In einer liberalen Demokratie herrscht das Volk selbst, etwa durch Wahlen, aber die Verfassung schützt Rechtsstaat, Gewaltenteilung und Pluralismus. Diese Begrenzung der Volksherrschaft muss es geben, damit sie nicht ausgehöhlt werden kann. Das klingt erstmal paradox, aber diesen Mechanismus braucht es zwingend, denn ansonsten könnte die Demokratie abgeschafft werden – und Minderheiten würden nicht mehr geschützt werden.
Das ist es, weshalb ich letztens betont habe, Demokratie, Rechtsstaat und Menschenrechte gehören zusammen. Das ist es weshalb es eben nicht egal ist, ob eingetragene und vielleicht oder vielleicht auch nicht staatlich unterstützte Vereine sich für oder gegen die Demokratie, den Rechtsstaat und die Menschenrechte einsetzen. Es ist der Unterschied zwischen einer liberalen und illiberalen Demokratie.
Eine Vielzahl eben nicht, aber du magst du nicht hören.
Und weiter:
Immer wieder hört man, dass die Wähler von rechtspopulistischen Parteien Protestwähler sein. Da muss man ganz klar sagen: Das ist so nicht richtig. Die Unterstützung für Parteien wie die AfD, FPÖ oder auch für Trump in den USA ist nichts, was plötzlich und aus Protest passiert. Menschen hatten rechtspopulistische Einstellungen schon immer, aber sie spielten für das Wahlverhalten keine Rolle. Jetzt, durch diese verschiedenen Krisen – Euro-Krise, Finanzkrise, sogenannte Flüchtlingskrise, der Überfall Russlands auf die Ukraine, die Klimakrise – und die daraus entstehende Angst vor individuellen Einschnitten findet eine Aktivierung dieser Einstellungen statt. Davon profitieren die Rechtspopulisten.
Auch du argumentierst also unter falschen Annahmen. Bei der Bundestagswahl hat die AfD die meisten Stimmen von Nicht-Wähler*innen erhalten. Die AfD spricht diese rassistischen, sexistischen, populistischen und autoritären Positionen nun an und die Gesellschaft hat signalisiert, dass sie diese toleriert. Die zweitmeisten Stimmen gewann die AfD von der Union und die drittmeisten von der FDP, was zeigt, dass es nichts bringt, die Themen der rechtspopulistischen und rechtsextremistischen Parteien zu übernehmen - ganz davon abgesehen, dass auch niemand eine AfD im Mantel der Union braucht.
Zitat von Marcel Lewandowsky
Die Union steht in der Mitte und muss sich irgendwann in eine der beiden Richtungen bewegen. Das tut sie gerade, indem sie im Wahlkampf das Thema Migration in den Mittelpunkt stellt und in Kauf genommen hat, dass die AfD im Bundestag zur Mehrheitsmacherin wurde. (...) Weil die AfD-Wähler vergleichsweise gefestigt sind, können sie kurzfristig nur schwer zurückgewonnen werden. Auf kurze Sicht dürfte es darum gehen, Kooperationen mit Rechtspopulisten zu vermeiden. Diesen Konsens geben die Konservativen unter Friedrich Merz aber gerade auf.
Also man kann durchaus AfD-Wähler*innen zurückgewinnen, aber eben nur langfristig und indem man zeigt, dass die AfD politisch vollkommen isolliert bleibt und die populistischen und extremistischen Einstellungen, die zu der Wahl der AfD führen, in der Gesellschaft geächtet werden. Das Gegenteil also, was hier manche fordern und was Merz versucht. Das ganze fing u.a. an, als man meinte, man müsse die Sorgen der Pegida-Demontrant*innen ernst nehmen - jetzt haben wir diese mit 20 Prozent im Bundestag vertreten.
Und dann wird hier auch noch behauptet, Demos gegen Rechts wären ein Problem, dabei ist eben dieses Abgrenzungssymbol (und Empowerment der Demokrat*innen) ein nachgewiesen wirksames Mittel:
Es gibt eine ganze Reihe von Untersuchungen, die der Frage nachgegangen sind: Wie haben sich welche Proteste gegen rechts oder für Migration an der Wahlurne ausgewirkt? Das eindeutige Ergebnis dieser Studien für Deutschland, Frankreich, Italien und für Griechenland ist, dass diese Proteste einen Effekt haben. Die Demonstrationen haben den Stimmenanteil der radikal rechten Parteien reduziert.
Die Union aber greift die Organisator*innen dieser Demos nun an. Das ist also ein Angriff gegen die Wehrhaftigkeit der Demokratie. Und das ganze aus einer Kränkung, weil sich die Demos gegen die Strategie - nochmal: nachgewiesen die rechtspopulistischen Parteien stärkende Strategie - der Union gerichtet hat.
Dieser radikalisierte Konservatismus hat sich von jedem Anspruch, staatstragend zu sein, Ausgleich und Kompromiss zu suchen, verabschiedet. Die Kränkung der Niederlage ist der Treibstoff, der diese Radikalisierung befeuert. Genau an dieser Weggabelung stehen nun auch die Unions-Parteien nach ihrer schmachvollen Wahlniederlage im September. Wohin der Weg der Radikalisierung führt, kann man an den eingangs genannten Ländern ablesen. Diese und ihre jeweiligen Parteien sind selbstverständlich sehr unterschiedlich, genauso wie die Systeme und die Geschichte, aus denen heraus sie agieren. Ihnen allen ist gemein, dass es konservative Kräfte waren, die eine autoritäre Wende zu verantworten haben. In der Praxis bedeutet das unablässige Angriffe auf freie Medien, auf die Zivilgesellschaft und die unabhängige Justiz. Einschüchterungen, Drohungen und strategische Diffamierungen werden zu legitimen Mitteln konservativer Parteien. Bemerkenswert und beunruhigend daran ist, dass es sich nicht um einen langen Prozess handelt. Vielmehr vollzieht sich die Radikalisierung in wenigen Monaten oder einer Handvoll Jahren. In dieser kurzen Zeit sind schon nachhaltige und irreparable Schäden am demokratischen Rechtsstaat entstanden. Es stehen also nicht nur die Unionsparteien am Scheideweg, sondern mit ihr die Verfasstheit des demokratischen Systems in Deutschland.
(Hervorhebung durch mich.)
"Die Kränkung der Niederlage ist der Treibstoff, der diese Radikalisierung befeuert"- besser könnte man Friedrich Merz' politischer Karriere nicht charakterisieren.
Merz und die Union sind bis jetzt im Umgang mit der AfD gescheitert und auch hier sitzen noch viele der falschen Annahmen auf.
Programmatische Anpassung an die radikale Rechte betrifft vor allem das Thema Migration. Es ist gut dokumentiert, dass etablierte Parteien (mitte-links und mitte-rechts) restriktivere Positionen zur Migration einnehmen, wenn radikal rechte Parteien erfolgreicher werden. Dies passiert strategisch mit dem Ziel, verloren geglaubte Wähler:innen von radikal rechten Parteien zurückzugewinnen. Politikwissenschaftliche Studien zeigen allerdings auch, dass diese Strategie nicht funktioniert. Wenn andere Parteien restriktivere Positionen zur Migration einnehmen, schwächt das radikal rechte Parteien nicht. Wenn überhaupt, stärkt es diese Parteien eher. Mittelfristig normalisiert und legitimiert es ihre Positionen.
Der Prozess der programmatischen Anpassung führt zu einem sich selbst verstärkenden Kreislauf, der letztlich der radikalen Rechten dient. Dieser Kreislauf lässt sich so auch in Deutschland beobachten. Als Reaktion auf ein Erstarken der AfD (und besonders im Zuge von Ereignissen wie dem Anschlag von Solingen 2024) werden immer drakonischere Maßnahmen zu Flucht und Asyl beschlossen. Medial und politisch wird Migration zum Hauptproblem erklärt. Aktionistische Maßnahmen wie Bezahlkarten oder Grenzkontrollen haben geringe oder gar keine migrationspolitischen Effekte, sie führen aber dazu, ein immer negativeres Bild von Migrant:innen und Geflüchteten zu zeichnen.