Ich wollte Lehrer werden, weil ich zum einen gerne einen Beruf ausüben möchte, der einen "Sinn" hat, also einen gesellschaftlichen Nutzen ... Zum anderen glaube ich, dass ich durchaus ein paar Voraussetzungen für den Job habe. Ich habe Spaß daran, Wissen weiterzugeben. Ich bin gelassen, humorvoll und arbeite gern mit Menschen. ...
Das sind doch super Voraussetzungen für den Beruf. Die richtige Einstellung und die richtigen Gründe tragen einen über manches Tief hinweg, das einen belasten würde, hätte man den Beruf nur der äußeren Umstände wegen gewählt. Es gibt immer Schüler, die eine engagierte Lehrkraft zu schätzen wissen und die mitgebrachte Motivation gerne zurückspiegeln.
Die "Klischees", von denen du sprichst, Ferien, Pension, Geld, usw. sind aber auch etwas, was man bedenken sollte. Bevor jemand sagt, in der freuen Wirtschaft verdient man mehr, das mag schon sein, aber mein Schwiegervater ist mit Ende 50 arbeitslos geworden (Firma pleite), die eigene Wohnung war beinahe weg, Zeitarbeit über Jahre, vor der Arbeit Zeitungen austragen und all so Sachen. Das ist eine Art von Stress, der man im angeblich stressigen Lehrerberuf, ob angestellt oder verbeamtet, nie ausgesetzt ist. Auch mit angeordneten Überstunden, Sorgen um die Existenz oder den Stand der Firma und all dem Zeug hat man nichts zu tun. Ein Freund ist promovierter Biochemiker, ist auch ganz zufrieden, aber gehört zu einem recht spezialisierten Kreis, was die Zahl der Arbeitsstellen in Europa, an denen er zudem jeweils mit Verträgen über wenige Jahre ausgestattet wird, recht klein hält. Mit Familie und Häuschen wird es da schwierig.
Mich lässt meine eigene Jobsituation gut schlafen, auch weil ich zu häufig gesehen habe, wie es bei anderen Menschen aussehen kann.
Zitat von StudentXYZ
Im Studium sind natürlich Hospitationen und Praktika abzuleisten. Mein Praktikum habe ich an einer "Brennpunkt"-Gesamtschule gemacht. Das war für mich ein ziemlicher Praxisschock. Absolut respektlose Kinder, überfüllte Klassen, ein erschreckend schlechtes Leistungsniveau, überforderte Lehrer, sehr viele Kinder mit Lernbehinderung oder Flüchtlinge, die aus irgendeinem Grund nicht in DAZ-Klassen saßen, und daher aufgrund der Tatsache, dass sie kein Deutsch sprachen, quasi vom Unterricht ausgeschlossen waren. Binnendifferenzierung war kaum möglich. Dazu ein Kollegium, das zur Hälfte aus engagierten Lehrern bestand, die auf allen Vieren gingen, und zur anderen Hälfte aus resignierten Lehrern, denen ihr Beruf augenscheinlich keine Freude mehr zu machen schien. Es war für mich, der nur sein behütetes Dorfgymnasium kannte, ein Schock. Dort würde ich niemals arbeiten wollen.
Ich würde dort auch nicht arbeiten wollen. Im Praktikum war ich an einer Schule, an der die Lehrkräfte grundsätzlich 10 Minuten nach dem Klingeln aus dem Lehrerzimmer gekommen sind und 25 Minuten später schon wieder da waren, einfach, weil sie keinen Bock hatten. In den Pausen haben sie sich damit gebrüstet, wie sie die Schüler fertiggemacht haben. Das kommt vor. Erstaunlicherweise hatte die Schule arge Probleme, Bewerber für die von ihnen ausgeschriebenen Stellen zu bekommen.
Man ist mit der Berufswahl "Lehrer" schon in gewisser Weise eingeschränkt (obwohl es auch hier einige Möglichkeiten gibt) man ist aber bei der Wahl seines Arbeitgebers nicht eingeschränkt. Heute bin ich an einer super Schule, nette Kollegen, tolle Ausstattung und alles da. Das kann doch in jedem Beruf so sein. Der Bankkaufmann kann in der Dorfsparkasse mit Existenzängsten auch einen Praxisschock erleben, später in der Hauptfiliale der BlaBla-Bank in einer großen Stadt aber sehr glücklich werden.
Zitat von StudentXYZ
Ich weiß nämlich, dass ich nicht das Maß an Idealismus habe, um mich derart aufzuopfern.
Du machst Englisch und Chemie, ich habe Deutsch und Biologie. Sagen wir, das ist in etwa gleich. Ich kann dir daher aus Erfahrung sagen, was du in deiner Chemiestunde machst, interessiert nach dem Ref niemanden mehr. Wenn es eine zentrale Prüfung gibt, bist du an den Lehrplan gebunden, ansonsten quatscht kein Nicht-Naturwissenschaftlicher in diese Fächer rein (ähnlich ist es bei Religion, Kunst, Musik). Das bietet Möglichkeiten für tolle Projekte, wirklich schöne Stunden, praktisches Arbeiten, das die Schüler wirklich begeistert, aber auch mal für ... ein bisschen weniger Aufwand, wenn man möchte.
Deutsch und Englisch bringen viele und aufwändige Korrekturen mit sich, das ist wohl so. Aber so, wie es häufig beschrieben wird, dass ständig und immer mindestens 9 Stapel Klausuren auf dem Tisch liegen, ist es (zumindest bei mir) nicht. Ich hatte im letzten Schuljahr etwa 500 Klausuren, besonders ungeschickt verteilt auf 4-5 dicke Blöcke, in denen ich dann vom Schreibtisch nicht weggekommen bin. Aber dafür war dazwischen häufig auch mal kaum etwas los und bei geschickterer Verteilung wäre es auch leichter gewesen.
Zitat von StudentXYZ
Dazu kommt, dass man, sobald man das Internet öffnet und sich ein wenig umschaut, zu 99% negatives über den Lehrerberuf liest. Berge von Arbeit, respektlose Kinder, schlimme Zustände in den Schulen, Burnout, das Referendariat als "schlimmste Zeit des Lebens" und "Hölle". Ich kann gerade einfach nicht mehr einschätzen, ob das eine laute Minderheit ist, und die zufriedenen Kollegen einfach still und glücklich ihren Job ausüben, oder ob das ein realistisches Bild ist. Ich bin momentan wirklich am Zweifeln und habe Angst vor der Zukunft. Was, wenn ich für mein Ref auch an eine solche Schule gerate? Was, wenn meine Schule von damals eher die Ausnahme bildet und die Realität deutlich weniger rosig ist? Als Lehrer ist man in seiner Berufswahl ja doch eher festgelegter und ein Wechsel ist nicht unbedingt leicht. Ist der Lehrerjob wirklich so stressig und aufreibend, mit quasi niemals Feierabend? Oder spinne ich einfach total und lasse mich von Horrorgeschichten verunsichern?
Mist, jetzt hab ich dazu schon geschrieben.
Manchmal ist es stressig, manchmal auch nicht. Tatsächlich hängt das auch stark davon ab, wie viel man sich selbst aufbürdet. Einige tun gar nichts und haben zudem Sport/Reli, andere machen neben Deutsch/Spanisch noch Extraaufgaben. Da muss jeder seinen Mittelweg finden.
Das Ref ist schon anstrengend, aber vor allem auch deshalb, weil alles neu ist, die Vorbereitung noch schwer fällt und dann diese blöden Prüfungen. Im Rückblick war es aber echt ganz ok und auch eine schöne Zeit.
Die meisten Kinder bringen einem einen ähnlichen Respekt entgegen, wie sie ihn auch vom Lehrer bekommen. Wenn nicht, werfe ich sie aus dem Unterricht und kümmere mich später darum. Ich weiß nicht, wie andere das machen, es ist auch nicht überall so leicht.
Beide Seiten, Schüler und Lehrer, freuen sich, wenn sie in der Schule, in der sie z.B. an einem schönen Sommertag nicht ganz freiwillig sitzen, eine schön Zeit haben. Häufig haben beide Seiten Lust, daran zu arbeiten, dass es eine schöne Zeit wird. Wenn ich so an die Schüler denke, die ich in den letzten Jahren unterrichtet habe, dann fallen mir eigentlich nur recht wenige ein, die wirklich fies und blöd waren. Mit den meisten kann man eigentlich was anfangen.
Grundsätzlich glaube ich, ist das Schimpfen der Unzufriedenen immer sehr viel lauter als das zufriedene Schnurren der Menge. Mach dir keine Sorgen.
Zitat von StudentXYZ
Aber vielleicht habt ihr ja ein paar tipps, um wirklich festzustellen, ob man für den Job geeignet ist oder zumindest ein realistisches Bild hat?
Du hast doch schon ein Praktikum gemacht. Wenige Jahre vor meinem Berufsstart habe ich im Radio einen "Life-Coach" gehört. Versehentlich. Auf die Frage, woher man denn wissen könne, ob der Beruf, den man ausübt, der richtige sei, hat er gesagt: "Ganz einfach, wenn Sie auf dem Weg zur Arbeit sind, zu Fuß, mit der Bahn, mit dem Auto, und Sie nähern sich der Arbeit, denken vielleicht an die ersten Minuten, lächeln Sie? Wenn ja, sind Sie richtig."
Es ist nur das Gelaber eines Coaches, das ist ja nicht mal ein richtiger Job, aber als ich im Ref war, ist mir das wieder eingefallen und ich habe festgestellt, ich lächle auf dem Weg zur Arbeit.
Du hast ja bereits ein paar Stunden gegeben und erzählt, dass die schön waren und dort lustige Dinge passiert sind. Lächelst du nicht, wenn du daran denkst? Freust du dich nicht auf weitere schöne Stunden?