Ich war in meiner eigenen Jugendzeit über einige Jahre selbst sehr zum Thema Selbstmord hingezogen. Konkrete Gründe sind im Laufe der Zeit ein wenig verschwommen geworden, teils waren verschmähte Liebe Thema, (gefühlte) Aussichtslosigkeit, auch der Wunsch, durch heroischen Selbstmord - quasi dem höchsten Opfer - die Welt zum Besseren zu verändern. Vor allem ab der höheren Schule war es dann verblüffenderweise so, dass sehr viele meiner Freunde ebenso offen von Selbstmord sprachen, wir hatten dann Methoden diskutiert, und wie wohl der größte Effekt zu erreichen wäre. Ich weiß noch, dass ich so mit 15,16 mal ein 96-seitiges (A4-Seiten in Word) Drehbuch schrieb, über eine Gruppe von Jugendlichen, die gemeinsam als politisches Statement Selbstmord begehen wollen weil sie erkannt hatten dass ein jeder für sich mit seinem Selbstmord nichts erreichen würde können. In der Geschichte kam auch ein irrer Prediger vor, der die eigentlich geplante Aussage nachträglich für seine eigenen Zwecke verfälschte. War wohl damals für mich ein Teil der Überwindung der Fantasie, dass mein Selbstmord etwas an den Zuständen ändern würde, die mich erst dazu getrieben hatten.
Der "Knackpunkt" kam bei mir, als ich eines Tages zu mir selbst sagte: "So, nachdem du dich sowieso umbringen willst, warum versuchst du jetzt nicht einen Tag lang, so zu leben, als würden deine Probleme überwindbar sein. Wenn es nicht klappt, kannst du dich ja morgen immer noch umbringen." Konkret ging es damals wohl viel um Mobbing, Nicht-verstanden-Werden. Und tatsächlich änderte sich ab dem Zeitpunkt das Verhalten anderer um mich, weil ich mich erstmals traute, zu mir und meinen Bedürfnissen zu stehen.
Erst jetzt, über 10 Jahre später, beginne ich zu verstehen, warum es damals für mich so schwer war, mich verstanden zu fühlen: ich bin wohl (emotional) hochsensibel und nehme die Welt sehr anders wahr als meine Mitmenschen. Das ist manchmal anstrengend für mich, eröffnet aber gleichzeitig zahlreiche "Extra-Kanäle", um die Welt besser zu verstehen, u.A. spüre ich unterdrückte Emotionen in anderen Menschen oder Gruppen. Eine Freundin drückte es unlängst so aus: du bist ein sehr besonderer Mensch; du erkennst Zusammenhänge die niemand anderer erkennt, aber checkst andere die jeder checkt wieder gar nicht. Tatsächlich (das fanden wir dann beim Durchgehen ihrer Beispiele heraus) verstehe ich oft Zusammenhänge dermaßen tief, dass sich dadurch ganz andere Möglichkeiten ergeben als sie sich einem fiktiven Durchschnittsmenschen auftun. Vieles ist damit für mich eben nicht selbstverständlich, was es für andere sein mag, und mein Verhalten irritiert damit (auch heute noch) zuweilen andere und führt dazu, dass ich mich unverstanden fühle (etwa wenn ich spüre dass jemand - unnötigerweise für eine Situation - seine Emotionen unterdrückt und ich überrascht bin dass derjenige ein für ihn und andere nicht zuträgliches Verhalten weiterführt, anstatt etwas daran zu ändern).
Der Suizid ist für diejenigen, die ihn tatsächlich planerisch abwägen (was in deinem Fall zutreffen dürfte) meist kein simples "Ich habe keine Lust mehr", sondern oft auch eine Art von Handlung, aus der sie sich bestimmte Konsequenzen versprechen, etwa "wenn ich mir das Leben nehme und meine Eltern dann meinen Abschiedsbrief lesen, dann verstehen sie mich/dann merken sie erst, was sie verloren haben/..." Es sind oft erwünschte Konsequenzen, deren Eintreffen durch eine Fortführung des Lebens unwahrscheinlich bis unmöglich erscheint (wie es für mich eine Zeit lang unmöglich schien, dass sich am Verhalten meiner Mitschüler ohne meinen Tod etwas ändern könnte).
Das mit den Eltern des Jungen ist eine schwierige Sache. Es kann sein, dass er zu dir/deinem Sohn besonderes Vertrauen hat und euch Dinge erzählt, die er sonst niemandem erzählt. Erzählst du nun etwas davon "weiter", kann es sein, dass er seine Haupt-Vertrauens-Person dadurch verliert weil er euch nicht mehr vertrauen kann. Gleichzeitig ist es auch eine enorme Verantwortung und Last, diese Person zu sein (ich habe das mehrmals durchgemacht und weiß daher, wovon ich spreche), das muss man sich schon zutrauen. Wenn du mit seinen Eltern sprichst, fände ich es am besten, vorher mit ihm zu sprechen (das kann theoretisch auch dein Sohn tun), um ihm zumindest davon Bescheid zu geben.
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Kinder/Jugendliche, die von Selbstmord sprechen, ein relativ genaues Bild davon haben, warum sie diesen planen, und auch, dass die meisten Erwachsenen das Thema als Tabu-Thema wahrnehmen, was dazu führt, dass das (oft unvollständige) Bild der suizidgefährdeten sich oft erhärtet, weil es keinen kritischen Widerpart findet, der die Emotion und die Bedürftigkeit dahinter wahrnimmt und respektiert, gleichzeitig aber auch andere Wege aufzeigen kann, die Bedürftigkeit zu stillen. Ziel der darum gehenden Gespräche sollte es nicht sein, den Selbstmord zu verhindern, sondern zu versuchen, dem Kind/Jugendlichen zu ermöglichen, Verständnis für seine Bedürftigkeit erleben zu lassen. Dann kann es oft sogar reichen, dass der Suizidgefährdete erkennt, dass er mit seiner Bedürftigkeit nicht alleine ist, dass all die anderen mit den selben Problemen zu kämpfen haben wie er selbst auch, nur dass diese eben das nicht zeigen. Über Suizid zu sprechen ist auch ein Weg, über seine Bedürftigkeit zu sprechen, verbunden mit der Hoffnung, dass die jeweils anderen sich ebenso öffnen. Ich hatte damals das Glück, einige KlassenkollegInnen zu haben die mutig genug waren, mir auch ihre Innenwelten offenzulegen, so dass ich mich nicht mehr so alleine und verstandener fühlte. Der Junge sucht wohl verzweifelt eine ähnliche Erfahrung.
Ein Bunterrichter