Die Arbeitszeiterfassung kann und wird für Lehrer (hoffentlich) nicht kommen. Wir leben in einer völlig anderen Beschäftigungsart als Industrie- oder Büroarbeiter.
Unsere Tätigkeit entspricht eher dem, wie freie Unternehmer arbeiten. Diese beklagen sich ebenfalls über Arbeitszeitbelastungen jenseits von 80 Stunden pro Woche - werden jedoch auch anders bezahlt - und kein Schwein fordert eine Arbeitszeiterfassung.
Die Arbeitszeit der Lehrer ist immer wieder Ziel von Karikaturen und Missverständnissen - besonders vor den Ferien.
Wie setzt sich meine Arbeitszeit zusammen? Ist es Arbeitszeit, wenn ich morgens um 4 aufwache und darüber grüble, wie ich Kevin am kommenden Vormittag auf der Spur halte?
Müsste ich - wenn ich meine Arbeitszeiten dokumentieren müsste - dann aufstehen und die benötigte Zeit notieren? Gibt es für Nachtarbeit einen Verlängerungs- und Erschwerniszuschlag?
Wird mir diese Zeit vom Kontrolleur gestrichen, weil mich niemand dazu gezwungen hat und keine dienstliche Anordnung für dieses Grübeln erteilt wurde?
Beginnt die Arbeitszeit mit dem Betreten des Schulgebäudes? Muss ich die Zeit, die ich für die Zubereitung und den Konsum des benötigten Kaffees benötige, abziehen? Ist es Arbeitszeit, wenn ich mit der Tasse in der Hand mit der Schulleitung über Kevin rede? Gilt es als Arbeitszeit, wenn ich auf der Fahrt zur Schule den Plan für den Vormittag nochmal rekapituliere? Wird von einem Schauspieler ebenfalls verlangt, seine Arbeitszeit zu dokumentieren - und die Zeit zum Lernen und Rekapitulieren der Rolle nicht berücksichtigt, falls er diese Tätigkeit auf der Fahrt ins Schauspielhaus ausübt? Oder erhält er ein Fixum für seinen Auftritt? (Nebenbei - so wie wir Lehrer)
Ist es Arbeitszeit, wenn ich mit meiner Frau - ebenfalls Lehrerin - den Schulalltag diskutiere oder ihr bei der Erstellung von Unterrichtsmedien zur Hand gehe?
Ist es Arbeitszeit, wenn ich nachmittags, am Wochenende oder abends in Lehrerforen oder auf Facebook nach neuen Ideen für den Unterricht suche und meine "Freizeit" nicht der Orchideenzüchtung widme? Was geschieht, wenn ich beim Umtopfen der Orchideen über Kevin nachdenke oder in pädagogischen / psychologischer Fachliteratur nach Möglichkeiten zur "Behandlung" von Kevin recherchiere? Ist das meine selbst gewählte Freizeitbeschäftigung, die den Arbeitgeber nicht zu interessieren hat - und die er selbstverständlich nicht als Arbeitszeit wertet und vergütet?
Die Forderung, dass Lehrer ihre Arbeitszeiten erfassen und dokumentieren sollen, ist so wirklichkeitsfremd wie absurd - zumal die Dokumentation als Arbeitszeit ebenfalls erfasst werden müsste und diese somit gewaltig steigern würde - ohne erkennbaren Nutzen für Schule und Schüler. Unsere Arbeitszeit zerfleddert über Tag (und Nacht!) in so viele kleinschrittige Abschnitte, dass man einen "elektronischen Arbeitszeitdokumentator mit Spracheingabe und Zeitmessung" erfinden und ständig am Leib tragen müsste, eventuell als Chip im Hirn, von der Schulverwaltung per WLAN ausles- und dokumentierbar. Diese "elektronische Stempeluhr" wäre dann wohl effektiv und gerecht. Mit bestandenem Referendariat bekäme den Chip jeder Lehrer eingepflanzt. Diensliche Beurteilungen könnten online erfolgen, weil das Schulamt den Unterricht jederzeit live mitschneiden könnte. Das ergäbe endlich gerechte Beurteilungen, die sich nicht auf Inselleistungen von 45 Minuten bezögen. Brave New World!
Das wäre penibel genau und gerecht! Nur - wer will das?
Zur Arbeitszeit der Lehrer schreibt Spiegel online:
"Selbst ein an die längeren Ferienzeiten angepasstes Pensum von 46 Stunden und 38 Minuten pro Woche wird der Untersuchung zufolge oft überschritten. Bei 17 Prozent der Lehrer in Vollzeit werde gar die Höchstarbeitszeit von 48 Wochenstunden überschritten, heißt es in dem Bericht. Zu diesem Ergebnis waren zuvor auch Wissenschaftler der Georg-August-Universität in Göttingen gekommen. Sie hatten berechnet, dass deutsche Lehrer im Schnitt 48 Stunden und 18 Minuten arbeiten - deutlich mehr als vorgesehen."
Es gibt genügend Untersuchungen, die uns eine hohe Arbeits(zeit)belastung attestieren - und dass diese gesundheitlich belastende Höhen erreicht.
Ich fordere KEINE genauere Arbeitszeiterfassung.
Ich fordere eine Entlastung von meinem Arbeitgeber, dem das Gesetz Schutz und Fürsorge auferlegt hat.
Ich wünsche mir von Eltern, Politik und Öffentlichkeit mehr Unterstützung und auch mehr Anerkennung für den Knochenjob, den wir leisten.
Ich fordere von Medien, das Thema "Arbeitszeit der Lehrer" vor Ferienabschnitten aus ihrem Standardrepertoire zu streichen und sich wirklich wichtigen Themen zuzuwenden.
Ich fordere, dass man mich meinen Job als Lehrer machen lässt, mich dabei unterstützt und mich nicht ständig mit derartigem Bockmist behelligt und medial durch den Kakao zieht.
<auskotzmodus off>