@CDL als Sozialwissenschaftler habe ich nicht (nur) Politikwissenschaften studiert, sondern im Bachelor einen Studiengang namens "PWG" (= Politik, Wirtschaft und Gesellschaft) und im Master dann eben Sozialwissenschaften, also auch wieder alle drei Teildisziplinen verbunden.
Meine Vermutung basiert auf den Erfahrungen, die ich an verschiedenen Schulen als Praktikant mit dem Fach Wirtschaft gemacht habe, wo gerade dieser fächerübergreifende Unterricht immer zu kurz kam. Ich kann nachvollziehen, wieso das so war - zumindest war die gängige Begründung, dass man dafür keine Zeit mehr habe, es sei ohnehin schwer genug, alle Inhalte zu vermitteln. Ich stehe ja selbst oft genug vor dem Problem, dass am Ende des Schuljahres noch so viel Stoff über ist ;). Ich halte es für einfacher, das in einem Fach zu integrieren.
Wenn ich daran denke, was ich im Germanistik-Studium alles gelernt habe, was ich für die Schule so überhaupt nicht brauche, frage ich mich eben auch, ob z.B. VWL als Studienfach gegeben sein muss, um in der Schule Wirtschaft unterrichten zu können. Das, was wir laut KLP in NRW in Wirtschaft unterrichten müssen, bekomme ich mit meinem interdisziplinären Studium sehr gut hin - die Vorlesungen waren da ja auch keinesfalls auf uns zugeschnitten, sondern man saß dann mit den Politologen bei der PoWi-Vorlesung und mit den VWLern in der VWL-Vorlesung. Die haben natürlich noch deutlich mehr Vorlesungen in dem Bereich besucht, aber das, was dort vermittelt wird, würde für die Schule vermutlich ohnehin zu weit gehen. Und mit z.B. dem Finanzamt habe ich einen guten Kooperationspartner gefunden, der meinen Schülern z.B. zeigt, wie man eigentlich ne Steuererklärung macht - das muss ich gar nicht selbst tun.
Die Erfahrung zeigt hier für mich auch was Veronica Mars schon erwähnte: Für die unteren Jahrgangsstufen sind das z.B. Themen, die die noch so überhaupt nicht interessieren. Mit einer Übergangsquote von der Sek I in die Sek II von fast 100% wissen die auch einfach, dass die Steuererklärung noch verdammt weit weg ist.
Ich unterrichte wirtschaftliche Themen immer sehr gerne, es sind aber meist auch die Themen, zu denen die SuS den geringsten Zugang finden. Ich steige ja schon immer mit dem Tauschspiel o.Ä. ein, da haben die wirklich immer Spaß dran und verstehen dann auch, wieso es sowas wie Geld gibt...aber so richtig interessieren die die Funktionen von Geld trotzdem nicht.
Der Vorwurf der neoliberalen Hegemonie halt im Übrigen nicht primär dem Wirtschaftsunterricht, sondern dem politischen Diskurs in unserem Land ganz allgemein. Und ich persönlich frage mich immer, wie z.B. Kommilitionen von mir sehr neoliberale Positionen vertreten können, wenn die ja genauso viel über soziale Ungleichheit wie über Marktprozesse wissen sollten. Also jenseits aller subjektiver Werturteile, die man legitimerweise fällen dürfen muss, wundert es mich schlicht, wenn wirtschaftspolitische Positionen vertreten werden, ohne gleichzeitig soziologisch oder politikwissenschaftlich darüber nachzudenken. Und deswegen finde ich die Interdisziplinarität EINES Faches im Wesentlichen besser als potenzielle fächerübergreifende Projekte, wo man dann immer Gefahr läuft, dass der Politik-Kollege eben nichts von Wirtschaft und die Wirtschafts-Leute nichts von Politik wissen.
Dass die ökonomische Bildung einseitig gestärkt wird, entnehme ich den Vorgaben zur neuen Stundentafel in NRW (ja, ich beziehe mich hier auf NRW^^), in der das explizit so drin steht. Dass aus dem Fach "Politik/Wirtschaft" das Fach "Wirtschaft/Politik" wird, führt in die gleiche Richtung. Das ist zwar nur der Name, aber der steht eben symbolisch für die inhaltliche Schwerpunktsetzung auf die Ökonomie. Und es ist eben so, dass es sowieso schon viele ökonomische Inhalte in diesem Fach gibt (vgl. u.a. https://www.deutschlandfunk.de…ml?dram:article_id=436345).
"Gefährlich" ist die im Grunde aus einem einzigen Grund: Weil dann zu wenig politische Bildung, also auch Demokratieerziehung, stattfindet, auch wenn diese ohnehin nicht ausschließlich Aufgabe unseres Faches sein darf. Das Fach an sich zu stärken, ist eine nette Idee - es fehlen nur die Lehrer! An meiner Schule (knapp 650 SuS) sind wir genau drei Sowi-Kolleg/inn/en. Die Stundenzahl deutlich aufzustocken, um sowohl Ökonomie als auch Politik als auch Soziologie inhaltlich zu stärken, geht einfach gar nicht, weil wir das nicht abdecken könnten. Abgesehen davon würden sich dann ja auch wieder die Geschichtslehrer beschweren - nachdem das zunächst freigestellt war, muss jetzt nämlich z.B. Geschichte mindestens genauso viel unterricht werden wie "Wirtschaft/Politik". Und dann kommen wir an die Grenzen der Stundentafel im Allgemeinen. Und, und, und. Das Fach an sich also insgesamt zu stärken, fällt schwer. Jetzt herzugehen und einseitig die ökonomische Bildung innerhalb des Faches zu stärken, finde ich aus den oben genannten Gründen schwierig.
Ganz einfaches Beispiel: Ich finde es ja nachvollziehbar, auf Selbst-Verantwortung zu pochen. Über die Höhe von Arbeitslosengeld und anderen Sozialleistungen kann man immer gut und gerne diskutieren. Aber wenn wir meine Arzt- und Anwaltskinder dann erzählen, dass doch jeder seines eigenen Glückes Schmied ist, freue ich mich eben auch wieder auf die Unterrichtseinheit zur sozialen Ungleichheit, in der ich z.B. immer auf die Abhängigkeit des Bildungserfolgs von der sozialen Herkunft eingehe und sie dann manchmal damit provoziere, zu behaupten, sie wären doch alle nur am Gymnasium, weil ihre Eltern Ärzte sind. Natürlich ist das polemisch und wirklich nur dazu gedacht, sie zu einer Reaktion herauszufordern, aber leider stimmt das ja in Teilen sogar.
Wenn ich also will, dass die Schüler am Ende ihrer Schulzeit politische Urteile fällen können, müssen sie eben notgedrungen über Kenntnisse in den Bereichen Wirtschaft, Politik und Soziologie verfügen. Und in der Tendenz würde ich alle drei Teilbereiche als gleichrangig ansehen, weshalb ich mich gegen die einseitige Stärkung einer Disziplin zu Lasten der anderen beiden sträube.
Kurzum: Ich ziehe ein integratives Fach zwei oder drei Fächern definitiv vor (zwei Fächern sowieso, weil das vermutlich wieder die Aufteilung in "Wirtschaft" und "Politik und Soziologie" nach sich zöge, die ökonomische Bildung also wieder einseitig gestärkt würde). Dieses eine Fach deutlich mehr zu unterrichten, fände ich zwar gut, kann ich mir organisatorisch aber nicht vorstellen (das gleiche gilt übrigens auch für die Einführung eines neuen Fachs "Wirtschaft"). Wenn ich also diese organisatorische Problematik anerkenne, ziehe ich den Schluss, dass wir in unseren Grenzen bleiben müssen (natürlich haben wir durch G9 wieder etwas mehr Stunden, aber das betrifft ja so gut wie jedes Fach). Innerhalb dieser Grenzen die Schwerpunkte zugunsten einer Disziplin zu verschieben, halte ich für falsch - insbesondere, wenn es die Ökonomie betrifft. Ich glaube, wenn wir etwas stärken müssten, dann am ehesten die Soziologie, weil die doch meinem Empfinden nach am ehesten zu kurz kommt.
ABER: Meine Aussagen beziehen sich auf NRW. Das mag in Ba-Wü anders sein, darüber will ich nicht urteilen.
Aber eine Nachfrage stellen: Hat denn JEDER Schüler "WBS" und "GK"? (Ich nehme an, "WBS" ist was mit Wirtschaft und "GK" mit Politik und Soziologie?). Oder besteht auch die Möglichkeit, nur eines der Fächer anzuwählen? Dann wären die fächerübergreifenden Maßnahmen ja schon wieder futsch.