Dann erkläre es mir bitte. Aber unter Berücksichtigung des Einbezugs der realen Einschränkungen in unserem Beruf, welche auch in meinem Post genannt wurden.
Gerne erkläre ich dir, was individuelle Förderung bedeutet. Die vier wichtigsten Aspekte sind
- Der Schüler erwirbt aktiv neue Kompetenzen, indem er sich größtenteils selbständig mit den Inhalten auseinandersetzt. (Wissen kann nicht einfach vom Lehrer auf den Schüler übertragen werden, sondern muss von jedem Schüler selbst konstruiert werden.)
- Der Schüler übernimmt Verantwortung für seinen eigenen Lernprozess.
- Der Schüler reflektiert und evaluiert seinen eigenen Lernprozess.
- Jeder Schüler hat so die Gelegenheit den für ihn bestmöglichen Schulabschluss zu erwerben. (Und wenn im individuellen Fall ein 4,0 MBA sein sollte, ja, dann ist es halt so.)
Mit "Binnendifferenzierung", "Keiner kann scheitern.", "Jeder kann Abitur machen." hat das überhaupt gar nichts zu tun! Da hast du was durcheinander gebracht.
Von den "realen Einschränkungen" wie du es nennst, spüre ich bei dieser Art von Unterricht wenig. Ich muss sicherstellen, dass mein Unterricht entsprechend vorbereitet ist, sodass die Schüler sich eben selbständig mit den Inhalten auseinandersetzen können. Das ist aufwändig, keine Frage, aber meiner Meinung nach lohnt sich das. Weiterhin muss ich selbst die Inhalte fachlich in einem hohen Maße durchdrungen haben, um bei aufkommenden Diskussionen über den Lernstoff unmissverständlich und nachvollziehbar argumentieren/erklären zu können. Und das sollte man drauf haben, wenn man das Fach studiert hat.
Ansonsten haben die Schüler ihr Schulbuch, einen Block und einen Stift. In Mathe idealerweise noch ein Geodreieck und einen Taschenrechner. Mehr brauchen sie bei mir im Unterricht nicht.
Ob da 20 oder 30 Schüler im Unterricht sitzen, ist auch unerheblich. Ich habe bisher weder das Gefühl gehabt, dass Schüler zu kurz kommen, noch haben Schüler sich darüber beschwert. Da frontale Phasen wegfallen, habe ich ja auch volle 90 Minuten Zeit um alle Fragen, Probleme, etc. aus der Welt zu schaffen.
Was ist eigentlich unser Kerngeschäft? Wie sieht die tatsächliche Unterstützung für die Realisierung aus?
Unser Kerngeschäft ist das Unterrichten. Vorbereitung und Nachbereitung des Unterrichts. Der fachliche Austausch mit Kollegen ist Gold wert und eine sehr gute Unterstützung bei der Realisierung von IF.
Und wie soll diese denn bei 30+ Klassen funktionieren, deren Ziel eine Hochschulreife ist?
Wie ich oben schon schrieb, ich unterrichte durch meine Fächerkombination hauptsächlich Oberstufe (dieses Jahr 22 Deputatsstunden) und es hat bisher immer funktioniert. Auch bei Klassen mit 30 Schülern und mehr.
Das ist wirklich der Klassiker. Frontalunterricht sorgt nur dafür, dass der Stoff sofort nach der Klausur vergessen wird. Die modernen Methoden dagegen sorgen für langfristigen Wissenserwerb.
Ja, genauso ist es. Wie ich oben sagte: Ich kann mein Wissen nicht auf die Schüler übertragen. Die Schüler müssen dieses Wissen selbst aufbauen. Wenn ich so an den klassischen Frontalunterricht denke: Erstmal Hausaufgabenbesprechung, die nur einem Bruchteil der Schüler überhaupt etwas bringt. Anschließend ein 30-minütiger Lehrervortrag, wenn man Glück hat fragend-entwickelnd, bei dem zumindest in Mathe die Hälfte der Schüler nach 5 Minuten aussteigt und man am Ende dann vllt noch fünf Zuhörer hat. Dann eine Übungsphase, die in der Regel nur die Fleißigen zur Übung nutzen. Die anderen warten nämlich auf die sich an die Übungsphase anschließende Besprechung.
Ich mag nicht bestreiten, dass es Schüler gibt, die sehr gut durch Frontalunterricht lernen. Die gibt es sicher. Aber für den Großteil unserer Schüler ist ein solcher Unterricht wenig motivierend.
Daher empfinde ich reinen Frontalunterricht in der SekII als überholt und gefährlich, da es die Selbstständigkeit hemmt. Ich bin aber auch nicht der Meinung, dass der Unterricht nur in dieser Form des Selbstlernens / Projektarbeit stattfinden sollte. Wie immer liegt die "Wahrheit" in der goldenen Mitte.
Hier stimme ich voll zu. Irgendwann wird jede Methode langweilig. Die Abwechslung macht es. Ich mache weder das ganze Jahr "Flip the classroom" noch das ganze Jahr "Projektarbeit". Und natürlich gibt es bei mir auch mal die ein oder andere frontale Phase, weil man schlicht nicht immer Möglichkeiten findet, den Stoff so aufzuarbeiten, dass die Schüler es sich selbständig erarbeiten können. Ein Beispiel für die Leute vom Fach: Randwertuntersuchung bei Optimierungsaufgaben... Wer da etwas handlungsorientiertes hat, her damit. Bisher hatte ich keine zündende Idee dazu...
Als ob Frontalunterricht nicht problemorientiert sein kann und bei der Lösung von komplexen Inhalten keine Auseinandersetzung durch den Schüler alleine verlangt ist.
Wie denn? Wann soll denn der Schüler Zeit haben, sich aktiv mit den Inhalten auseinander zusetzen. 15 von 90 Minuten gehen für Besprechung der HA drauf, 30 Minuten für den Lehrervortrag, 15 Minuten für die Abschlussbesprechung. Wie soll der Schüler es schaffen, in 30 Minuten Übungsphase (deren Aufgaben leider auch häufig so gestaltet sind, dass bloßes Wiederkäuen des Lehrervortrags reicht...) ein komplexes Thema so zu durchdringen, dass der Stoff verinnerlicht ist? Meine Schüler haben dafür 90 Minuten Zeit und manchmal reichen diese noch nicht und dann wird in der Pause nach dem Raumwechsel nochmal das Mathe-Buch ausgepackt...