Die wenigsten Lehrer werden gerne (kritisch) beobachtet. Im Alltag sind wir fast immer allein mit unseren Lerngruppen. Ich finde es ganz spannend, als Mentor bei Referendaren (mit im UB) zu sitzen, nicht nur, um ihnen eine persönliche Rückmeldung geben zu können, sondern auch, um mich selbst zu hinterfragen - mache ich das auch so? Hätte ich das grade anders gemacht? Wo sind meine Macken? Ich finde, dass wir insgesamt viel zu selten kollegiale Hospitationen nutzen, um einfach mal eine Rückmeldung zu uns selbst zu bekommen. Ich glaube aber auch, dass viele gewissermaßen "Angst" vor so einer Rückmeldung haben.
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Und die Sache mit dem abgebrochenen Studium im ersten Semester... entweder hat sie für sich gemerkt, dass sie vor einer Gruppe garnicht klar kommt - dann ist das halt so, das ist ein sehr deutliches Zeichen und zu Beginn eines Studiums bestimmt besser als am Ende. Aber gerade in so einem Fall wäre es meiner Meinung nach fatal, so jemanden stundenlang mit den Schülern alleine zu lassen. Wenn die erste Stunde schief läuft, kann ein Mentor korrigieren, beraten, unterstützen, und Mut machen. Wobei ich Praktika im ersten Semester sowieso sehr kritisch gegenüberstehe. Das finde ich zu früh, vor allem, wenn das eigene Abi vielleicht grade ein Jahr vorbei ist.
Ich verstehe, warum man sich nicht gern beobachten lässt, sehe darin jedoch keinen wirklichen Nachteil. Erst recht nicht während der Ausbildung zum Lehrer. Zumindest an unserer Uni wird uns Kollegiale Hospitation nahegelegt und ich hatte bereits mehrere Seminare dazu. Zudem werden unsere Unterrichtsentwürfe sowohl vom Dozenten (der in der Regel bei diesen Seminaren selbst Lehrer war und an die Uni berufen wurde - ich denke, dass nennt man so) als auch von den anderen Studenten kritisch bewertet. Ja, das ist manchmal nicht angenehm, aber ich habe gelernt, Kritik zunächst anzunehmen, dann drüber nachzudenken und zu überlegen, was ich davon annehmen und umsetzten möchte. Nachteil ist nur, dass alles auf theoretischer Basis passiert, also die Stunden nicht gehalten werden.
Zur Kommilitonin, die abgebrochen hat, kann ich sagen, dass es nicht wegen eines "Vor-der-Klasse-stehen-Problems" war. Falls es jemanden interessiert, warum, dann kann er mir gerne privat schreiben, ansonsten belasse ich es dabei.
Ich finde es sehr interessant, dass du ein Praktikum im ersten Semester als zu früh ansiehst. Ich würde dir einerseits zustimmen, was Alter und Erfahrung angeht, andererseits liegt der Vorteil solch früher Praktika darin, dass man nicht erst so viel Zeit mit dem Studium verliert und, dass man bereits einen kleinen Eindruck vom Lehreralltag gewinnt.
Ich habe eines meiner Pflichtpraktika im Master statt am Block über ein Semester immer an einem bestimmten Wochentag an einer Schule abgeleistet. In diesem Praktikum habe ich ebenfalls komplett eigenverantwortlich einen PPL-Kurs (Klasse 5) übernommen. Es hat sich ergeben, weil in der zweiten Woche meines Praktikums ein Philosophie-Lehrer dauerhaft erkrankt ist und sie absolut keine Reserven mehr hatten die Stunden aufzufangen (und damit meine ich: Auch keine Reli- oder SoWi-Lehrer, die den Kurs fachfremd hätten leiten können, wie es dort leider Usus war). Hätte ich den Kurs nicht übernommen, hätte der den Parallelkurs unterrichtende Kollege beide Kurse zeitgleich schaukeln müssen - zusammen mehr als 50 Schüler. Ein absolutes No-Go. Also wurde ich gefragt, ob ich mir das vorstellen könnte*. Am nächsten Tag habe ich zugesagt. Ich fand es toll, einen eigenen Kurs zu haben und so mal wirklich ins Lehrerdasein reinzuschnuppern (wenn auch nur mit 2 Stunden pro Woche). Dass das absolut illegal war, war mir bewusst. Mein Didaktik-Prof, den ich um Rat fragte, sagte mir aber im Vertrauen, dass wenn etwas passiere, die Schule "dran" sei, da sie die Aufsichtspflicht verletzt hätten, nicht ich. Also hatte ich aus meiner damaligen Sicht nichts zu verlieren aber viel zu gewinnen. Es gab nur eine problematische Situation, nämlich eine Schülerin, die überhaupt nicht am Unterricht teilnahm. Ich hätte ihr eigentlich eine 5 setzen müssen, habe das aber nicht getan, weil ich nicht riskieren wollte, dass jemand wegen der Note Ärger macht. Schließlich wollte ich weder mir noch der Schule Scherereien bereiten.
Für mich war das damals toll, trotzdem finde ich die Praxis nicht in Ordnung. Ich war genauso (un)qualifiziert wie offiziell angestellte Vertretungslehrkräfte ohne Staatsexamen, der Unterschied lag im finanziellen Bereich: ich kostete genau 0€. Dass Geld eingespart wird indem man Praktikanten als Vertretungslehrer einsetzt darf sich aber nicht etablieren. Damit zerstört man den Stellenmarkt für qualifizierteres Personal, das keine Stelle bekommt weil es so dreist ist für seine Arbeit bezahlt werden zu wollen.
*Hintergrundinfo: Ich hatte zu dem Zeitpunkt bereits ein Praktikum dort absolviert und hatte seit diesem kontinuierlich 1x die Woche Nachhilfe in meinem Zweitfach im Rahmen von deren Ganztagsangebot gegeben, war also nicht ganz unbekannt an der Schule.
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Es ist gut, dass deine Erfahrungen so positiv verlaufen sind! Dennoch finde ich es nicht gut, dass es doch an vielen Schulen so gehandhabt wird. Da du schreibst, dass du bereits im Master warst, weise ich an dieser Stelle darauf hin, dass sich die Gespräche mit meinen Kommilitonen auf die Praktika im 1./2. Semester und 3./4. Semester beziehen Im Master finde ich das ehrlich gesagt deutlich weniger verwerflich.