Ich arbeite in NRW in einer Schule, in der die Digitalisierung schon sehr
weit vorangetrieben ist und in einer Schulform, die seit über 10 Jahren
Erfahrung in einem Lehrgang gesammelt hat, in dem das Abitur zu 50%
Schulbesuch in der Schule und zu 50% Eigenarbeit zu Hause auf einer
geschützten Lernplattform mit bereitgestelltem Lernmaterial stattfindet.
Ich habe Erfahrung einerseits in der Online-Didaktik und andererseits
mit der Etablierung und administrativen Wartung der Lernplattform im
"normalen Schulbetrieb" jenseits des Onlinelehrgangs.
Meiner Erfahrung nach gibt es mehrere Problemfelder bei so einem Projekt, für die bislang nur zum Teil Lösungen vorliegen.
1. Hardware und IT-Infrastruktur anschaffen
Dieses Feld ist am leichtesten zu bearbeiten und am einfachsten zu
lösen. Eigentlich braucht man nur Geld dafür. Computer zu beschaffen und
WLAN zu gewährleisten ist machbar, wenn Schulleitung und Schulträger
willens sind, an einem Strang zu ziehen.
2. Mediendidaktik
IT im Unterricht ist nicht "wir gehen in den Computerraum und gucken
Youtube." Mediendidaktik kann einen "Mehrwert" leisten, aber wie man den
Computer gewinnbringend im Unterricht einsetzt, ist ein Bereich des
Lehrerhandwerks, für den Ausbildung und Fortbildung nötig ist. Damit ist
nicht die technische Kompetenz gemeint sondern der Unterrichtseinsatz!
Aber auch hier ist Entwicklung festzustellen und mehr und mehr
didaktische Ausbildungsmöglichkeiten sind vorhanden.
3. Mitarbeit des Kollegiums
Schulen können nicht über Befehl und Gehorsam geführt werden. Das
Schulsystem ist ein komplexes System, das nach politischen Regeln
funktioniert und zwar sowohl von der Schule nach außen, z.B. zum
Schulträger oder zur Bezirksregierung, aber auch sehr stark nach innen.
Eine IT-Struktur im Unterricht oder in der "Hintergrundarbeit" in der
Schule kann nur funktionieren, wenn es der Schulleitung gelingt, das
Kollegium mitzunehmen. Das ist Überzeugungsarbeit, Vermittlungsarbeit
und Bereitstellung von arbeitserleichternden Lösungen, die im Vorfeld
sehr viel Arbeit kostet. Wenn ein Kollegium die IT-Struktur nicht als
Mehrwert ansieht, wird es sie nicht nutzen und damit verläuft dann wird
alles im Sande verlaufen. Schon an vielen Schulen sind IT-Ansätze diesen
stillen Tod gestorben. Aber das bedeutet eben sehr viel Arbeit im
Vorfeld und diese Arbeit muss von den interessierten Lehrern nebenher
geleistet werden.
4. Helpdesk
Auch diese Arbeit darf auf keinen Fall unterschätzt werden, vor allem,
wenn die Schule das Prinzip "Bring your own device" verfolgt, was
momentan das einzige praktikable System ist. Ich und ein weiterer
Kollege leisten an unserer Schule den First- und Second-Level Support
auch auf den Privatgeräten der Kollegen. Wir sind immer gefragt, wenn es
um Fragen zu WLAN-Anbindung, Plattformnutzung, interne Struktur des
IT-Verwaltungssystems etc. pp. geht. Ebenfalls halten wir regelmäßig
Fortbildungen zur Nutzung des Systems ab. Diese Arbeit wird vom
Kollegium gut angenommen und trägt mit Punkt 2. bis 3. spürbar dazu bei,
dass die Akzeptanz des Systems von Semester zu Semester steigt.
Mittlerweile ist der kritische Punkt der Nutzermenge überschritten, aber
die Arbeit geht natürlich weiter und hört nicht auf. Referendare müssen
ausgebildet werden und der technische Analphabetismus von Kollegen ist
teilweise erschreckend.
5. Routineadministration
Auf unserer Lernplattform gibt es 1200 User, Lehrer,
Verwaltungspersonal, Schüler. Diese Datenbank will gepflegt werden.
Datenschutzbestimmungen müssen organisiert und umgesetzt werden.
Technische Schwierigkeiten müssen zeitnah, z.T. innerhalb von einer
Stunde behoben werden. Mit 110 Lehrern und ungefähr 1000 Schülern sind
wir von der größe mit einem größeren mittelständischen Betrieb
vergleichbar und das Arbeitsaufkommen würde eigentlich einen oder zwei
IT-Fachkräfte in Vollzeit erfordern.
Und da liegt das Zentralproblem der Sache und m.E. ist das auch der
Hauptgrund, warum eine tatsächliche Entwicklung hin zur "Schule 4.0"
noch sehr lange Zeit nicht erfolgen wird.
Der Gesetzgeber sieht momentan keine Möglichkeiten vor, die anfallende
Arbeit in irgendeiner realistischen Weise zu finanzieren. Es gibt
schlicht und einfach keine Arbeitsstunden für die Umsetzung der
Aufgaben, weil die Rechtslage immer noch davon ausgeht, dass für
pädagogische Konzepte halt die Lehrer in der Schule zuständig sind, man
außer Sekretariat und Hausmeister ohnehin keine Arbeitskräfte braucht
und dass Lehrer die anfallenden Aufgaben so nebenher erledigen können.
"Das kann doch der Physiklehrer in der Freistunde machen" habe ich mal
einen sehr dummen Kommentar eines IT-Anbieters gehört, der keine Ahnung
von Schule hat.
Von politischer Seite sieht man nur die Frage der Etablierung der
Strukturen - man lässt pädagogische Konzepte schreiben und kauft Geräte.
That's it. Wenn für den Rest Bewusstsein da ist, kann man an den
Schulen schon glücklich sein - von einer tatsächlichen Lösung kann da
noch lange nicht die Rede sein.
Wie wird das an unserer Schule gelöst? Wir Admins erhalten für unsere
Arbeit zwei sogenannte "Entlastungsstunden", d.h. wir müssen weniger
Unterricht abhalten. Wir bekommen jeweils zwei Entlastungsstunden, d.h.
Schulstunden. An zeitlicher Entlastung macht das ca. 120min in der
Woche, in der wir all die oben umrissenen Aufgabenbereiche erledigen.
Warum gibt die Schule nicht mehr Entlastung? Weil nicht mehr
Entlastungsstunden zur Verfügung stehen. Entlastungsstunden kommen aus
einem Topf, der sich unflexibel an der Schülerzahl orientiert. Die Zahl
der Arbeitstunden, die der Schulleitung zur Verfügung stehen, ist
außerordentlich begrenzt und die Aufgabenbandbreite an den Schulen ist
viel, viel größer, als man sich das in der guten alten Rumpelschule des
19. Jh., in der das System eingerichtet worden ist, hätte vorstellen
können. Eine Schule ist nuneinmal nicht das, was man aus der
"Feuerzangenbowle" kennt.
Entlastungsstunden sind also nichts weiter als ein freundliches
Schulterklopfen als Anerkennung und ein symbolisches Zuckerchen. Die
Arbeit bleibt weiterhin als Zusatzarbeit an den Lehrkräften hängen und
wird weder bezahlt noch werden die Überstunden ausgeglichen.
Und das ist der Grund, warum solche Systeme an sehr vielen Schulen nicht
laufen und warum es auch keine realistische Entwicklung in absehbarer
Zeit geben will. Der Gesetzgeber möchte Innovation für umsonst. Aber
"There is no thing like a free lunch." Solange das nicht nur begriffen
sondern auch in der Verwaltungsgesetzgebung gelöst wird, so lange wird
sich außer an vereinzelten Beispielschulen nichts neues geben.