Was wünschst du dir denn, was passiert? Ich lese aus deinem Beitrag heraus, dass du dir Konsequenzen wünschst. Korrigier mich, wenn ich falsch liege. Das kann ich auch verstehen, es muss Konsequenzen geben. Ich persönlich finde nur, dass Ordnungsmaßnahmen oft wenig hilfreich sind. Die Ursachen des Verhaltens liegen oft in der Familie begründet, gibt es dann einen temporären Ausschluss, verbringen die Kinder noch mehr Zeit dort. Dadurch werden das Verhalten oder die dahinterliegenden Probleme vermutlich eher nicht besser. Die temporäre Überweisung in eine andere Klasse kann da schon eher hilfreich sein, zumindest der Ausschluss aus der Stunde wäre nötig.
Habt ihr etwas ähnliches wie einen Trainingsraum an eurer Schule? Habt ihr Ressourcen, um die Kinder aus der Stunde zu entfernen, damit sie das Verhalten reflektieren können? Vielleicht kann eine der beiden Schulsozialarbeiterinnen es einrichten, einzelne Kinder zu übernehmen, wenn es nicht läuft? Wenn die Kinder sich dann weigern, muss die Schulleitung natürlich für dich bereit stehen und das durchsetzen, das kannst und musst du einfordern. Hast du das Gefühl, die Schulleitung lässt dich im Stich, kannst du über den Lehrer*innenrat oder eine Überlastungsanzeige den Druck auf diese erhöhen, tätig zu werden.
"Da muss doch auch mal was passieren", höre ich in solche Fällen immer mal wieder. Ich fühle manchmal auch den Wunsch, nach einer besonders drastischen Strafe wie eben einer Ordnungsmaßnahme, merke aber auch, dass schon kleinere Konsequenzen von den Kindern als nervig oder Strafe wahrgenommen werden. Man kann sich also auch abseits der Konsequenzen durch Schulleitung in Form von Ordnugnsmaßnahmen Handlungsräume bei den Konsequenzen schaffen, bei denen man die Verantwortung nicht an die Familie überträgt, wo es eigentlich kaum Aussicht auf Verbesserung des Verhaltens gibt. Das Beispiel der Reflexion mit der Schulsozialarbeiterin nannte ich oben schon. In Pausen habe ich gemeinsam mit den Kindern schon Pausenbereiche aufgeteilt, wenn es zwischen Kindern immer wieder Streit gibt und das dann auch damit begründet, dass ich ja nur möchte, dass alle eine schöne Pause haben. Im Unterricht setze ich Kinder an andere Plätze um. Sei dir auch bewusst, dass die Kinder im Unterricht immer eine Bühne und mit den anderen Kindern Zuschauer*innen haben, die sie bedienen. Da hilft dann manchmal schon der Satz "Das geht so nicht, da werden wir nach dem Unterricht drüber sprechen müssen und das hat eine Konsequenz".
Du nanntest Stempelkarten als Maßnahme an der Schule und ich vermute damit sind Verstärkerpläne gemeint, was ja auch eine sinnvolle Maßnahme sein kann. Wenn du die Zeit hast, nutze das Stempeln als kurze gemeinsame Zeit mit den einzelnen herausfordernden Kindern zum Beziehungsaufbau ("Ich habe gemerkt, dass du heute nicht richtig am Unterricht teilnehmen konntest. Wie kann ich dir helfen?"), auch mal als nervige Konsequenz ("Da müssen wir heute ein bisschen länger über die Stunde sprechen, während die anderen schon raus gehen"), alternative Handlungsweisen aufzuzeigen ("Du wolltest nach der Pause ein Kind schlagen, dass dich geschlagen hat. Das ist nicht richtig, das Verhalten möchten wir hier nicht. Der Streit wird dann außerdem immer schlimmer und immer weiter gehen, bis jemand blutet. Du kannst stattdessen zu mir kommen und wir Lösen den Streit gemeinsam mit dem anderen Kind ohne dass sich jemand weh tut und so, dass ihr euch danach vielleicht beide besser fühlt"). Das sind alles Maßnahmen, die anscheinend nicht gesehen werden, wenn man sagt "Da muss doch auch mal was passieren".
Ich habe aktuell eine dritte Klasse und versuche vieles davon von Anfang an umzusetzen und bei manchen Kindern kommt diese Arbeit jetzt erst langsam an. Sie merken, dass ich ihnen wirklich helfen will; sie wissen, dass es bei Regelverletzungen eine faire Konsequenz gibt; sie bemühen sich, die alternativen Handlungsmöglichkeiten anzuwenden. Und trotzdem haben wir fast täglich Konflikte und Regelverletzungen, weil man das gelernte Verhalten der ersten sechs Lebensjahre eben nicht in zwei Jahren ändern kann.
Apropos Verhalten ändern: Ich fand bei Menno Baumann ein Beispiel sehr erinnerungswürdig und zwar die Frage, wie man eigentlich Verhalten und soziale Normen lernt. Sein Beispiel war der Abstand, den man zu anderen Leute hält. Da gibt es nichtmal eine einheitliche soziale Norm, sondern das variiert von Person zu Person und je nach enge der Beziehung. Wie lernen Kinder das also? Sicher würde man Kinder nicht bestrafen, wenn sie zu nah zu einem stehen oder einen dabei anfassen, wenn man mit ihnen spricht. Man gibt den Kindern Rückmeldungen, die eigentlich relativ subtil sind, indem man dann selbst einen Schritt zurück geht. Und das nicht nur einmal, sondern ziemlich oft und irgendwann sagt man vielleicht auch mal, dass man nicht so nah stehen oder gar berührt werden möchte und gibt so eine verbale Rückmeldung. So lernen die Kinder das Verhalten bestenfalls schon relativ okay, bis sie in die Schule kommen. Sechs Jahre Rückmeldungen für ein relativ okayes Verhalten, bei dem man als Erwachsener vielleicht denkt, dass das doch einfach und logisch wäre. So ist es auch mit anderen Verhaltensweisen und in der Schule stehen wir dann eben noch zusätzlich vor der Herausforderung, dass das, was ein Kind implizit an Verhalten die ersten sechs Jahre gelernt hat, vielleicht sogar konträr zu dem ist, was wir ihm an Verhalten beibringen wollen. Bestes Beispiel da für mich immer die Eltern, die ihrem Kind sagen, dass es sich auch wehren soll, wenn es geärgert wird.