Ich glaube schon, dass ökonomische Interessen ein starkes (wenn nicht mit das stärkste) Antriebsmodul für menschliche Handlungen sind. Sprich: wenn Tochter mitverdienen muss/soll und das nur ohne Kopftuch kann, werden Traditionen auch gerne mal über Bord geworfen. Das erlebe ich hier ganz häufig. Die ständig verschleierte junge Frau, die Lehramt studieren will. Sie weiß, dass man in Hessen mit Kopftuch nicht verbeamtet wird - und hat es deshalb im Studium schonmal abgelegt "um mich dran zu gewöhnen". Und, fragte ich, ist es schlimm? Nicht so schlimm, wie ich mir vorgestellt hatte, meinte die junge Frau. Und nach ihrer Beziehung zu Gott/Allah gefragt, befindet sie "die sei ungestört".
In einer anderen Familie war das Kopftuch nicht mehr so wichtig, als es um einen guten Ausbildungsplatz in einer Bank ging. Oder bei einer anderen jungen Dame, die im Public Relations Bereich arbeiten wollte, wo das nicht erwünscht war. Alle berichten, mit ihrer Entscheidung zufrieden zu sein, und die Familien haben jeweils wegen der erheblich guten Verdienstmöglichkeiten/Berufsaussichten zugestimmt.
Sicher hat auch Bildung (man muss sich überhaupt im Bereich der Chance auf einen guten Ausbildungsplatz befinden) zu tun. Und sicher klappt das auch nicht bei allen Familien. Aber es ist eine von vielen Wegen in die Hinterfragung der eigenen Traditionen - und ich bin der Auffassung, dass es sich beim Kopftuch nicht um ein religiöses Muss handelt sondern lediglich um ein eher traditionelles Symbol, das mehr oder weniger lose mit der Religion, aber vor allem mit traditionellen Vorstellungen vom Leben von Frauen und Männern verknüpft wird. Es geht auch ohne Kopftuch gläubig zu sein. Da sind schon auch Signale der Gesellschaft wichtig, aber gleichzeitig auch Bildungsangebote, Thematisierung von Frauenrechten im Unterricht, Angebote der Beratung und Frauentreffpunkte im Stadtteil, konsequentes Ansprechen der Problematik, Aufklärung, usw.
Ich kenne übrigens auch wirklich aufgeklärte, selbstbewusste Kopftuchträgerinnen, eine studiert Architektur und engagiert sich für Frauenrechte, eine wirklich tolle junge Frau - und wird mit Sicherheit mal ihren Weg gehen. Aber sie sind in der Minderheit und können so sehr für die Argumentation dienen, wie Bill Gates für die Lebendigkeit des American Dream. Wobei ich auch nochmal zwischen Kopftuch und Gesichtsschleier unterscheide...
Ich bin auch nicht der Meinung, dass ich jeden immer genau da abholen muss, wo er steht. Ich verfechte eher das Prinzip des sich in-der-Mitte-Treffens. Wenn ich den nicht sehen darf, der mit mir sprechen will, ist ein Vieraugen(dann ja eher Zweiaugen-) Gespräch ohnehin unnötig. Dann kann man auch gleich telefonieren. Ich habe ein Zeichen gesetzt, die Mutter kannn sich die Informationen holen, die sie braucht. Geht auch schriftlich oder e-schriftlich.