Zu der fehlenden Mehrheit: Das halte ich nicht für das ausschlaggebende Kriterium hinsichtlich der Frage, ob die geschlechtergerechte Sprache eine Existenzberechtigung hat. Vor 25 Jahren wurden Deutsche mit Migrationshintergrund z. B. noch flächendeckend als "Ausländer" bezeichnet. Dies hat sich mittlerweile gewandelt. Ein Wandel, der meines Erachtens richtig und wichtig ist, der jedoch sicher nicht proaktiv durch eine breite Bevölkerungsmehrheit vorangetrieben wurde.
Diese Vergleiche sind nicht nur auf einer Ebene extrem schief.
1. Du vergleichst das Ändern eines Begriffs wie Ausländer mit einem riesigen Eingriff in grundlegendste Grammatik. Das empfinde ich ja als das Erschreckende. Hier sind irgendwelche, die das alles für eine Kleinigkeit und Gebot der Höflichkeit halten, aber gar nicht verstehen, dass es hier an die Grundsubstanz von Sprache geht. Das ist wenig verwunderlich, denn die Vorschläge kamen weniger aus der Sprachwissenschaft selbst als z.B. von Gleichstellungsbeauftragten, aus der Frauenforschung usw.
Jede Sprache braucht ein Generikum und logischerweise ist es im Deutschen das älteste Genus, das Maskulinum. Mit der sehr effektiven (weil kurzen) Movierungsendung -in erhält man in Windeseile eine rein feminine Form, wodurch dem Wort Lehrer eine Doppelfunktion von Generikum und spezifisch männlich zukommt. Ohne Kontext können wir diese Form nicht eindeutig interpretieren, wo diese Untersuchungen angesetzt haben. In aller Regel reden wir aber nicht in zusammenhangslosen Sätzen, sondern in Kontexten und bekommen diese Unterscheidung ziemlich gut hin. Diese Uneindeutigkeit kann man zurecht kritisieren und versuchen gerade zu rücken. Da bieten sich zwei Wege an:
a) das Generikum wieder zu einem reinen zu machen, indem die abgeleitete exklusiv weibliche Form wieder verschwindet, wofür es Sprachvorbilder in anderen germanischen Sprachen gibt, oder
b) ein neues Generikum einführen.
Der derzeitige Vorschlag wäre dann, dass aus der Lehrer, der Bürger usw. die Neuformen der*die Lehrer*in, der*die Bürger*in usw. erwächst (das ist doch eigentlich so etwas wie ein im Deutschen neuartiges Doppelgenus?), was in meinen Augen zum Scheitern verurteilt ist. Vermutlich fast jede*r Bürger*in kann dir als erfahrene*r Schreiber*in und jahrelange*r Sprecher*in sagen, dass es höchst unfunktional ist und er*sie wahrscheinlich nicht einmal weiß, wie man das ohne eine*n Logopäd*in sprachlich bewerkstelligen soll. Benutzer*innenunfreund*inlich ist es durch die Länge und Komplexität außerdem!
Politische Korrektheit kommt in Wellen. Wir sind gerade sehr weit oben und es wird irgendwann abebben. Die sprachliche Faulheit wird vermutlich siegen. Würde sie das nicht tun, hätten wir nicht die ganzen Anglizismen in der Sprache. Da werden uns aus dem englischsprachigen Raum Begriffe unterbreitet, die genau diese neuen Sachen wie Lockdown, Laptop etc. beschreiben. Oft macht man sich Gedanken und kommt auf deutsche Äquivalente, die häufig umständlicher sind, weswegen wir uns aus ökonomischen Gründen für den englischen Begriff entscheiden. Wer also Anglizismen als Beleg anführt, um das Gendern als völlig normalen Sprachwandel darzustellen, sieht den dahinterliegenden Mechanismus nicht, und zwar die Sprachökonomie. Da kann das Gendern mit Stern und Doppelpunkt als kürzere Version der Doppelnennung Lehrerinnen und Lehrer ein wenig punkten, aber es ist nach wie vor kein ökonomisches Generikum. Keine hochtrabende Moral kann daran etwas ändern!
2. Es gibt die Euphemismustretmühle. Aus Ausländer wurde Mensch mit Migrationshintergrund oder Migrant. Da sich an den realen Probleme dahinter leider nicht allzu viel tat, musste der nächste Begriff her. Ich hatte da mal Mensch mit Zuwanderungsgeschichte gehört. Bei verhaltensoriginellen Kindern und Farbigen in den USA kann man das noch deutlicher sehen. Wenn sich also an den beschriebenen Problemen in der Gleichstellung nichts ändert, was kommt dann nach dem Genderstern?