In Zeiten der zunehmenden Unfähigkeit, zielgerichtet zu kommunizieren, Texte und Subtexte so zu verstehen, so dass man nicht über den Tisch gezogen werden kann, in Zeiten von Querfronten und Chemtrailgläubigen und Menschen, die in keiner Zeitung mehr die Faktenlage von der bauchgefühlten Wahrnehmung trennen können und deshalb reflexartig mit "Lügenpresse!" reagieren, in Zeiten, wo Menschen glauben, dass Homsexualität eine durch Homöopathie heilbare Erkrankung sei, in Zeiten wo sich Reichsbürger selbst Pässe ausstellen, weil sie glaben, in einer Besatzungszone zu leben, wo man die gesammelte Rechte bei Friedensdemonstrationen findet, und irgendwelchen armen Friedenswilligen nichtmal merken, dass da nur ein geklautes Label draufsteht, und in Zeiten, wo Menschen glauben, dass die Kanzlerin einen Deal mit den arabischen Nationen gemacht hat, dass die Deutschen qua Immigration und Kinderkriegen "augetauscht" werden sollen und in Zeiten wo rassistische Herrenmenschen in grottigem Deutsch ekelhafteste Dinge wieder sagen und schreiben dürfen - in solchen Zeiten kann man die Geisteswissenschaften gar nicht hoch genug einschätzen. Nicht annähernd hoch genug.
Powi, Geschichte, Ethik - und Deutsch sind demokratische Grundlagenfächer und sowas von notwendig.
Ich denke, man muss hier vor allem trennen: Was ist die Bedeutung eines Faches für die schulische Bildung und was ist die Bedeutung entsprechender Fachwissenschaftler für die Gesellschaft. Das wird mir hier zu sehr vermischt.
Beispiel: Jemand hat angesprochen, dass das Fach Deutsch so hoch gehängt wird. Als Deutschlehrer kann ich das nur gut finden, vor allem aus den Gründen, die Meike hier beschreibt. (Fast) jeder, egal was er später beruflich macht, wird später im Berufsleben aber auch im Privatleben mit Texten konfrontiert sein und Texte (Email etc.) selbst schreiben müssen. Das muss ordentlich gelernt werden. Dass man den Umgang mit Texten an klassischer Literatur und Gedichten etc. einübt, hängt dabei einerseits an einem gewissen Bildungsbegriff, andererseits aber auch, da man Mechanismen, wie Texte funktionieren, natürlich am besten auch da sehen kann, wo solche Mechanismen gezielt eingesetzt werden. Darüber hinaus sieht man sich natürlich auch im Deutschunterricht Sachtexte, Reden etc., also Texte aus dem "wirklichen Leben" (TM) an. Das macht ja auch Sinn.
Deutsch ist also für eine allgemeinbildende Schule in der Tat sehr wichtig, wichtiger als viele andere Fächer, die vielleicht nicht so unmittelbar auf das Alltags- und allgemeine Berufsleben vorbereiten.
Das heißt allerdings natürlich nicht, dass wir besonders viele studierte Germanisten brauchen. Es ist auch nicht Aufgabe des Deutschunterrichts, für ein Germanistikstudium zu werben. Hier, für diese "zweite" Aufgabe der Schule, nämlich das Hinführen der Schüler zu verschiedenen Themen und Fächern, die gesellschaftlich und wirtschaftlich relevant sind, trumpfen natürlich die MINT-Fächer, den wir brauchen sicher mehr Chemiker als Germanisten.
So funktioniert das für mich. Deshalb finde ich Neles Ansatz auch sehr gelungen. Welche Konsequenzen diese Überlegung für Lehrpläne und Stundentafeln haben muss, wäre ein anderes spannendes Thema.