen gaben, dass sie das nicht bis zur 11. Klasse durchziehen können, da sie selbst nicht fit genug in Französisch sind. Wie es weiterging, weiß ich nicht.
Das Argument mit American/British Sign Language habe ich nie verstanden. Warum soll ein gehörloser Schüler, der schon genug Probleme hat, diese Fremdsprache in schriftlicher Form zu lernen, in der gleichen Unterrichtszeit wie alle anderen parallel noch ASL/BSL lernen? Das sind dann ja gleich zwei Fremdsprachen, die er beide nicht kann.
Zur Lautspracherziehung:
Genau oben erwähnte Kollegin hat damals an dieser Schule das Ref angefangen und kam zu einer Kollegin der "alten Schule". Die Gehörlosen mussten im Gesprächskreis auf ihren Händen sitzen, damit sie nicht miteinander gebärden konnten und sich auf das Mundbild der anderen konzentrieren. Das war natürlich grausam und hat natürlich eine riesige Ablehnung der Gehörlosen gegenüber der Hörgeschädigtenpädagogik hervorgerufen. Auf der anderen Seite sehe ich aber auch eben genau diese älteren Gehörlosen, die im echten Leben in Kommuniktaionssituationen ziemlich gut zurechtkommen. Bei der heutigen Generation verlässt man sich schon sehr auf die technischen Hilfsmittel und das geht mitunter gehörig schief, denn auch für die benötigt man eine gewisse Kompetenz.
Wir hatten auch schon Schüler, die so eine Lautsprachförderung/Artikulationstraining wollten, weil sie einfach nützlich fürs Leben ist. Auch wenn man in einem Gespräch nichts oder nur wenig hört, es sich also aufschreiben lassen muss, kann man wenigstens selbst etwas antworten. Das vereinfacht die Kommunikation schon. Leider haben wir keine extra Stunden dafür, weil die Förderung der Aussprache "unterrichtsimmanent" sein soll (haha!), und müssen das dann an Logopäden abgeben. Eine Kollegin macht so eine Art Training in der Vorklasse, aber es ist nicht viel: 15 Minuten pro Kind in der Woche.
PS: Als ich das letzte mal nachgeschaut habe, war ich noch ein Mann. Merkhilfe: Frapper.